Eine Lange Nacht über Hans Fallada

Er sah die Welt von unten

Hans Fallada am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer.
Mit dem Roman "Kleiner Mann - was nun?" wurde Hans Fallada berühmt. © Getty Images / Ullstein Bild Deutschland
Von Eva Pfister · 01.02.2020
Romantiker und Realist, klarer Kopf und morphiumsüchtig, Rebell und Mitläufer – Hans Fallada war vieles, aber vor allem einer der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts. Eine Lange Nacht über ein Leben zwischen Abgrund und Welterfolg.
Er schrieb große Romane über kleine Leute: über Arbeitslose und Gefangene, über Landarbeiter und Prostituierte, über Spieler und Trinker: Hans Fallada, einer der besten Erzähler des 20. Jahrhunderts.
Rudolf Ditzen, wie er eigentlich hieß, kannte die Milieus, die er schilderte, alle aus eigener Erfahrung, denn das Leben riss ihn immer wieder aus den vorgezeigten Wegen hinaus und in die Abgründe hinein. Er war arbeitsbesessen, suchtkrank und depressiv, aber auch ein liebevoller Familienvater und kompetenter Landwirt.

Weltberühmt – auch dank seiner Frau

Seinen unverhofften Welterfolg erlangt Hans Fallada im Alter von 39 Jahren mit seinem Roman "Kleiner Mann, was nun". Mit der Figur des "Lämmchens" hat der Autor darin seiner Frau Suse ein Denkmal gesetzt. Mit ihrer liebevollen Unterstützung kann er sein Leben aus der Abfolge von Drogensucht und Inhaftierung retten und zumindest vorübergehend in geordnete Bahnen bringen.
"Kleiner Mann – was nun?" am Nationaltheater Mannheim (Trailer):
Seiner Suse verdankt sich im Grunde auch der große Erfolg von "Kleiner Mann, was nun?" Denn der Roman beschreibt zwar genau und schonungslos die Sorgen der von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen in der späten Weimarer Republik, aber er suggeriert auch, dass das private Glück einem über alles hinweghelfen kann. Viele erkennen sich in Pinneberg wieder, aber Lämmchen überstrahlt mit ihrer Popularität bei den Lesern alles andere.

Jugend zwischen Rebellion und Depression

Hans Fallada wird als Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen am 21. Juli 1893 in Greifswald geboren. Vater Wilhelm Ditzen ist Amtsrichter und steigt bald zielstrebig bis zum Reichsgerichtsrat auf, weswegen die Ditzens oft umziehen müssen – erst nach Berlin, später nach Leipzig.
Ein verblichenes Schwarzweißfoto: Zwei Jungen in Matrosenanzügen schauen an der Kamera vorbei; der linke, etwas ältere, mit ernstem Gesicht.
Rudolf Ditzen (l.), der spätere Fallada, neben seinem jüngeren Bruder Ulrich, 1906 in Berlin.© Privat/Literaturzentrum Neubrandenburg
Rudolf kann die Erwartungen, die sein Vater an seinen Erstgeborenen stellt, nicht erfüllen und fühlt sich schon als Junge als Versager. Er flüchtet in Krankheiten und in die Welt der Literatur. Ständige Kopfschmerzen und Depressionen begleiten ihn, die Pubertät bringt ihn in zusätzliche Nöte. Er beginnt zu rauchen, schwankt zwischen Aufbegehren und Todessehnsucht, liest Nietzsche, Hofmannsthal, Oscar Wilde und kultiviert einen ästhetisierten Lebensekel.
Nach mehreren erfolglosen Selbstmordversuchen beschließt Rudolf Ditzen 1911 mit einem Freund, sich durch ein vorgetäuschtes Duell gegenseitig zu töten. Das Duell geht aber nur für den Freund tödlich aus. Rudolf Ditzen überlebt und wird in die Psychiatrie eingewiesen.

Biografie und Werke (Auswahl)

+ Geburt am 21. Juli 1893 in Greifswald als Rudolf Ditzen
+ Jugend in Berlin und Leipzig, sowie kurzzeitig in Bad Berka und Rudolstadt
+ 17.11.1911 versuchter Doppelselbstmord durch Scheinduell mit einem Freund
+ 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, aber als untauglich entlassen
+ 1920 Romandebüt: "Der junge Goedeschal. Ein Pubertätsroman."
+ 1924 und 1926: wiederholte Gefängnishaft wegen Betrugs
+ ab 1928 Arbeit beim Neumünsteraner "General-Anzeiger"
+ 1929 Heirat mit Anna Margarete Issel (Spitzname "Suse") und Umzug nach Berlin
+ 1930 erster Sohn Ullrich wird geboren (Spitzname "Murkel")
+ 1931 Bauern, Bonzen und Bomben"; 1932 "Kleiner Mann – was nun?"
+ 1933 Übersiedlung nach Carwitz bei Bad Feldberg (Mecklenburg)
+ 1934 "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" und "Wir hatten mal ein Kind" (Romane)
+ 1937 "Wolf unter Wölfen"; 1938 "Geschichten aus der Murkelei"
+ 1944 erneute Gefängnishaft, wegen eines Schusses auf seine Frau
+ 1944 "Der Trinker" (veröffentlicht 1950)
+ 1947 "Der Alpdruck" und "Jeder stirbt für sich allein"
+ Gestorben am 5. Februar 1947 in Berlin

Nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung – Schule und Studium waren ihm infolge des Duells verwehrt – landet Ditzen 1916 in Berlin, wo er einen Roman über seine Jugend schreibt, der 1920 bei Rowohlt erscheint: "Der junge Goedeschal. Ein Pubertätsroman." Da der Vater darauf besteht, dass sein Sohn sich ein Pseudonym zulegt, nennt er sich Hans Fallada, nach dem geschundenen Schimmel Falada aus dem grimmschen Märchen "Die Gänsemagd", dessen abgeschlagenes Haupt die Wahrheit spricht. Den Vornamen leiht er sich vom naiven Helden aus "Hans im Glück".

Die Morphiumsucht bringt ihn ins Gefängnis

Fallada selbst ist vom Glück weit entfernt: Neben exzessivem Zigaretten- und Cognac-Konsum kommt er während des Ersten Weltkriegs mit Morphium in Berührung. Eine Sucht, die ihn sein Leben lang verfolgen wird. Um sie zu finanzieren, unterschlägt Rudolf Ditzen bei seiner Arbeit auf den Landgütern immer wieder Geld und muss deshalb ab 1924 mehrfach ins Gefängnis. Sein Leben lang wird er sich im Spagat zwischen einem streng geregelten Alltag und den Abstürzen in die Sucht bewegen.

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Im Gefängnis sammelt er die Eindrücke, die in seinen Roman "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" einfließen werden. Darin wird er am Beispiel seines Helden Willi Kufalt darlegen, dass nach einer längeren Inhaftierung die Freiheit eine fast zu große Herausforderung darstellt.

Erste Erfolge als Schriftsteller

1930 bietet Ernst Rowohlt Fallada einen Halbtagsjob in seinem Verlag an. Er soll ihm den Freiraum lassen zu schreiben. Die Strategie geht auf. 1931 erscheint der Roman "Bauern, Bonzen und Bomben". Mit ihm ist Hans Fallada im deutschen Literaturbetrieb angekommen.
Beeinflusst nicht zuletzt durch amerikanische Autoren, unter anderem Ernest Hemingway, wächst Hans Fallada zu dem grandiosen realistischen Erzähler heran, der über hunderte von Seiten die Spannung halten kann und dessen Sprache schlicht und direkt daherkommt. "Kleiner Mann, was nun" erscheint im Juni 1932, als die Arbeitslosenzahlen in Deutschland explodieren, und wird ein internationaler Bestseller.

Gratwanderung in der NS-Zeit

Dass Ende Januar 1933 die NSDAP an die Macht kommt, ist für Fallada zunächst kein Thema; so sehr sich der Autor über Ungerechtigkeit empört, so wenig interessiert ihn die Politik. Nachdem er allerdings von seinem Hauswirt denunziert wird und für zwei Wochen in Haft kommt, merkt Fallada, dass es mit den neuen Machthabern auch für ihn nichts zu lachen gibt.
Ansicht des Hans-Fallada-Hauses mit Vorgarten.
Das Hans-Fallada-Haus in Carwitz in Mecklenburg-Vorpommern ist Sitz des Hans-Fallada-Museums.© Picture Alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Um Abstand zu gewinnen, bezieht Fallada mit seiner Familie ein Anwesen in Carwitz in der mecklenburgischen Seenplatte. Seinen Büchern, die während der NS-Zeit entstehen, merkt man aber an, wie er versucht, sich den neuen Machthabern anzupassen. So stellt er seinem Gefangenenroman "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" – den er schon 1924 begonnen hatte – eine Vorrede voran, in dem er einen "Knix" vor den Nazis macht, wie er selbst zugibt. Für den Roman "Der eiserne Gustav" schreibt er unter dem Druck von Josef Goebbels einen neuen, nazi-freundlichen Schluss.
Auf der anderen Seite versucht er, sich und seinen Themen treu zu bleiben. 1937 zeichnet er in seinem umfangreichsten Roman "Wolf unter Wölfen" ein Bild von Berlin wie von George Grosz gezeichnet: Haltlose, verzweifelte, gierige Menschen. Da die Handlung im Inflationsjahr 1923 spielt, kann die nicht zu überlesende Sozialkritik, vor allem im zweiten Teil, der auf einem Landgut spielt, als Kritik an der "Systemzeit", also der Weimarer Republik, gedeutet werden.
Der Zwiespalt wird Falladas Existenz bis 1945 prägen.

Zahlreiche Romane und Erzählungen Falladas, darunter auch "Wolf unter Wölfen" finden sich kostenlos im Projekt Gutenberg.

Zwanghafter Autor, liebender Vater, gewalttätiger Gatte

Auch in der Ehe von Hans Fallada kommt es zunehmend zu Krisen, ausgelöst durch seine Abstürze in den Alkohol und durch Seitensprünge. In guten Zeiten jedoch ist der Autor ein vorbildlicher Familienvater, der seine Kinder liebt und sich viel mit ihnen beschäftigt.
Hans Fallada mit seinen Kindern.
Um Abstand zur Politik zu gewinnen, bezog Hans Fallada mit Frau und Kindern ein Haus auf der mecklenburgischen Seenplatte.© Picture Alliance / akg-images
Vom Kriegsdienst bleibt Hans Fallada verschont, seine wiederholten Aufenthalte in Sanatorien für psychisch Kranke bewahren ihn davor. Im September 1944 kommt er jedoch wieder ins Gefängnis. Im Streit hat er auf seine Frau geschossen, auf seine einst so geliebte Suse, von der er zu diesem Zeitpunkt allerdings schon geschieden ist.

Heimliche Abrechnung im Gefängnis

Eingesperrt in der psychiatrischen Abteilung der Landesanstalt Neustrelitz schreibt er in kürzester Zeit den Roman "Der Trinker".
"Der Trinker" als Comic vom Berliner Illustrator Jakob Hinrichs:
Darin schildert er ausgiebig psychisch kranke Menschen und Kriminelle, Behinderte mit schweren Entstellungen – all dies sind Themen, die in der Literatur im Dritten Reich verpönt sind. Zum Glück ist Falladas Schrift kaum zu lesen, denn er wagt noch mehr, wie sein Biograph Peter Walther ausführt:
"Er hat ein Tagebuch geschrieben, in dem er sich seinen ganzen Hass gegen das Naziregime von der Seele geschrieben hat – alles unter der Aufsicht von den Wärtern dort – und schreibt das in einer winzig kleinen Schrift zwischen den Roman, so dass es kaum zu entziffern ist, aber hätte es jemand geschafft, auch nur einen Satz zu entziffern, hätte ihn jeder einzelne Satz aufs Schafott gebracht."

Peter Walther: Hans Fallada. Die Biographie.
Aufbau Verlag 2017
527 Seiten, 25 Euro

Zwischenspiel als Bürgermeister

Im Dezember 1944 wird Hans Fallada nach dreieinhalb Monaten Haft aus dem Gefängnis entlassen. Am 1. Februar 1945 heiratet er die junge Witwe Ulla Losch und erlebt mit ihr in Feldberg am 28. April den Einmarsch der sowjetischen Armee. In seinem Roman "Der Alpdruck" beschreibt der Autor diese Zeit.
"Der Alpdruck" als Hörbuch (Auszug):
Von der sowjetischen Besatzung wird Fallada in Feldberg als Bürgermeister eingesetzt. Er muss die Unterbringung von Flüchtlingen organisieren, nationalsozialistische Bücher konfiszieren, Waffen beschlagnahmen, Schwarzhandel unterbinden. Er hält diese Tätigkeit nicht lange durch. Da seine Frau Morphinistin ist, verfällt auch er wieder dieser Droge.

Neuanfang unter sowjetischer Besatzung

Zu seinem großen Glück lernt Hans Fallada im Oktober 1945 Johannes R. Becher kennen, einst ein expressionistischer Dichterkollege, jetzt der wichtigste Kulturpolitiker in der Sowjetischen Besatzungszone. Er erwartet von ihm einen großen Roman über die Nazizeit.
So entsteht als Auftragswerk "Jeder stirbt für sich allein". Der Roman beruht auf der wahren Geschichte eines Ehepaars, das zwei Jahre lang Karten mit antifaschistischen Parolen verteilte, bis es verhaftet und hingerichtet wurde. Hans Fallada betont einerseits die Wirkungslosigkeit dieser Aktion, denn die Menschen haben viel zu viel Angst, um sich von einer zufällig aufgefundenen Postkarte zum Widerstand aufstacheln zu lassen. Andererseits gibt er diesem naiven Ehepaar, Otto und Anna Quangel, eine Würde, die den Mut ihrer Taten in ein besonderes Licht rückt.
"Jeder stirbt für sich allein" – Spielfilm 2016 (Trailer):

Am Ende fühlte er sich als Versager

Als der Roman 1947 im Aufbau Verlag erscheint, lebt der Autor nicht mehr. Der suchtkranke Rudolf Ditzen ist am 5. Februar 1947 im Alter von 53 Jahren gestorben. Den Erfolg seiner Romane in der Nachkriegszeit, und zwar in der DDR und in der BRD, ihre Verfilmungen und Dramatisierungen, all das konnte Hans Fallada nicht mehr erleben. Er starb im Gefühl, ein ewiger Versager gewesen zu sein.

Produktion dieser Langen Nacht:
Autorin: Eva Pfister, Sprecher: Doris Wolters, Marcus Michalski, Heiko Raulin und Verena Buss. Regie: Stefan Hilsbecher, Redaktion: Monika Künzel, Webbearbeitung: Constantin Hühn

Über die Autorin:
Eva Pfister ist als freie Kulturjournalistin tätig. Sie promovierte nach ihrem Studium der Theaterwissenschaften, Romanistik und Philosophie in Wien und Bologna über die Dramatikerin Marieluise Fleißer. Unter anderem ist sie Autorin der Langen Nächte über Joseph Roth und Irmgard Keun.

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