Eine neue Art von Bühnenkultur

Von Gerd Brendel · 06.05.2011
Geschichten von Gastarbeitern fanden lange Zeit auf Laienbühnen statt und wurden bestenfalls im Lokalteil besprochen. Aber spätestens mit dem diesjährigen Berliner Theatertreffen sind diese Themen in der Theaterlandschaft angekommen.
"Wie sind wir denn?"

Die Frage, wer wir sind, steht am Anfang jeder Theaterpraxis. Das Theater als Ort, an dem sich eine Gesellschaft über sich selbst verständigt. Wer die Frage stellt und beantwortet, bestimmt, was auf der Bühne gespielt wird. Soweit, so schlecht, denn

"... es gibt ein Missverhältnis in diesem Land, dass seine Theater als Orte der Selbstvergewisserung versteht. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Selbstvergewisserung ohne die Geschichten von einem Großteil der Bevölkerung stattgefunden."

Einem Teil der Bevölkerung, dem Shermin Langhoff, Wahlberlinern aus Nürnberg mit türkischen Eltern angehört, sie und viele, viele andere.

"…, dass ich sah um mich herum Hunderte von talentierten begabten Schauspielern, Autoren Filmemacher und mir dachte: Was ist los im Theater?"

Dass Langhoffs Geschichten und das der anderen nicht vorkommen. Der Defiziterfahrung folgte die Gegenstrategie:

"Postmigrantisches Theater."

Das schillernde Adjektiv stammt aus der Literaturtheorie, und beschreibt, was in Büchern und in Filmen schon jahrzehntelang verhandelt wird, aber bisher in der deutschen Theaterlandschaft fehlte:

"… hat sich bezogen auf ne Generation die nicht mehr gewandert ist aber durchaus Geschichten schreibt, die von dieser Migration geprägt sind, oder Bilder dieser enthalten oder auch Bilder aus den Welten der Eltern."

In Shermin Langhoffs Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg werden diese Geschichten endlich erzählt. Zum Beispiel in dem Stück Bal Amanya.

"… war wichtig, weil wir versucht haben mit diesem Stück 50 Jahre Arbeitsmigration auf die Bühne zu bringen."

Das Stück hat Shirmins Hausdramaturg Tuncay Kulaoglu gemeinsam mit Nurkan Erpulat geschrieben. Daneben hat Erpulat ein Stück über schwule Türken auf die Bühne gebracht und mit "Verrücktes Blut" ein Stück über den Schulalltag in Kreuzberg. Der französische Film "La Journée de la Jupe" lieferte die Vorlage. Erpulat verlagert das Klassenzimmer aus der Pariser Banlieu in den Berliner Problemkiez. Hier treffen jugendliche Integrationsverweigerer auf eine deutsche Lehrerin mit Bildungseifer.

"Wie soll man Euch nicht für Affen halten, wenn Ihr noch nicht mal Vernunft aussprechen könnt?"

Als ihr im Schillerunterricht eine Pistole in die Hand fällt, zwingt sie ihre disziplinlosen Problemschüler kurz entschlossen mit vorgehaltener Waffe auf die Schulbühne

"Lern erstmal Deutsch. Lies das: sanftmütig ... nein: sanftmütig!"

"Sanftmütig?" Das postmigrantische Theater von Shermin Langhoff, Tuncay Kulaoglu und Nurkan Erpulat ist alles andere als sanftmütig. Sand statt Öl im Getriebe will es sein und erst recht kein schmückendes Beiwerk

"Postmigrantisches Theater ist kein Rahmenprogramm für Integrationsdebatten."
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