Eine schillernde Persönlichkeit

21.12.2007
Honoré de Balzac ist der Berserker der französischen Literaturgeschichte. Als solcher wird er von dem langjährigen Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung" und derzeitigem Pariser Kulturkorrespondenten Johannes Willms auch porträtiert. Schwungvoll, präzise und angenehm nüchtern breitet Willms das wechselvolle Leben des großen Schriftstellers vor uns aus und zeichnet ein faszinierendes Psychogramm dieser schillernden Persönlichkeit.
Dabei bringt er die legendäre Produktivität Balzacs – allein die Comédie humaine umfasst rund hundert Romane und Erzählungen – mit seinem sozialen Aufstiegswillen und seiner unendlichen Sehnsucht nach materiellem Wohlstand in Zusammenhang. Dieser Ansatz taucht den Mann mit den titanischen Kräften in ein neues Licht. Die Kunst war für ihn ein Mittel zum Zweck. Aber da er permanent über seine Verhältnisse lebte und mehrfach bei waghalsigen Investitionen große Summen verlor, schrieb er irgendwann seinen Schulden hinterher. Und auch diese Erfahrungen hatte er literarisch antizipiert: Immer wieder geht es in seinen Büchern um Geldgeschäfte, Spekulation und Konkurs.

Balzac, 1799 in Tours geboren, war ein ungeliebtes Kind. Seine Mutter, verheiratet mit einem deutlich älteren Mann, der ihr außer einem standesgemäßen Leben wenig bieten konnte, schob ihren ältesten Sohn in ein Internat ab. Schließlich wollte sie sich in Ruhe ihren Liebhabern widmen. Nach der Darstellung von Johannes Willms liegt hier der Keim von Balzacs ewiger Bestätigungssucht verborgen: Der Entzug der mütterlichen Liebe machte aus ihm einen Nimmersatt, besessen von Liebe, Reichtum und Ruhm. Schon während seines Jurastudiums beschloss Balzac, Schriftsteller zu werden. Anfangs unterstützte ihn seine Familie sogar, und seine ersten Erfahrungen sammelte er als Verfasser minderwertiger Romane, die er unter einem Pseudonym veröffentlichte.

Erst als er durch die mütterliche Freundin Madame de Berny von seinem frühen Minderwertigkeitskomplex befreit wurde und begriff, dass er über Paris, wie er es tagtäglich erlebte, schreiben musste, gewannen seine Romane an Qualität. Ab 1829 wurde Balzac zu einem berühmten und viel gelesenen Schriftsteller, und zwar in ganz Europa. Parallel mit seinem Ruhm stieg aber auch sein Gefallen am äußeren Putz: Einmal soll ihm seine Mutter "ein halbes Dutzend heugelbe Glacéhandschuhe" aufs Land schicken, schließlich ist in jeder Lebenslage die passende Kleidung gefragt. Auch die jeweiligen Wohnungen sollten standesgemäß eingerichtet sein: Teppiche, goldene Vasen, kostbare Bücher, selbstverständlich in Leder eingebunden, waren ja wohl das mindeste, was ihm zustand. Mit quälender Genauigkeit beschreibt Willms den fatalen Kreislauf: Balzac, ein "Genie im Schuldenmachen", gab Geld aus, das er noch gar nicht verdient hatte, und zwar mit vollen Händen. Dauernd hatte er neue Geschäftsideen, eine spektakulärer als die andere, die er dann noch spektakulärer in den Sand setzte. Allein das Spiel mit seinen Gläubigern ist die Lektüre der kurzweiligen Biographie wert: eine Gebrauchsanweisung für die Kunst des knapp vermiedenen Bankrotts.

Durch seine Schulden blieb Balzac tragischerweise an seine Mutter gebunden. Auch bei ihr stand er tief in der Kreide, und eines Tages begann die Mutter auch noch, ihm den Haushalt zu führen und seine Gläubiger in Schach zu halten. Rettung konnte nur eine andere Frau bringen – möglichst reich, möglichst adelig. Die Gräfin Hanska, die eines Tages per Brief in sein Leben trat und von einem fernen ukrainischen Schloss sehnsüchtige Botschaften sandte, wurde zu seiner Zuflucht. Nach einem Eheversprechen zu Lebzeiten des Grafen Hanska und 18 Jahren Brieffreundschaft, die nach dem Tod des Grafen eine unterwürfige Note bekam, gelangte Balzac dann doch noch ans Ziel und heiratete 1850 seine polnische Gräfin. Nur wenige Monate später starb er an Erschöpfung.

Ein sinnenfreudiger Mann mit beträchtlichem Frauenverschleiß, ein Prasser und Putzsüchtiger, ewig im Produktionsrausch begriffen, mit großem Gespür für Zeitströmungen, im Innern empfindsam und immer von blindem Optimismus beseelt – so schildert Willms den Schriftsteller. Johannes Willms liefert nicht nur einen unterhaltsamen Abriss des Künstlerlebens, sondern wartet auch mit einer aufschlussreichen Beschreibung des zeitgenössischen Buchmarktes auf: wie die Herstellung eines Romans von statten ging, wie mit Raubdrucken umgegangen wurde und wie Balzac seine Drucker in den Wahnsinn trieb. Balzac, so Willms, sei im deutschen Sprachraum nicht so bekannt, wie er es eigentlich verdiente, was zum Teil auf Goethes allzu eilfertiges Urteil zurückzuführen sei. Die Konsequenzen sind bis heute spürbar: immer noch fehlt es an einer vollständigen Übersetzung der Comédie humaine. Johannes Willms Biographie ist informativ, anschaulich und angenehm knapp. Sie setzt den Herkules der französischen Literatur in ein anderes Licht und erlaubt uns einen neuen Blick auf den Klassiker. Jetzt müssen die deutschen Leser nur noch seine Romane neu entdecken.

Rezensiert von Maike Albath


Johannes Willms: Balzac. Eine Biographie.
Diogenes Verlag Zürich 2007, 367 Seiten, 24, 90 Euro.