Eine Lange Nacht über Wenzel, den Dichter und Sänger

Halte Dich tapfer am Rand!

Der Musiker Hans-Eckardt Wenzel war zu Gast in der Sendung "Tonart" im Deutschlandradio Kultur.
Der Musiker Hans-Eckardt Wenzel war zu Gast in der Sendung "Tonart" im Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio - Matthias Horn
Von Harald Pfeifer · 18.07.2015
Am Anfang war er einer von vielen. Aber ein Mitmacher war Hans-Eckardt Wenzel nie. Beim Liedtheater Karls Enkel gehörte er zu denen, die die künstlerischen Prozesse steuerten, die Hammer-Revue 1982 wurde ästhetisch zum Ausgangspunkt der Laufbahn vieler dieser Enkel. Im gleichen Jahr war er dann einer von zweien, im Clowns-Duo Wenzel & Mensching.
Zeitgemäß stand der alltägliche Dadaismus der DDR im Mittelpunkt. Das war ein Possenspiel mit der Zeit. Anfangs erinnerte das noch an ein literarisch-musikalisches Programm, dann aber wurde der Spott dreister und zunehmend offensichtlicher. Aber keineswegs vernichtend. Menschen wie Wenzel sind Künstler und keine Ideologen. 1999 hatte der gemeinsame Spaß ein Ende und Wenzel wandte sich als Solist endgültig der Poesie und dem Lied zu.
Mehr als 30 CDs hat er produziert, jede ist eine Welt für sich, jede trägt spürbar den Atem der Zeit und jede ist Gegenentwurf für eine mehrheitsfähige Welt.

Auswahl Bücher:
Hans-Eckardt Wenzel: Lied vom wilden Mohn. Mitteldeutscher Verlag 1984
Hans-Eckardt Wenzel: Antrag auf Verlängerung des Monats August. Mitteldeutscher Verlag 1986
David Robb: Zwei Clowns im Lande des verlorenen Lachens. Christoph Links Verlag 1998
Steffen Mensching, Hans-Eckardt Wenzel: Abschied der Matrosen vom Kommunismus. Eulenspiegel Verlag 1999
Wenzel: Seit ich am Meer bin. Matrosenblau Verlag 2011
Auswahl CDs:
Karls Enkel, Wacholder, Beckert & Schulz: Hammer=Rehwü. Nebelhorn 1993
Hans-Eckardt Wenzel: Stirb mit mir ein Stück. Buschfunk 1995
Wenzel: Lied am Rand. Buschfunk 1997
Ticky Tock: Wenzel singt Woody Guthrie. Conträr Musik 2003
Wenzel: Himmelfahrt. Conträr Musik 2005
Wenzel: Vier Uhr früh. Conträr Musik 2006
Wenzel: Glaubt nie, was ich singe. Conträr Musik 2007
Masken: Wenzel singt Christoph Hein. Matrosenblau 2009
Wenzel: König von Honolulu. Matrosenblau 2009
Wenzel: Kamille und Mohn. Matrosenblau 2010
Wenzel: Widersteh, solang du´s kannst. Matrosenblau 2013
Wenzel: Viva la poesia. Matrosenblau 2014
Sterne glühn: Wenzel singt Johannes R. Becher. Matrosenblau 2015
Zitate:
Zum Liedtheater "Karls Enkel"
Stefan Körbel: Wir hatten was Wildes vor, wir wollten uns vom Durchschnitt der Singebewegung sozusagen ein bisschen absetzen, indem wir das alles nicht so ernst nahmen, ein bisschen lockerer und ein bisschen sinnlicher und hatten aber auch ziemlich viel Literatur im Kopf, kannten uns schon ein bisschen aus mit Brecht und Tucholsky und allen möglichen anderen. Wenzel zog dann kurz bei mir ein, der kam aus Wittenberg, und der hatte noch keine Bude in Berlin, die kriegten alle erst mal nur einen Wohnheimplatz, wenn man von außen kam, die kriegten ja nicht gleich eine Wohnung. Ich hatte aber eine, weil ich ein Berliner war. Wenzel zog paar Tage bei mit ein und wir spannen rum, was wir da machen wollen. Und das besiegelten wir mit einer Flasche Whisky, die ich von meinen Eltern hatte. Und gingen dann auch noch nachts im eiskalten Kaulsdorfer See baden, das war im Winter 76. Ja, und fingen an zu proben und hatten Premiere im Februar 1977 im Grafikkeller in Leipzig. Kurt Demmler war im Publikum, Klaus Koch, der damals Leiter der Moritzbastei war, viele andere und die Premiere ging schon mal grandios, wir kriegten gute Komplimente und heiße Zustimmung und da war klar, dass wir das weiter machen.
Wenzel: Die Absicht war, sagen wir mal, ein Grundmaß an Loyalität, das man mit bestimmter Kunst mit dem Staat eingegangen ist, nicht mehr aufrecht zu halten. Also ein clowneskes Spiel zu entfachen, wo man nicht mehr den Argumenten glauben muss, sondern mit der Naivität von Kindern auf die Welt gucken kann. Und sagen kann, hey das ist doch alles Unsinn der Doppelbeschluss. Also es heißt ja nicht Doppelbeschluss, NATO-Doppelbeschluss oder Aufrüstung des Ostens, sondern es wird sozusagen spielerisch gemacht. Das war in den 80er-Jahren für mich ein möglicher Ausweg. Diese Unmittelbarkeit, also was man zur Verfügung hatte, war irgendwann auch langweilig und provinziell, und ich merkte, dass man damit nicht mehr weiterkommt. Und so brauchte man etwas Offensives, ein Zirkus letzen Endes.
Dieter Beckert zu Wenzel: Das ist eine große Eigenschaft von ihm, finde ich, dass er sehr effizient denkt, dass er Ergebnisse auf der Bühne sehen will und weiß, was wirkt, dass er dichterisch und clownesk genug ist, zu wissen, was der Spieltrieb auf der Bühne ist. Er braucht den Spieltrieb. Also das muss ich mal sagen, er ist ein richtiger Bühnenmensch schon.
Wenzel: Die absolut überraschendste Erfahrung war die, dass es funktioniert hat. Also, ich bin immer ein sehr naiver Produzent, aber als wir es in Dresden im Rosengarten aufgeführt haben. Wir wussten nicht genau, wir wussten zwar, dass es schön war, wir haben uns gefreut, aber dass es dermaßen funktioniert hat und reingeschlagen hat, das hat mich überrascht. Und das war eigentlich nicht geplant. Da war auf einmal so ein Produkt, auf einmal merkte man he, da hat man irgendwie eine Stelle gefunden, da liegt sozusagen die Welt blank in meiner Hand. Und das war ein sehr großes Erlebnis, sich das selber auf einmal zuzutrauen. Weil wir als Generation doch mehr am Rand existiert haben. Erst kam die Nachkriegsgeneration, dann die jungen, meinetwegen in der Literatur, Volker Braun. Unsere Generation gehörte nirgendwo hin. Und auf einmal fanden wir ein Bild und einen Ausdruck für uns.
Zum Clowns-Duo Wenzel/Mensching
Christoph Hein: Es war dieser schräge Humor und dieses schräge Denken, was aber ganz andere Quellen hatte. Es war ein Benjamin für ihn unendlich wichtig. Mich interessierte das DDR-Cabaret nicht, überhaupt nicht, der erlaubte Witz, das störte mich daran sehr. Das war hier bei Wenzel/Mensching etwas vollkommen anderes, das war eben das DaDaeRige, wie es später mal hieß, was mich sehr faszinierte an den Beiden.
Wenzel: Wir hatten damals viele Lesungen gehabt, Lied und Text, und irgendwo sagte ich da zu ihm: Ich denke, wir sollten mal etwas anderes Machen. Lass und doch mal mit den Kostümen eine Lesung machen. Wir bereden vorher ein paar Szenen und improvisieren das einfach mal. Das wird klappen. Und dann braucht man noch einen Titel, wir hatten damals diesen Goethe- Abend "Dahin Dahin", das "de-a, de-a" war groß geschrieben, ich sagte, da nehmen wir doch "dada" und nehmen "er" noch hinten daran. Also "Neues Aus der DaDaeR". Und da hatten wir den Titel. Mehr auch nicht. Da sind wir Requisiten kaufen gegangen, an einem Vormittag vor der ersten Probe, in einer Drogerie, ne Klobrille - alles, was es gab, haben wir gekauft. Dann haben wir Szenen daraus entwickelt und den Abend dann - eigentlich war es so geplant, dass wir den einmal spielen. Und dann haben wir ihn gespielt und dann funktionierte das auch noch - auf eine gewisse Art noch viel strenger als bei der Hammer-Rehwü also, dass es noch mehr Dampf kriegte. Und so entwickelte sich dann diese Form daraus. Ist alles sehr unabsichtlich. Das ist, glaub ich, das Interessante, wenn man heute darauf guckt.
Christoph Hein: Es war für mich vor allem, weil sie all dieses unterlaufen haben, was das Programm des Staates war, aber sie unterliefen eben auch die Kritik daran. Also, die unterliefen alles. Und da konnte sie niemand bekommen und in sofern war das wirklich eine wirkliche kreative Nachfolge des Dadaismus, und das fand ich eine angenehme, sympathische Antwort auf die ideologischen Anforderungen. Wunderbar.
Wenzel: Sie sind beide auf eine gewisse Art absurd-naiv, es liegt an der Kostümierung natürlich, die die beiden haben, aber in der Weise waren sie nicht festgelegt. Wir waren, so wie früher in der commedia dell arte auch, die haben ein Eigenleben. Also die werden in jedem Stück andere. Die bleiben, wer sie sind, aber die ändern sich. Und die verändern ihr Verhältnis zueinander. So, wie wir als Wenzel/Mensching sozusagen gelebt haben, so haben sich parallel auch die Clownsfiguren verändert und wurden dann mal viel nachdenklicher, dann wurden sie wieder blöder, dann wurden sie wieder klüger, also so wie immer die Zeit mit ihnen umging. Das kann man ihnen nicht befehlen, das ist ein eigenartiges Eigenleben auf der Bühne, wenn das Licht angeht und man ist geschminkt, dann tun die eben, was sie wollen. Sie sind ungezogen.
Mensching: Wenzel und mich hat das Lachen interessiert. Wir waren damals an Bachtin dran, wir waren auch noch an Volker Klotz dran, über dieses Lachtheater, das hat uns alles im Zusammenhang mit Offenbach und dergleichen, hat uns das alles sehr interessiert. Die Verhältnisse durch Lachen zum Tanzen zu bringen. Und sich selbst nicht in Elegie, Tristes und Traurigkeit zu verlieren, sondern wirklich zu sagen, das ist absurd, dass wir unter bestimmten Unfreiheiten, unter Gängelungen, unter Denunziationen, unter all diese Pressagen, die wir in der DDR zur Genüge erfahren haben, dass wir darunter weiter nur leiden, sondern wir machen uns darüber lustig. Und helfen anderen Leuten vielleicht auch, Kraft zu gewinnen, den Mund aufzumachen, indem man die absurden Zustände verlacht. Und im Nachhinein war das, glaube ich, für uns der einzige Ausweg wirklich, in dem Land irgend weiter arbeiten zu können. Und entsprach natürlich auch unserem Naturell.
Wenzel: Wir haben über viele Jahre mit einem Dramaturgen zusammen gearbeitet, Heiner Maaß, der sozusagen die dritte Person war. Der saß immer beobachtend unten, nicht in allen Produktionen, aber es war immer notwendig. Je eigensinniger und erwachsener wir wurden, Mensching und ich, desto mehr hat man natürlich auf seiner eigenen Haltung bestanden. Das ist ganz klar. Und man konnte manchmal auch bis aufs Messer diskutieren. Und dann ist es gut, eine dritte Person zu haben, die sehr gerecht auf das guckt, was man tut und sagt, so machen wir das und so wird es gemacht. Aus. Schluss der Diskussion. Zum anderen eine Person, die aus dem strengen Theater kam, also nicht aus diesem clownesken Spiel, und die uns zu einer gewissen Disziplin erzogen hat und zu einer Genauigkeit. Also nichts zu verzappeln, keine Gesten, alle genau zu fühlen, zu halten, die Stimme, die Sätze richtig zu sprechen, dass sie nicht vom Gedanken nach unten fallen. Diese Dinge. Dafür braucht man jemanden, der sozusagen ein Lehrer ist. Und mit dem zusammen haben wir eigentlich alle gearbeitet.
Steffen Mensching: Das half einem ja immer, dass da Leute existierten, die so etwas schon formuliert hatten und das irgendwie als Modell einem vorstellen konnten. Dass man merkte, man ist nicht so alleine mit seinen Hoffnungen, die man in bestimmte ästhetische Mittel setzt, sondern das hat sich anderseits schon bewährt und das kann vielleicht funktionieren. Uns war ja die Art Kunst zu machen, nie nur empirisch und praxisbezogen, sondern wir haben immer natürlich auch mit kunstwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen Leuten zusammengearbeitet und haben immer auch das, was wir gemacht haben, selbst reflektiert. Unsere wichtigsten Freunde in dieser damaligen Zeit waren alles Wissenschaftler. Literaturwissenschaftler, Germanisten, Kulturwissenschaftler, Philosophen. Weniger Künstler, eher die Leute aus der Theorie. Die unsere Arbeiten mit uns auch besprochen haben, und das war für uns auch der - interessant eigentlich, indem ich es sage, fällt es mir auf, war eigentlich der wichtigere Aspekt.
F Das war insgesamt die Zeit in der es mir nicht sehr gut ging. 88. 87, 88, 89 brach das auf einmal zusammen, es lag ein Gedichtband von mir, ich glaube drei Jahre und wurde nicht veröffentlicht, paar Essays, die Platte kam nicht. Und es fing an, sich so zu sagen, um mich immer enger zu schnüren. Ich war dann auch recht krank, ich lag längere Zeit im Krankenhaus, weil ich irgendwie mit der ganzen Situation nicht mehr klargekommen bin. Das ist dann etwas, wo man schon merkt, das geht sehr an die Substanz, wenn ich keine Möglichkeit mehr habe, zu operieren. Anders herum wurden Legenden in die Welt gesetzt, dass Mensching und ich für die Staatssicherheit arbeiten würden, das waren sozusagen Enten, die die Stasi in den oppositionellen Kreisen verbreitet hatten. Das sind alles so Dinge, die einen sozusagen sehr hetzen, sehr hetzen und müde machen.
Wenzel: Ich glaube, Clownsein hängt mit zentrierten Staatswesen zusammen, die einen Kernhaben, wie die DDR oder ein katholisches Land sozusagen oder wie das Mittelalter. In einer dezentralen Gesellschaft, in der wir jetzt leben, ist die Funktion des Clowns mehr eine ornamentale. Er kann nicht so sehr in die Welt hineingreifen, er kann die Welt nicht auf den Kopf stellen, weil sie kein Zentrum hat, weil sie dezentral ist. Und das war eher der Punkt, als wir 2000, Mensching und ich, aufgehört haben damit, dass wir eigentlich - wir wussten, wir können das auch bis wir 80 sind spielen, diese Notenständernummer. Aber wir würden nichts innovativer mehr finden. Wir würden immer in dem alten Ornament herumwurschteln und quasi wie so alte Dinosaurier herumgereicht werden. Aber offensiv konnte man nicht mehr sein. Das war eine Form, die mit der DDR zu tun hatte. Und wir haben quasi bis 2000 unsere Leute noch begleitet in die andere Welt, wir haben im Westen auch ein paar Preise gekriegt, aber eigentlich hat das keinen mehr interessiert.
Hein: Da gab es große Schwierigkeiten für diese Art Humor, weil man den Background nicht kannte und der Dadaismus hatte ja auch in Deutschland nie wirklich Fuß gefasst. Es war doch immer von einer Skurrilität, die ja von einem großen Teil einfach abgelehnt wurde, aggressiv abgelehnt wurde. Aber in den 90er-Jahren waren in der DDR noch massenweise dadaistische Verhältnisse. Also das fing ganz einfach damit an, dass diese ganzen Gewendeten auf einmal wieder in den Positionen auftauchten und der FDJ-Sekretär und der Parteisekretär uns auf einmal als Vertreter der Deutschen Bank entgegen traten. Also diese Art von Humor und Skurrilität war in den 90er-Jahren noch heftig da. Ich meine, wir haben eine FDJ-Sekretärin als Kanzlerin, sehen Sie das ist doch wunderbare - hätte man früher aufschreiben können und alle hätten den Kopf geschüttelt über so viel Unsinn. Aber im Dadaismus ist alles möglich.
Hein zu Wenzel: Ungemein genau. Das war damals beim Film so, ich merk es auch jetzt, wir treten ja gelegentlich zusammen auf - ungemein präzise in den vorbereitenden Dingen, und er wird dann doch etwas stinkig, wenn dann irgendeiner auf der fremden Bühne oder von der Technik nicht korrekt arbeitet. Das kann er auf den Tod nicht ausstehen. Perfektion verlangt er sich ab und die verlangt er eigentlich auch von allen anderen. Das will er schon haben, da ist er schon sehr genau. Das ist doch, ja ich denke, letztlich eine Hochachtung vorm Publikum. Ungeprobt stellt man sich nicht vors Publikum und das Licht und der Ton das muss auch stimmen. Die Perfektion gehört zum Handwerk. Wenn er heute etwas findet, was mehr interessiert, als das, was er gerade macht, dann wird er das, was er gemacht hat hinschmeißen, und das Neue machen. Also da ist er einfach aufgeschlossen. Er hat natürlich auch Beschränkungen, die sich aus den Duoaufgaben ergaben, hinter sich gelassen und natürlich, wenn man alleine arbeitet, hat man ein paar Freiräume mehr, man hat Möglichkeiten mehr, man muss weniger Rücksichten nehmen, das gibt schon ein paar Anregungen. Aber es kann genauso sein oder ich könnte es mir vorstellen, dass es da eine neue Idee gibt, eine neue Möglichkeit, die ihn auf einmal so fasziniert, dass er von heute auf morgen auf dieser anderen Bühne schwimmt.
Wenzel als Solist
Wenzel: Es ist immer, dass für mich in bestimmten Zeiten diese und diese Themen sehr wichtig werden. Und dann fange ich an nachzudenken und zu gucken. Das Erste ist für mich Beobachtung. Für die Leute im Leben, für die ich singe. Gucken, wie die ticken, wie sie traurig sind, wie sie hoffen. Und dann gibt es eine oder zwei Zeilen, dann schreibt man das auf, macht da ein Lied draus. Dann kommt das andere hinzu, dann geht man ins Studio, und dann wir das noch einmal geändert, also die Produktionsweise kommt dann hinzu. Ich produziere das vor, meist alle Instrumente, und dann nehmen wir's aber noch einmal richtig auf, mit richtigen Profimusikern, also mit meiner Band. In der Zeit, wenn ich die Platte aufnehme, merke ich dann auf einmal, wie sich so eine Kontur entwickelt. Was vorher so aus Einzelteilen zusammenkam, fügt sich auf einmal. Weil es mit mir zu tun hat und mit einem bestimmten Abschnitt meines Lebens oder einer bestimmten Weltsicht. Manchmal nehme ich auch Lieder, die sind unveröffentlicht und 20 Jahren alt. Und die sind auf einmal auf dieser CD zum ersten Mal veröffentlicht.
Wenzel: Man sucht seine Brüder im Geiste, damit man nicht vereinsamt. Wir leben in einer so atomisierten Welt, die Nachrichten beliefern uns kaum noch mit dem, was uns interessiert. Wir brauchen Freunde, wir müssen uns gegenseitig stärken. Wir müssen uns zeigen, dass wir an einer ähnlichen Welt verzweifeln und von Ähnlichem träumen. Das ist das Entscheidende, glaub ich. In dieser Suche kommt natürlich das Unterschiedlichen aufeinander. Andre Leute, andere Generationen, die denken anders. Und dieses sich dem Nicht-Mainstream zu stellen, ist für mich ein Impuls, der ist nicht nur aus Gerechtigkeitssinn bei mir da, sondern, wie er mir etwas gibt, was ich sonst nirgendwo finde. Ich habe gerade vor ein paar Tagen die Johannes-R.-Becher-CD fertig gemacht. Das ist auch einer, der völlig vergessen ist. Das interessiert mich, da zu entdecken. Das sind andere Blickpunkte auf die Welt, und das habe ich bei Freunden. Und bei vergessenen Dichtern mehr als bei der Zeitung.
Nora Guthrie über Wenzel: Als ich ihn das erste mal sah, beobachtete ich das Publikum, weil ich nicht deutsch spreche. So hatte ich keine Ahnung, was da zu hören war. Und so beobachtete ich das Publikum. Und ich war beeindruckt, wie er sein Publikum fesselte. Aber das war nicht nur er, es war auch seine Haltung. Er hatte wahre Entertainer-Qualitäten. Was er auch sagte, das Publikum hörte zu.
Guthrie: Er tendierte zum politisches Kabarett. Ich mag das sehr. Ich fand, es war ein wirklich neuer Ansatz im Umgang mit politischen Themen, besonders aus amerikanischer Sicht. Diese Tradition haben wir nicht. Ihm zuzuhören, wie er seine Gedanken ewig und zeitlos erscheinen lässt, so als ob es die schon seit Hunderten von Jahren gibt. Ob es nun um die Rechte der Arbeiter ging oder so etwas. Für mich klang es so, als ob es ein Teil einer langen, weltweiten Musikgeschichte ist und nicht nur wie zeitgenössische amerikanische Sounds.
Christoph Hein: Das ist immer auch sehr angenehm in der Zusammenarbeit mit ihm, dass er auch irgendwo ein Perfektionist ist. Da es mir in meiner Arbeit nicht anders geht, ist es mir sehr angenehm, mit einem Kerl wie Wenzel zu arbeiten, der ein ähnliches Bestreben nach Perfektion - ohne das zu übertreiben, ohne so ein dicker langweilender Perfektionist zu werden. Denn er macht das aus Respekt vor dem Publikum, aus Respekt vor der eigenen Arbeit, vor sich selbst, doch mit der größtmöglichen Genauigkeit arbeitet, und so lange arbeitet, bis man auch doch meint, besser schafft er es nicht.
Johannes Heisig: Dass er sich nicht in eine Sparte so ohne Weiteres einordnen lässt. Einmal ist er ein so überragender Musikant, er nennt sich ja selber so, faselt ja immer etwas von böhmischen Wurzeln - ich weiß nicht, ob das stimmt, jedenfalls hat er ein urwüchsiges Talent und eine Freude am Musizieren, auch sein ganze Melodik ist auch immer etwas sehr Verführerisches, man ist ja sofort drinnen in diesen Liedern. Und dann haben die aber alle einen Haken. Seine Texte haben meistens mindestens eine Doppelbödigkeit, wenn nicht mehrfach, auch sein für mich faszinierendes historisches und philosophisches Wissen, das bringt ein Gesamtbild hervor, was ich so kaum wiederfinde, so in der Kleinkunstszene.
Johannes Heisig: Wir werden jetzt langsam ältere Herren, die natürlich etwas befremdet gucken auf Jüngere und ihr Tun und Treiben. Aber ich denke, darüber hinaus gibt es tatsächlich Dinge, die eben zu tun haben mit dieser mehr und mehr dominierenden Unterhaltungsindustrie. Das betrifft natürlich ihn ganz besonders, aber auch mich, wenn ich auf Kunstmessen gehe, diese schnellen Resultate, die da gesucht werden., dieses Schauen nach der Quote, das ist etwas, wo wir beide, glaub ich, so ein bisschen die Zähne fletschen.