Klima in der Literatur

Der Planet schlägt zurück

158:57 Minuten
Aufnahme von der ISS auf das Auge eines Hurrikans.
Hurrikan Florence auf dem Weg Richtung US-Ostküste. © Getty Images / NASA
Von Jane Tversted und Martin Zähringer · 27.05.2023
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Das Klima beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch die Literatur: "Climate Fiction" ist eine literarische Strömung, die seit Jahren die Herausforderungen, Ängste und Hoffnungen der Klima-Debatte reflektiert und weiterdenkt. (Erstsendung 07.03.2020)
Das Klima ist für die Literatur nicht nur eine Herausforderung technischer Art – Wie erzähle ich so etwas Komplexes? –, es verbindet auch verschiedenste Genres und Ausdrucksformen zu einem weiten literarischen Feld. Der amerikanische Journalist Dan Bloom hat es im Jahr 2007 als Climate Fiction oder auch CliFi bezeichnet.
Für zwei ihrer besten Kenner, Axel Goodbody und Adeline Johns-Putra, ist Climate Fiction: "Eine Art von therapeutischem Raum, in dem die Kollektivangst des Anthropozän geäußert, geteilt und durchgearbeitet wird."

Literarischer Protest gegen mangelhafte Klimapolitik

Climate Fiction ist nach einer engeren Definition die Literatur, die den menschengemachten Klimawandel anerkennt und thematisiert – teils lange, bevor die Debatte darum im Mainstream angekommen war. Aber nicht nur im Sinne einer abschreckenden und furchterregenden Entwicklung, sondern, wie Goodbody und Johns-Putra schreiben: "Mit ihrem Potential an ermutigender Reflexion und Motivation kann man CliFi auch als einen Träger des Protestes gegen die fehlende Klimapolitik betrachten".

Axel Goodbody & Adeline Johns-Putra: "Cli-Fi. A Companion" (engl.)
Peter Lang, Oxford 2018
236 Seiten, 37,10 Euro
Lesen Sie hier die Einleitung.

Axel Goodbody war bis zu seiner Emeritierung als Professor für deutsche und europäische Kultur in Bath in England tätig. Er hat viel über literarische Repräsentationen von Natur und Umwelt publiziert. Außerdem ist er der führende Experte für die deutsche Climate Fiction.
Ein älterer Herr mit Sakko, Brille und schütterem Haar. Er lächelt, hat die Hand gestikulierend erhoben und scheint gerade in ein Mikrofon vor ihm zu sprechen.
Der Germanist und Experte für Climate Fiction Axel Goodbody.© privat
Goodbody erkennt in der Climate Fiction eine Art zweite Phase, die auf die Umweltliteratur der Siebziger und Achtziger folgt: "Das Thema Klimawandel ist eigentlich erst zum öffentlichen Thema geworden gegen Ende der 80er Jahre. Aber erst gegen 2000 herum kamen dann mehrere Werke heraus", so Goodbody, "und eigentlich kamen erst bekannte Schriftsteller gegen 2010 zum Thema."

Klimaforscher als Helden – und als zwielichtige Gestalten

Heldinnen und Helden der erzählenden Literatur zum Klimawandel sind oft die Klimaforscher, etwa in Barbara Kingsolvers "Das Flugverhalten der Schmetterlinge" von 2014: Der auftretende Wissenschaftler ist hier ein Kämpfer für die gute Sache und in der Lage, seine weniger wissende Umgebung an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
Allerdings kommen die Klimaforscher nicht immer gut weg und geraten manchmal eher zu Antihelden ihres Versagens. Etwa im 2012 erschienenen Roman "Die Prophezeiung" von Sven Böttcher. Die Klimawissenschaft wird hier nicht als Unternehmen der Weltrettung geschildert, sondern als von Interessen bestimmter Marktplatz mit sehr menschlichen und teils kriminellen Akteuren.
Auch der britische Autor Ian McEwan setzt in seinem Klimawandelroman "Solar" von 2010 auf die Figur des zwielichtigen Wissenschaftlers, der sich zu einem nur auf den eigenen Vorteil bedachten Klimakapitalisten entwickelt.
Interview mit Ian Mc Ewan über seinen Roman "Solar":

Wissenschaftsvermittlung als positive Erzählung: Alice im Klimaland

Für die fachlichen Aspekte seines Romans hat McEwan unter anderem am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung recherchiert, erinnert sich Margret Boysen, studierte Geologin und Leiterin des dortigen Künstlerprogramms. Margret Boysen ist auch Autorin und macht die Klimawissenschaft selbst zum Subjekt eines Romans: "Alice, der Klimawandel und die Katze Zeta".

Margret Boysen: "Alice, der Klimawandel und die Katze Zeta"
Edition Rugerup, Berlin 2016
278 Seiten, 21,90 Euro

Boysen erzählt die Geschichte der Berliner Schülerin Alice, die mit ihrer Schulklasse das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf dem Telegrafenberg besucht und dabei versehentlich im Inneren eines Superrechners landet. Hinter den Computer-Bildschirmen erlebt sie die Welt der Klimamodelle, allerdings mit ein paar fantastischen Zusätzen.

"Die eigentliche Motivation für das Buch, das begann schon 2010, als man begann Klimawissenschaftlern Morddrohungen zu schicken", erzählt Boysen. "Und die Stimmung war so antiwissenschaftlich, dass ich gedacht habe, man muss noch mal eine richtige Lanze brechen für die Wissenschaft, wie spannend die ist, welchen strengen Qualitätskontrollen sich eigentlich die Wissenschaftler aussetzen."
Eine blonde Frau in schwarzer Kleidung schaut lächelnd nach schräg oben in die Kamera.
Die Geologin und Autorin Margret Boysen, künstlerische Leiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.© Wolfgang Schmidt/Margret Boysen

Vom Klimaaktivismus zur Ökodiktatur?

Aber nicht nur die Klimawissenschaft, sondern auch der Klimaaktivismus wird in der Climate Fiction aufgegriffen. So etwa im ersten Ökothriller in deutscher Sprache: "Palmers Krieg" von Dirk C. Fleck, erschienen 1992. Das Buch beschreibt die Entführung eines Öltankers von Tokio nach New York: Ein Ölmanager in gehobener Position bekommt eine tödliche Krankheit, geht in sich und wechselt die Seiten. Er will dafür sorgen, dass die Welt über die Gefahren des Treibhauseffektes und die Rolle der Ölindustrie informiert wird und dass die Regierungen Gegenmaßnahmen zum Klimawandel ergreifen.
Dirk C. Fleck sitzt auf einem Sofa.
Der Autor und Journalist Dirk C. Fleck.© Martin Zähringer
Das Motiv des Ökoterrorismus hat ein reales Vorbild in den sogenannten "Waldkriegen" der 80er und 90er Jahre an der amerikanischen Westküste, als militante Umweltgruppen wie "Earth First" mit Sabotageakten gegen Abholzung kämpften. Diese radikale Form des Aktivismus verarbeitet auch der amerikanische Autor T.C. Boyle in seinem im Jahr 2000 (2001 auf Deutsch) erschienenen Roman "Ein Freund der Erde". Bei Fleck wie bei Boyle gerät aber die Sorge um den Planeten mit der um die Menschheit in Konflikt: "Denn um ein Freund der Erde zu sein, muss man zum Feind des Menschen werden", wie es bei Boyle heißt.
Stämme treiben vor einem Werk der Pacific Lumber Company im Wasser.
Die Pacific Lumber Company war beteiligt an der Abholzung Teile des Headwaters Forest im Jahr 1998.© Getty Images / Andrew Lichtenstein

T.C. Boyle: "Ein Freund der Erde"
Hanser, München 2001
360 Seiten, 19,90 Euro

1993, ein Jahr nach "Palmers Krieg", veröffentlichte Fleck den Roman "GO! Die Ökodiktatur". Hier wird das vollzogen, was in "Palmers Krieg" noch der Wunsch eines radikalen Ökokriegers geblieben ist: Im Jahr 2020 legt eine Virenattacke die gesamte Infrastruktur des globalen Kapitalismus lahm und ein zwölfköpfiger Ökorat übernimmt die Macht. Die Ökodiktatur ist das Resultat einer Torschlusspanik und im Grunde die Beschreibung einer totalitären Ideologie, ein Ökofaschismus, der sich mangels einer rationalen Umweltpolitik durchsetzen könnte.
Seither habe sich die CO2-Konzentration und die Erwärmung des Klimas noch deutlich verschärft, wie Fleck betont: "Da können Sie jeden Wert, den wir damals gemessen haben mit dem heutigen vergleichen und alles ist zehnmal schlimmer geworden."

Schellnhuber: Wissenschaft muss aufrütteln

Und Professor Hans Joachim Schellnhuber, Klimasystemforscher und Gründer des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, beobachtet: "So ganz langsam überkommt alle die Gewissheit: Scheiße – wir werden alle verrecken."
Der deutsche Klimaforscher und Direktor des 1992 gegründeten Institutes für Klimafolgenforschung in Potsdam, Hans Joachim Schellnhuber, sitzt an einem Schreibtisch voller Bücher
Der deutsche Klimaforscher und Direktor des Potsdamer Institutes für Klimafolgenforschung Hans Joachim Schellnhuber© dpa-Zentralbild
Schellnhuber ist auch der Autor eines autobiografisch erzählenden Sachbuches mit dem Titel "Selbstverbrennung". Das Buch rekonstruiert die Geschichte der Klimawissenschaften, was besonders spannend ist, weil sich die Geschichte immer in einer dramatischen Auseinandersetzung mit Politik und Wirtschaftsinteressen abspielt.

Hans Joachim Schellnhuber: "Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff"
C. Bertelsmann, München 2015
784 Seiten, 29,99 Euro

Eine entscheidende Verantwortung für gesellschaftliche Aufklärung sieht Schellnhuber bei der Klimawissenschaft selbst: "Ich bin aufgrund meiner tieferen Einsicht in die Dinge verantwortlich dafür, die Risikohinweise notfalls so penetrant und dramatisch vorzubringen, bis sie Wirkung zeigen."

Radikalisiert sich die Klimaforschung?

Auch der Schriftsteller Ilija Trojanow hat für sein Buch "Eistau", das 2011 bei Hanser erschien, an einem Klimainstitut recherchiert. Der Roman erzählt die Tragödie eines Gletscherforschers, der sich zunehmend radikalisiert. Eine Tendenz, die sich heute bestätige:
"Man sieht ja auch ganz klar bei den Potsdamern, dass sie jetzt beginnen die Systemfrage zu stellen, während sie noch vor zehn Jahren dachten, mit ordnungspolitischen Regelungen, mit einer vernünftigen Bundesregierung, die auf ihre Empfehlungen hört, könne man die Sache wuppen, jetzt merken sie – Nee. Und ich glaube, dieser faule Klimapakt wird sie jetzt erst noch mehr radikalisieren."
Interview mit Ilija Trojanow über sein Buch "Eistau" (2011):

Retten kann die Menschheit sich nur selbst

Das Gegenstück zu dieser Radikalisierung – die verbreitete Weigerung, auf die Wissenschaft zu hören – beschäftigt den Wiener Schriftsteller Thomas Aiginger. In seinem Roman aus dem Jahr 2018 mit dem Titel "Ausnahmezustand" lässt er Nachrichten aus dem Weltall die Klimadebatte aufmischen.
Die Pointe in Aigingers Roman ist aber, dass es keinen anderen Akteur im Kampf gegen die menschengemachte Klimakatastrophe geben kann als den Menschen selbst. Warum aber reagieren viele Menschen mit Abwehr auf die Klima-Forscherinnen und Aktivisten? Eine Ursache sieht Aiginger in Schuldgefühlen:
"Dass einfach Menschen, die jetzt 20 Jahre erklärt haben, den Klimawandel gibt es nicht und wir können weitermachen wie bisher, das einfach nicht vertragen, wenn da ein 16 jähriges Mädchen daherkommt und ihnen sagt: Ihr seid schuld, dass meine Generation nicht mehr so leben kann wie ihr. Ich glaube, dass das für viele Menschen schwierig zu akzeptieren ist."

Wurde der Klimawandel gezielt vertuscht?

Klimaforscher Schellnhuber weist neben Verdrängung und Trägheit noch auf eine andere Ursache der Untätigkeit hin: "Es gab natürlich tatsächlich eine gesteuerte Kampagne." Ausgerechnet die Forschergruppen der Ölindustrie hätten schon Mitte des 20. Jahrhunderts die Erderwärmung und den zu erwartenden CO2-Anstieg erstaunlich präzise vorhergesagt – aber nicht veröffentlicht: "Diese Ergebnisse wurden klassifiziert und man begann, im Gegenteil, in der Ölindustrie ganz bewusst Zweifel zu streuen."

Das Investigativ-Netzwerk Correctiv hat über aktuelle Netzwerke zur geschäftsmäßigen Klimaleugnung recherchiert.

Mit der Geschichte dieser verpassten Chance zur Rettung der Erde, befasst sich auch der amerikanische Schriftsteller Nathaniel Rich in seinem erzählenden Sachbuch "Losing Earth". Rich berichtet darin, wie die amerikanische Regierung bewusst die Informationen und Warnungen der Wissenschaft und Umweltorganisationen zu ignorieren wählte und sich auf die Seite der Industrielobbyisten schlug.

Gedichte über den Hurrikan

Die Folgen des aktiv verhinderten Klimaschutzes bekommt in den USA oft vor allem die schwarze Bevölkerung zu spüren. So auch, als der Hurrikan Katrina 2005 New Orleans verwüstete: Fast 2000 Menschen starben in den Fluten und durch fehlende Hilfeleistungen, hunderttausende wurden obdachlos – ein Großteil davon Afroamerikaner.
Die Umweltgerechtigkeit (Environmental Justice) ist ein traditionelles Thema in der afroamerikanischen Literatur und Poesie der USA. Es gibt allein drei Gedichtbände, die sich nur mit Katrina auseinandersetzen. Einer stammt von Patricia Smith, einer gefeierten Dichterin in den USA: "Blood Dazzler" – Blut-Blender, 2010 für den National Book Award nominiert. Darin beschreibt Smith die Schicksale der Opfer, aber sie versetzt sich auch in den Hurrikan selbst hinein: "Katrina" ist tatsächlich "eine Frau, die sich Gedanken macht", so Smith.
Patricia Smith liest aus "Blood Dazzler" (2010):

Klimakrise und Kapitalismus

Neben der Gegenwartsbeschreibung und dystopischen Folgen des Klimawandels beschäftigt sich die Climate Fiction aber auch mit Hoffnungsschimmern und Lösungswegen. Ein prominenter Vertreter dieser Richtung ist der Kalifornier Kim Stanley Robinson.
In seiner 2004-2007 erschienenen Klima-Trilogie "Science in the Capital" spielt der bekannte Science-Fiction-Autor durch, wie sich die Rettung der Erde im Zeichen des fortgeschrittenen Klimawandels vollziehen könnte.
Vortrag von Stanley Kim Robinson: Wie das Klima die Gesellschaft verändert
Im 2017 erschienenen Roman "New York 2140" sind hingegen alle Rettungsversuche zu spät gekommen: Mehrere Flutwellen haben weltweite Verwüstungen angerichtet, Downtown Manhattan steht 15 Meter unter Wasser. Die New Yorker haben eine Art Ökosubkultur entwickelt und die Bürotürme in Wohngenossenschaften umgewandelt. Aber New York ist noch immer die Metropole des Finanzkapitals und in Uptown Manhattan blüht die Immobilienspekulation.

Kim Stanley Robinson: "New York 2140"
Heyne, München 2017
816 Seiten, 16,99 Euro

Vor diesem Hintergrund widmet sich Robinson dem Zusammenhang von Klimakrise und Kapitalismus – und der Frage, wie ein anderes Zusammenleben aussehen könnte. Unter anderem spielt er die Verstaatlichung des Finanzsystems durch. Was heute unrealistisch klingen mag, ist für Robinson nur eine Frage der Zeit:
"Als Science-Fiction-Autor sagst du: Was nicht passieren kann, wird nicht passieren. Also kann der Kapitalismus nicht weiter expandieren und immer weiter alles zerstören, etwas wird passieren. Es ist nicht heraus, was es sein wird und wie man es nennen wird, aber es wird kein Kapitalismus sein."

Lesen Sie das vollständige Manuskript zur Sendung: Manuskript als PDF.

Produktion dieser Langen Nacht:
Autoren: Jane Tversted und Martin Zähringer; Sprecher: Sabine Arnhold, Cathlen Gawlich, Anika Mauer, Jörg Hartman, Michael Rotschopf, Lisa Hrdina; Regie: Beate Ziegs; Redaktion: Dr. Monika Künzel; Webbearbeitung: Constantin Hühn

Über die Autoren:
Jane Tversted, geboren in Kopenhagen, lebt seit 1993 in Berlin. Sie hat Germanistik und Philosophie studiert. Sie übersetzt ins Dänische und publiziert seit 2012 Feature, Hörspiele und Reportagen für ARD und DLF.

Martin Zähringer, geboren im Schwarzwald, studierte in Berlin und Kopenhagen Neue Deutsche Literatur und Nordistik und arbeitet seit 2004 als Literaturkritiker für Print und Funk. Seit 2012 gemeinsam mit Jane Tversted als Featureautor tätig.

Das Autorenteam bewegt sich thematisch an den Schnittstellen von Kunst, Politik und Gesellschaft, primär mit einem internationalen Fokus. Letzte Features aus ihrer Feder: "Gemeinnütziger Widerstand" SWR 2019, "Climate Fiction" WDR/DLF 2018. Mit dem "Climate Cultures network berlin" kuratieren sie das 3-tägige "Climate Fiction Festival" im Juni 2020 im Literaturhaus Berlin.

Redaktioneller Hinweis: Wiederholung vom 7. März 2020.

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