Eine Liebe in Zeiten des Bürgerkrieges

02.09.2008
Eine Parabel über die Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents hat der gebürtige Peruaner Daniel Alarcón mit "Lost City Radio" geschrieben. Im Zentrum seines Romans steht die Moderatorin Norma, die sich in ihrer Sendung darum bemüht, dass die während Bürgerkrieges "verschwundenen" Menschen nicht vergessen werden. Stück für Stück enthüllt der Autor dabei auch die Geschichte von Normas großer Liebe.
Daniel Alarcón, Jahrgang 1977, ist gebürtiger Peruaner, aber mit seiner Familie vor dem peruanischen Bürgerkrieg in den USA emigriert. "Lost City Radio" ist sein erster Roman. Alarcón hat ihn auf Amerikanisch geschrieben, kehrt aber thematisch in sein Herkunftsland zurück.

Der Roman spielt in einem ungenannten lateinamerikanischen Land, das von einer Militär-Junta beherrscht wird und vom Bürgerkrieg zerrissen ist. Unschwer ist dahinter das historische Modell zu erkennen: Alarcón hat den peruanischen Bürgerkrieg der 1980er- und 1990er-Jahre vor Augen, als das Land unter dem Terror der maoistischen Befreiungsbewegung des "Sendero Luminoso", des "Leuchtenden Pfads", zu leiden hatte.

Guerilla und Junta überzogen die Anden-Dörfer mit Massakern. Wechselseitige Vergeltungsaktionen hielten die Bevölkerung auf dem Land in hilfloser Angst, da sie unentwegt von der einen Seite zur Kollaboration gezwungen und von der anderen dafür bestraft wurde. Kämpfer wurden gewaltsam rekrutiert und in Gefechten verheizt, Tausende galten als "Verschwundene".

Es geht Alarcón aber nicht um einen historischen Roman über Perus jüngste Vergangenheit, so genau er sich auch an der Chronologie des peruanischen Bürgerkriegs orientiert. Vielmehr will er eine Parabel für den ganzen Kontinent entwerfen und dessen Zerrissenheit und Gewalttätigkeit paradigmatisch darstellen: die unversöhnlichen Konflikte zwischen sich globalisierenden Städtern und rückständigen indigenen Landbewohnern, die verelenden und zum Opfer terroristischer Bewegungen werden.

Alle Konflikte des Landes konzentrieren sich in Alarcóns Roman-Heldin Norma, einer Radio-Moderatorin mit berückend samtener Stimme, deren Sendung "Lost City Radio" im ganzen Land gehört und kultisch verehrt wird. Die Sendung arbeitet hart am Rande des Subversiven, da sie sich mit etwas beschäftigt, das laut Junta gar nicht existiert: mit den Verschwundenen. In der Sendung werden Listen vermisster Menschen verlesen. Per Live-Schaltung können sich Hörer melden und Auskunft geben oder suchen. Die Radiosendung arbeitet also gegen das offiziell verhängte Vergessen.

Die Romanhandlung kommt in Gang, als ein kleiner Junge Norma eine Vermissten-Liste seines Dorfes übergibt und sie auf ihr den Tarnnamen ihres verschwundenen Mannes Rey entdeckt. Offiziell war der Ethnobotaniker im Dschungel auf der Suche nach unerforschten Heilpflanzen unterwegs. Schritt für Schritt deckt der Roman die Liebesgeschichte Normas und Reys auf und enthüllt das Doppelleben des Mannes als Wissenschaftler und Mitglied der "Illegalen Legion".

Daniel Alarcóns Roman verquickt also eine Liebesgeschichte in Zeiten des Bürgerkriegs mit den Nöten eines paradigmatischen Anden-Dorfs, und das vor der Folie eines verwüsteten Landes, das gewaltsam zum Vergessen seiner Geschichte gezwungen wird.

Rezensiert von Sigrid Löffler

Daniel Alarcón: Lost City Radio
Aus dem Amerikanischen von Friederike Meltendorf
Roman, Wagenbach Verlag, Berlin 2008
315 Seiten, 22,90 Euro