Eine Projektionsfläche für Ohnmacht, Verzweiflung, Feigheit

Von Martin Ahrends · 06.02.2012
Die Amtsräume des DDR-Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, wurden aufwendig restauriert und jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. An diesem Ort erweist sich, dass DDR-Geschichte weder ohne die Betroffenen noch allein durch sie aufgearbeitet werden kann, meint der Publizist Martin Ahrends.
Die Amtsräume des DDR-Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, wurden aufwendig restauriert und jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. Einige Bürgerrechtler kennen die Stasizentrale von früher her, sie waren dabei, als die Gebäude in der Berliner Normannenstraße gestürmt wurden wenige Wochen nach dem Mauerfall. Sie äußern jetzt das Gefühl, durch die Restaurierung etwas verloren zu haben und können schwer beschreiben, was es eigentlich ist. Ist es wirklich der muffige Geruch? Die Tastaturen, die ihren Platz gewechselt haben? Das rote Lämpchen über der Tür, dessen Fehlen ein Bürgerrechtler anmahnt? Zwei Besucher der Normannenstraße sehen exakt dasselbe und nehmen es auf grundverschiedene Weise wahr.

Mancher beschreibt nach einem Blick in dieses Mielkezimmer das spießige Design und kann das "Grauen" nicht finden, das dort angeblich zu entdecken sein soll. Bei anderen Besuchern kommt "das alles wieder hoch", was von ihren DDR-Ängsten an dieses Ministerium gebunden war. Ein Ministerium, das in der Verbreitung einer diffusen, lähmenden Angst weit effektiver war als in seiner sogenannten geheimdienstlichen Arbeit. Wer diese Angst kennt, der wird in Erich Mielkes Arbeitsräumen an sie erinnert, ein mystischer Ort der Allmacht und eine große Projektionsfläche für Ohnmacht, Verzweiflung, auch Feigheit. Hier herrschte ein Dämon, und hier kann man sich vergewissern, dass es gar keiner war, sondern nur der aufgeblasene kleine Herr Mielke.

An diesem Ort scheiden sich die ostdeutschen Gemüter: Hier kann man versuchen, das Mysterium aufrechtzuerhalten, indem man es sich nicht banalisieren, nicht profanisieren lässt. Oder man kann sich über die eigenen Angst-Projektionen und deren nur zeitweise Berechtigung klar werden. Gerade an diesem Ort erweist sich, dass DDR-Geschichte weder ohne die Betroffenen noch allein durch sie aufgearbeitet werden kann.

Während der Restaurierung der Mielke-Residenz gab es Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über DDR-Geschichte. Es scheint, als hätten die Ostdeutschen sonst keinen eigenen Ort, sich ihrer Geschichte zu vergewissern. Die Gedenkstätte in der Bernauer Straße inszeniert die sichtbare Spaltung der Stadt mit einem "Berlinwall" zum Anfassen und fotografieren, wie ihn die weit gereisten Touristen so dringend suchen. Und Erfahrungen, die man im ehemaligen Stasiknast Hohenschönhausen machen konnte, wollen die wenigsten nachträglich in ihre DDR-Erinnerung einlassen. Die heutige Gedenkstätte hat nur 30 Prozent ostdeutsche Besucher.

Doch wir Ostdeutschen wissen längst nicht genug von uns damaligen DDR-Bürgern. Dies Nichtwissen ragt als Verkennung und Verklärung in die Jetztzeit. Vieles von dem, was wir erlebt haben, ist ungeklärt geblieben. Der Blick von außen dominiert die Sicht auf unsere Geschichte. Das ist nicht gut, aber bequem für uns: Die fremde Deutung müssen wir nicht für uns gelten lassen. In der DDR-Aufarbeitung gibt es etwas, das Ostdeutsche mit Ostdeutschen abzumachen hätten. Doch wie? Die sich dem Staat verweigert haben, die den "Luxus" eines guten Gewissens damals mit erheblichen Einschränkungen ihrer beruflichen Entwicklung bezahlten und heute mit Altersarmut bezahlen, sie sind unsichtbar und werden es wohl auch bleiben.

Unsere Geschichte kann uns nicht in einem Gnadenakt abgenommen und nicht stellvertretend aufgearbeitet werden. Wir müssten uns miteinander erinnern, welche Entscheidungen wir damals warum getroffen haben. Was daran richtig oder falsch war. Oder auch beides. Es gibt da einen Gefühlsbrei aus Verletzung, Demütigung, ungeklärter, vielleicht gar nicht vorhandener Schuld, der jetzt immer noch wie ein zäher Kleister an uns klebt. Wir schweigen davon, in der bequemen Haltung: Uns will ja doch niemand hören.

Martin Ahrends, Autor und Publizist, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Der Autor und Publizist Martin Ahrends
Der Autor und Publizist Martin Ahrends© privat
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