"Eine Nähmaschine finde ich überall"

Von Martin Tschechne · 22.07.2013
Die Designerin Katell Gélébart trägt selbst Mode aus Stoffen, die andere Menschen weggeworfen haben. Umweltbewusstes Handeln muss Spaß machen, sagt die 40-jährige Französin. Deshalb will sie dem Recycling mit Witz, Farbe und einem Lächeln zu Sinnlichkeit verhelfen.
Sie trägt einen Pullover, in den die Ärmel eines anderen Pullovers eingesetzt sind. Sie trägt einen Bolero aus Matratzendrell. Oder einen schneeweißen Mantel aus Fallschirmseide, dessen Ösen verraten: Er ist wirklich aus einem alten Fallschirm geschneidert. Katell Gélébart, 40 Jahre alt, schlank und zierlich wie eine 18-Jährige, trägt Mode aus Stoffen, die andere Menschen wegwerfen: ein Etuikleid, sehr elegant, aus Transportsäcken der Schweizer Post. Eine Winterjacke aus Armeedecken, einen Anorak aus bunt schillernden Espressotüten. Kann man so was tragen?

"Ich finde den sehr schick!"

Sagt die Museumskuratorin Angelika Riley, während sie einen pastellfarbenen Mantel auf einem Kleiderständer zurechtzupft. Im vergangenen Jahr hat sie der französischen Designerin eine Ausstellung in Hamburg ausgerichtet:

"So weit ich weiß, ist der aus einer neuseeländischen Wolldecke oder aus mehreren gemacht. Wunderbares Karo, einmal in hellblau-beige und in orange-beige, ein Raglanschnitt, ein knielanger Mantel mit einem sehr schönen Chinzfutter, bedruckten. Und bemerkenswert vielleicht auch noch die Knöpfe aus Computer-Tastatur-Buttons, würde ich mal sagen."

Anlass zur Ausstellung war die Verleihung eines Preises an Katell Gélébart, der nicht nur besonderes Engagement für Umwelt und Gesellschaft auszeichnet, sondern darüber hinaus ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ton. Denn wer eine Computertastatur zu Knöpfen für einen Mantel verarbeitet, der hat eine andere Botschaft als das ewig gleiche Mantra von Verzicht und drohendem Untergang.

"Als kreativer Mensch finde ich meine Anregungen, wohin ich auch komme. Und diese Haltung ist es, die ich weitergeben möchte."

Umweltbewusstes Handeln muss Spaß machen, sagt Katell Gélébart. Also setzt sie Begriffen wie "Wertstofftrennung" oder "Rohstoffrecycling" und ihrer grauen Aura so etwas wie Sinnlichkeit entgegen: Witz und Farbe, ein Augenzwinkern, ein Lächeln. Und ihr Freund Ron aus Rotterdam bestätigt, dass es für solche Mode auch keine Altersgrenze gibt:

"Ich hab' vor zehn Jahren eine Hose getragen, eine Hanfhose aus französischen Postsäcken. Total, und die Frauen haben mich nachgekuckt, obwohl, ich war dann damals 60 Jahre jung, äh, alt, und die fanden das auch sexy."

Das ist die erste Botschaft der Designerin aus der Normandie. Sie lautet: Wer Menschen überzeugen will, der muss ihnen entgegen gehen - zum Beispiel in die Boutiquen, an die Wühltische mit den T-Shirts für 3,95, von denen niemand gar zu genau wissen möchte, unter welchen Umständen sie wo produziert werden.

"Ein Bild ist besser als ein langer Vortrag"
Jemanden zu bestätigen, der ohnehin schon längst überzeugt ist - das ist keine Kunst. Dazu hat die Französin lange genug in Organisationen wie Greenpeace oder Robin Wood mitgearbeitet:

"In Frankreich sagen wir: Ein Bild ist besser als ein langer Vortrag. Genau das war es aber, was wir in den Umweltorganisationen dort getan hatten: Viel reden. Reports schreiben, Pressemitteilungen ausgeben - meinetwegen. Aber es ist viel besser, seiner Botschaft eine greifbare Form zu geben. Es liegt mir auch mehr."

Und dies ist die zweite Botschaft: Katell Gélébart führt das Leben einer modernen Nomadin. Besitzt nichts als ein paar persönliche Dinge und einen Laptop und lebt in Indien und Amsterdam, in Neuseeland und Paris, in der Ukraine, Barcelona, Berlin und demnächst, so teilte sie ihren Freunden in aller Welt gerade per E-Mail mit - demnächst werde sie zur Sommerakademie "Pentiment" auch mal wieder für eine Weile in Hamburg sein.

"Vor 30 Jahren hätte ich so nicht leben können. Es gab kein Internet, keinen Computer. Jetzt aber können wir wieder zu Nomaden werden. Mein Computer ist so etwas wie mein Büro. Und eine Nähmaschine? Die finde ich überall! Sogar in Indien. Also, warum sollte ich mich an einen Ort binden?"

Katell Gélébarts Leben als Nomadin des global vernetzten Zeitalters hat den Charakter einer Mission, ist politisch und vielleicht sogar visionär. Wenn die Designerin nach Indien oder in die Ukraine reist, dann, um sich auf den Ort einzulassen. Sie lebt bei den Menschen, mit denen sie arbeitet; sie reist ohne Gepäck, weil sie alles vorfindet: das Material, aus dem sich etwas herstellen lässt, die Tradition des Handwerks - sogar die Nähmaschine. Was sie mitbringt, ist Respekt. Sie gibt Menschen eine Arbeit, die ihrer eigenen Kultur und ihrem Lebensrhythmus entspricht. Und sorgt für Märkte und Käufer, damit diese Menschen eigenes Geld verdienen und bleiben können, wo und wer sie sind.

"Für die Kunsthandwerker in Indien oder die Heimarbeiterinnen in der Ukraine veränderte sich das gesamte Bild. Da kam jemand aus Paris - aus Paris! - und sagte ihnen, passt mal auf: Nehmt etwa ein altes T-Shirt, druckt etwas Neues darauf, und es hat nichts mehr mit Armut zu tun. Im Gegenteil: Es ist hip, es ist cool. Das hat alles geändert."

Linktipp:
Die Sommerakademie Pentiment läuft noch bis zum 10.8. in der Hamburger Akademie für Angewandte Wissenschaften, www.pentiment.de

Literaturtipp:
Christine Eichel: "Die Mülldesignerin. Wie Katell Gélébart die Welt verändert", Scorpio Verlag, München, 256 Seiten, 60 Fotos, 18,95 Euro
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