Eine lichte Kathedrale des Wissens

Von Jürgen König, Hauptstadtstudio · 10.12.2012
Großbauprojekte dauern in Berlin inzwischen alle länger als geplant, doch dieses hat zumindest einen Teilerfolg zu vermelden: Nach mehr als acht Jahren Bauzeit ist nun endlich der große Lesesaal der Staatsbibliothek unter den Linden fertig. Die vollständige Sanierung der Bibliothek wird aber erst 2016 vollendet.
Die Staatsbibliothek Unter den Linden betritt man zur Zeit durch den Hintereingang Dorotheenstraße, und das erste, was dem Besucher auffällt, ist das giftig-gelbliche Grün der Fußböden und der Wände des gesamten Eingangsbereichs, das offiziell "Limonengrün" heißt, was die Sache aber nicht besser macht.

Damit will Architekt HG Merz darauf hinweisen, dass wir es bei diesem Eingangsbereich mit einem Provisorium zu tun haben und zwar noch bis 2015 oder 2016: Die in diesem Provisorium arbeiten müssen, können einem leid tun.

Dann aber wird es licht und freundlich: der Große Lesesaal, 30 Meter lang, 35 Meter breit, 36 Meter hoch, unten, auf rotgelbem Teppich an Tischen aus verschiedenen hellen Hölzern 250 Arbeitsplätze mit Internetanschluss, darunter 140 reservierbare Forscherplätze mit abschließbaren Containern, 19 über längere Zeit mietbare Arbeitskabinen, 10 Rechercheplätze mit PC für Internet- und Katalogrecherchen, 1 Blindenarbeitsplatz.

An den Wänden auf drei Stockwerken: Regale für etwa 127.000 Bücher, nach oben hin sind die Wände wie auch die Decke aus thermisch verformtem Glas: lichtdurchlässig, aber den Himmel sieht man nicht.

Während die Leihbibliotheken in Deutschland oft genug ein finanziell kümmerliches Dasein führen müssen, hat der Bund für die Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden mittlerweile 406 Millionen Euro ausgegeben. Warum wird soviel Geld in eine Bibliothek gesteckt?, fragen viele mit Blick vor allem auf die fortschreitende Digitalisierung. Wären diese Mittel nicht sinnvoller für den dringend nötigen Ausbau der "Deutschen Digitalen Bibliothek" innerhalb des Projekts der "Europeana" ausgegeben worden?

Nein – alle Festredner waren sich einig; Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, geriet fast ins Schwärmen:

"Natürlich hat sich unser Umgang mit Wissen, unsere Arbeit, unsere Arbeitstechniken, unsere Verfahrensweisen haben sich geändert; die digitale Welt bringt ungeahnte Möglichkeiten, weiter mit Wissen umzugehen, Wissen weiter zu demokratisieren – und dennoch: diese Verknüpfung, die Möglichkeit, sich Handapparate aufzubauen, sich mit gleichgesinnten Kommilitonen und Kollegen auszutauschen: all diese Möglichkeiten – ich will gar nicht über die Autopsie und die Wirkung des Originals sprechen, all das, was man nur in einer Bibliothek machen kann, das wird immer wichtiger. Bibliotheken werden heute auch zu sozialen Orten, die Zahlen zeigen es ja nicht nur in Berlin, im Grunde international: die Lesesäle der Bibliotheken werden überrannt."

Ingeborg Berggreen-Merkel, die Vertreterin von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, pries ihrerseits die Staatsbibliothek als größte deutsche Universalbibliothek, die auch in der Informationsgesellschaft eine führende Rolle einnehmen werde.

"Sie besitzt Schätze, großartige Schätze. Und wegen dieser Schätze, wegen dieser großen Zahl von Büchern, ist der Standort Unter den Linden eben als historische Forschungsbibliothek ausgebaut worden. Und das ist keine Absage an die Neuen Medien. Ganz im Gegenteil: Wir setzen heute Bibliothek im digitalen Umfeld mit der Sammlung von unerschöpflichem Wissen gleich. Es sind die Bestände der Staatsbibliothek außerdem zuständig für eine wachsende Zahl an Datenbanken und anderen elektronischen Ressourcen erweitert worden. Und obwohl sicher im Zeitalter der digitalen Medien Forschung zunehmend mit diesen Medien betrieben wird: Es bleiben doch die Orte der persönlichen Zusammenkunft physisch greifbare Orte des kulturellen Selbstverständnisses unseres Landes."

Neben dem "Allgemeinen Lesesaal" wurde ein Lesesaal für wertvolle Drucke neu gebaut sowie zwei Etagen mit Tresormagazinen, in denen etwa die originalen Handschriften von Beethovens 9. Symphonie, von Mozarts Zauberflöte, von Bachs Weihnachtsoratorium aufbewahrt werden. Eine Klimaanlage wurde eingebaut, eine Buchtransportanlage, eine "Digitalisierungsstraße" mit 15 Scanner-Plätzen, mehrere Restaurierungswerkstätten.

Mit der Sanierung des Altbaus hat man begonnen, der nun bevorstehende Abriss der beiden zu DDR-Zeiten gebauten Lesesäle, die das Berliner Landesdenkmalamt zum Unverständnis vieler Berliner als "nicht denkmalschutzwürdig" eingestuft hatte, wurden bei der Schlüsselübergabe ebensowenig erwähnt wie die vielen Bauverzögerungen durch technische Schwierigkeiten oder Firmenpleiten beteiligter Unternehmen. Den größten Teil der Wegstrecke habe man hinter sich, meinte Hermann Parzinger, mit "modernster Infrastruktur" sei die Staatsbibliothek Unter den Linden ein – zukünftiges - "Herzstück" des Wissenschaftsstandortes Berlin, und über das, was noch fehlt, geriet er schon wieder ins Schwärmen.

"Was noch kommt, ist dann der Südbereich zu Unter den Linden hin: Die Kuppel über dem Hauptportal wird wieder errichtet, die Sonderlesesäle werden saniert, und wenn Sie sich dann mal vorstellen, um das Jahr 15/16 herum, wenn Sie dann Unter den Linden, unter der Kuppel des Hauptportals durch, durch den Brunnenhof, und dann kommen sie auf der Großen Freitreppe, die dann hochführt in das Vestibül, wo es dann zu den Sonderlesesälen geht oder eben auch hier, in diesen großartigen Lesesaal – dann kann man nur sagen, dann wird hier eine wahre via triumphalis in dieser Kathedrale des Wissens entstehen, und auf diesen Tag freuen wir uns alle schon sehr."

Die "via triumphalis in dieser Kathedrale des Wissens"... Wie sagte meine Großmutter immer, angesichts sehr kühner Pläne und verwegener Hoffnungen: Erleben muss man's.
Eröffnung des großen Lesesaals der Staatsbibliothek Berlin am Standort Unter den Linden
Eröffnung des großen Lesesaals der Staatsbibliothek Berlin am Standort Unter den Linden.© dpa / picture alliance / Britta Pedersen