Eine Lange Nacht über dienstbare Geister

Ganz wie Sie wünschen

Butler mit Tablett.
Anfangsgehalt 40.000 Euro pro Jahr, später sind bis zu 100.000 möglich - das verdient ein Butler. © imago
Von Rüdiger Heimlich · 01.12.2018
Butler ist wieder ein gefragter Beruf. Weltweit verlangt es immer mehr Wohlhabende nach dem perfekten Service, ob im Berliner Nobelhotel "Adlon" oder den Luxusresidenzen der Superreichen. Diese dienstbaren Geister spielen auch in der Literatur eine große Rolle.
Loyalität, Diskretion, Ehrlichkeit und Disziplin sind Qualitäten, die an Butler-Schulen kultiviert werden. Was es heißt, stets zu Diensten zu sein, davon erzählt diese Lange Nacht. Zu Wort kommen Butler und solche, die es werden wollen.
Dienerinnen und Diener gehören seit Jahrhunderten zum Personal der Weltliteratur. Ob Robert Walsers "Jakob van Gunten", Jules Vernes Jean Passepartout, Thomas Manns Felix Krull oder Céleste Albaret, die "Perle" des Dichters Marcel Proust – in Texten von Paul Burrell, Eoin Colfer, Kazuo Ishiguro, Birgit Kienzle, Madeleine Lamouille oder Kurt Tucholsky erzählen sie davon, was es heißt, ein "Faktotum" zu sein – ein "Tu alles".

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"Butler sein ist kein Beruf von gestern. Es hat noch nie in der ganzen Geschichte der Menschheit so viele reiche Leute gegeben wie heutzutage. Das sind alles Leute, die haben ganz große Häuser und Jachten und Flugzeuge und was weiß ich. Das alles muss professionell gemanagt werden. Und wer kann das besser tun als ein Butler."

Über Robert Wennekes
Der Niederländer Robert Wennekes hat selbst viele Jahre als Butler gearbeitet. Heute bildet er sie aus. Die meisten Absolventen kommen aus dem Hotel- und Gastgewerbe, sie wissen also, was guter Service bedeutet. An der International Butler Academy erhalten sie den Feinschliff – der eigenen Persönlichkeit.

"Der Beruf braucht eine bestimmte Persönlichkeit, eine bestimmte Attitüde. Das ist für mich sehr viel wichtiger als die technischen Fähigkeiten. Ein guter Butler ist jemand, der hart arbeitet, nicht klagt, eine andere Person wichtiger findet als sich selbst. Und das ist sehr, sehr schwierig. Wir wachsen nämlich auf, alle hier im Westen, denkend, dass wir Prinz und Prinzessinnen sind. Und: Wir sind wichtig, andere sind nicht wichtig. Für einen Butler ist das genau anders rum."
Ersin Erbay: "Eine kleine Mücke wird dann zum Elefanten gemacht. Extravagante Leute, die dann schnell auf die Palme gebracht werden. Aber auch da muss man mit der Situation umgehen können. In ein Ohr rein, aus dem anderen wieder raus. Und man muss dann sich dafür auch bedanken und höflich lächeln und drüber stehen können. Dafür werde ich bezahlt. Wenn man ein Ego-Problem haben sollte, ist der Beruf nicht für einen."

Über Ersin Erbay
Ersin Erbay ist in einem Fünf-Sterne-Hotels ausgebildet worden und hat Jahre auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet – keiner, der sich in den Senkel stellen lässt. Von Robert Wennekes lässt er es sich gefallen, denn er weiß: Auch das ist Teil der Ausbildung. Dienstherren können launisch sein und Butler müssen einstecken können.

Ein besonderes Highlight für einen Butler ist der Besuch der englischen Queen. Für Ricardo, den Butler im Berliner Hotel Adlon, ist er in Erfüllung gegangen:
"Nun, da ins Detail zu gehen, das möchte ich nicht so gerne. Aber ich habe mich um die Belange und die Vorbereitung, auch den Service gekümmert. Und dass hier alles reibungslos funktioniert. Wir wissen, dass Pünktlichkeit sehr geschätzt wird und deshalb war die Koordination der Speisenlieferung – es darf nicht zu früh sein, es darf nicht zu spät sein, es muss genau auf den Punkt sein – darum habe ich mich gekümmert. Für einen Butler ist natürlich der Besuch der englischen Königin ein Wunschtraum, und der ist für mich zwei Mal in Erfüllung gegangen."

Über Ricardo
Ricardo ist seit 19 Jahren der Butler des Berliner Grandhotels Adlon. Ricardo bevorzugt eine ruhige Stellung und überlässt das Reisen seinen prominenten Gästen, über die er absolutes Stillschweigen wahrt. Denn Diskretion ist das A und O eines Butlers. Also verrät Ricardo auch nicht, ob die Queen ihr Teewasser eigens aus England mitführt oder welche Temperatur ihr Frühstücksei haben darf.

Paul Burrell, der Butler von Prinzessin Diana
Paul Burrell, der Butler von Prinzessin Diana© dpa/AP Photo
Aller Anfang ist schwer. So ist es auch Paul Burrell ergangen, der dann 21 Jahre lang als Butler für die Queen und Lady Diana arbeitete. Über diese Zeit hat er geschrieben – einen Bestseller, wie man sich denken kann. Hier seine Erinnerungen an die ersten Tage "Im Dienste meiner Königin".
"Der Oberlakai Martin Bubb überreichte mir fünf verschiedene Uniformen: die volle Livree für Staatsanlässe, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Palastes zu tragen war. Die scharlachrote Uniform, ein Frack mit Zylinder für halbstaatliche Anlässe sowie für das Royal Ascot, die Livree mit den Epauletten, ein zweireihiger Frack mit hoch geschlossenem Kragen, eine Uniform, die nur auf der königlichen Jacht Britannia zum Einsatz kam, die tropische Uniform mit einem weißen, Safari-artigen Jackett für heiße Klimazonen - und die Livree für den Alltag: ein schwarzer Frack zu weißem Hemd, schwarzer Fliege und scharlachrotem Kummerbund. Außerdem wurden mir ein Kutscher-Cape aus rotem Pelz sowie Kisten mit Hemden und Kleiderbügel mit zusätzlichen Hosen ausgehändigt. Ausnahmslos alle Uniformen waren schon von Vorbesitzern getragen worden. In Buckingham Palace waren Secondhand-Kleider gang und gäbe. Selbst die Hemden, Hosen und Anzüge des jungen Prinz Andrew waren geändert und an Prinz Edward weitergereicht worden."

Was ist ein großer Butler?

Was ist ein großer Butler? Kazuo Ishiguro, 2017 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, beschreibt in seinem Roman "Was vom Tage übrig blieb" einen Butler, für den sein Dienstherr an aller erster Stelle steht, obwohl der fragwürdige Verbindungen mit den Nazis pflegt:
"Meines Wissens hat es innerhalb des Berufsstandes nur sehr wenige Versuche gegeben, eine offizielle Antwort zu formulieren. Der einzige Fall, der mir in den Sinn kommt, ist der Versuch der Hayes Society, Kriterien für die Mitgliedschaft auszuarbeiten. Sie ließ wissen, das entscheidende Kriterium sei, 'dass der Bewerber von einer mit seiner Profession in Einklang stehenden Würde beseelt ist. Kein Bewerber, so hoch sein Leistungsniveau im Übrigen auch sei, kann den Erfordernissen entsprechen, wenn er diese Bedingung nicht erfüllt.' Mein Kollege Mr. Graham vertrat stets die Ansicht, 'Würde' sei so etwas wie die Schönheit einer Frau, und der Versuch, sie zu analysieren, habe deshalb keinen Sinn. Ich dagegen war der Meinung, dass 'Würde' etwas ist, wonach man sinnvollerweise seine ganze Karriere über streben sollte."
Literaturnobelpreisträger 2017: Kazuo Ishiguro im März 2015 in Toronto, Kanada
Literaturnobelpreisträger 2017: Kazuo Ishiguro© imago
Wie weit darf heute die Loyalität gehen? Auch dies ist eine Frage, die an der Butler Academy von Robert Wennekes und Ersin Erbay diskutiert wird:
"Heute Morgen hatten wir zufällig eine Diskussion, was passiert, wenn ein Chef zu dir sagt, organisiere für mich bitte ein paar Prostituierte. Was machst du dann? Und ein Student sagte: Das ist kein Problem. Das ist mein Chef, der will das. Da sagte ich zu ihm, und wenn die 16 sind? Nee, nee, das ist mein Chef. Ich arbeite für ihn, ich mache das. Also, ich habe damit große Probleme. Ich habe ihm das auch erklärt. Denn wo liegt denn diese Grenze, wenn die 14 sind, 12, oder zehn oder acht? Er sagte dann gleich, natürlich mache ich das nicht. Dann habe ich ihm erklärt, vielleicht soll deine eigene Integrität da sein, wo du selbst das nicht machen würdest. Und diesen gleichen Maßstab kannst du dann auch haben für deinen Chef. Denn bitte verliere nicht deine eigene Integrität. Nie. Und das ist mir schon wichtig." (Robert Wennekes)
Was ein Diener zu tun und zu lassen hatte, das formulierte in Deutschland bis 1918 die Gesindeordnung. Darin ist viel von Pflichten die Rede, kaum aber von den Rechten:
"Gemeines Gesinde muss sich allen häuslichen Verrichtungen nach dem Willen der Herrschaft unterziehen. Auch außer seiner Dienste ist das Gesinde schuldig, der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden und Nachteil aber, so viel ihm ist, abzuwenden."

Der Butler als Diener

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Personal für viele bürgerliche Haushalte die Regel. Meistens fehlte jedes Verständnis für die Bedürfnisse des Personals oder für die Anstrengungen, die man ihnen auferlegte. Immerhin gedachte manch "edleres Herz" in Dankbarkeit seines Personals, so wie Franz Werfel in seiner Hommage auf "Die Diener".
Alma Mahler-Werfel mit ihrem Ehemann Franz Werfel (undatierte Schwarz-weiß-Aufnahme)
Alma Mahler-Werfel mit ihrem Ehemann Franz Werfel© dpa/picture alliance
"Es sei hier nicht gesprochen von Mitleid und Bewunderung; denn, obgleich ihre emsige Tätigkeit um uns Strapazen und Aufreibung fordert, wer könnte ihr Los Heroenlos nennen und ihr idyllisches Abarbeiten dem Werk eines Grubenarbeiters, der Gefahr eines Maschinenhüters, der Mühe eines Soldaten vergleichen? Warum nun erfüllt uns edlere Herzen dieser Stand gerade mit so rührender Heiligkeit, uns, die wir selbst nicht übermäßig gut gestellt und zu mancher eigenen Berufsqual geboren sind? Das liegt darin, weil ihr Leben durchaus Auflösung bedeutet, ein sich Demütigen in fremde Formen, ein Namenloswerden."
Der fromme Dienst der Dienenden – die Realität sah all zu oft anders aus. Auch unter der Dienerschaft. Nach oben wurde gebuckelt, nach unten getreten: Julie Blum, geboren 1894, aufgewachsen als Waisenkind in einem protestantischen Kinderheim, arbeitete 60 Jahre lang als Dienstmagd auf Bauernhöfen. Erzogen im Geiste protestantischer Arbeitsdisziplin wäre es ihr nie eingefallen, sich gegen Unchristlichkeiten zur Wehr zu setzen.
"Die Haushälterin beim Bauern Bertsch war eine Kratzbürste, die hat mich nicht verputzen können. Mich wehren? Ja, das hätte ich tun sollen. Aber wenn man es nicht gelernt hat, sich zu wehren, sondern nur zu gehorchen, kann man es auch gar nicht mehr. Mich haben sie einfach zum Dubel gestempelt. Ja, zum Schluss glaubt man es noch selbst, wenn es einem oft genug gesagt wird, dass man blöd ist."
Madeleine Lamouille, Jahrgang 1907, ist eine der wenigen Frauen, die über ihre Dienstzeit während der 20er-Jahre geschrieben haben. Der Titel ihrer Erinnerungen – "Wir werden Sie Marie nennen" – beschreibt eine herrschaftliche Gewohnheit: Die Zimmermädchen wurden der Einfachheit halber immer mit dem Namen der Vorgängerin gerufen. Doch in den 20er- und 30er-Jahren haben junge Frauen längst berufliche Alternativen, in Büros und Betrieben. Die Maries werden selbstbewusster.

Ausgleich für die harte Arbeit

Ricardo, Butler im Hotel Adlon in Berlin, steht am 17.06.2015 in der Präsidentensuite des Hotels. In der Suite soll Queen Elizabeth II bei ihrem Besuch wohnen.
Ricardo, Butler im Hotel Adlon in Berlin© im Brakemeier/dpa
Butler Ricardo hat natürlich auch einen bürgerlichen Namen, für seine hohen Gäste im Adlon spielt der keine Rolle. Ricardo genügt. Er ist 24 Stunden am Tag erreichbar, an sieben Tagen der Woche, wenn es sein soll, also auch mitten in der Nacht.
"Nun haben wir manchmal aber auch Wünsche, dass um drei Uhr morgens vielleicht ein Hemd gewaschen werden soll. Da ist die Abteilung natürlich nicht da. Aber das ist gar kein Problem. Ich habe ja Schlüssel und kenne mich aus, und dann waschen wir das Hemd nachts um halb drei und bügeln es, und um sieben Uhr hat der Gast sein gebügeltes Hemd."
Die anstrengende Arbeit erfordert eine Auszeit. Paul Burrell, langjähriger Butler der Queen, erzählt, wie es bei Hofe zugeht:
"Unser Arbeitsplatz - ein Palast, Schloss oder Landsitz - war zugleich unser Zuhause. Der königliche Hofstaat kann alle, die darin essen, schlafen und unablässig im Dienst sind, einengen und ihnen die Luft zum Atmen nehmen. Er führt zwangsläufig zu einer eingeschworenen, von der Außenwelt abgeschotteten Gemeinschaft, und die endlosen Partys wurden aus dem Bedürfnis geboren, Spaß zu haben und auszubrechen."

Berühmte Diener

Die Subalternen, meist blieben sie selbst ohne eigene Familie und ohne Eigenleben. Je länger sie im Dienst einer Herrschaft standen, desto ausgeprägter wurden gewisse Eigenarten, die die Diener von ihren Herrschaften übernahmen. Die Kammerdiener Ludwig XIV. sollen über eigene Unpässlichkeiten geklagt haben, sobald der König kränkelte. Qualis dominus, talis et servus - wie der Herr so sein Gescherr.
Ähnliches wurde im Hause Goethe beobachtet. Philipp Seidel ist der Familie Goethe bereits am Frankfurter Frauenplan ergeben und begleitet den jungen Goethe dann nach Weimar. Nach Jahren in seinen Diensten beherrscht er dessen Handschrift so täuschend, dass er heute selbst Goethe-Spezialisten vor Probleme stellt. Und wenn Seidel in späteren Jahren über den Frauenplan spaziert, wird er gar für Goethe selbst gehalten. So täuschend ähnlich sind Kopfhaltung, Gang, ja sogar die Art zu sprechen, dass er in Weimar als Goethes Kopie gilt.
Marcel Proust, französischer Intellektueller (1871 - 1922)
Marcel Proust© dpa/The Print Collector / Heritage-Images / Heritage Images
Für den Kammerdiener gibt es keine Helden, heißt ein Sprichwort, denn der Kammerdiener hat den Herrn auch in Unterhosen gesehen. Ganz so nah ist Céleste Albaret ihrem Herrn allerdings nie gekommen, doch sie hat sich Jahre lang auch um die Unterhosen des Dichters Marcel Proust gekümmert. Celeste arbeitete für ihn von 1914 bis zu seinem Tode 1922. Erst im Alter von 81 Jahren schreibt sie ihre Erinnerungen an den Dichter auf:
"Es gibt nicht viele Dinge, die ich bei ihm nicht verstanden oder von ihm nicht erfahren habe oder über die er mich im Unklaren ließ. Auch das gehörte zu dem Zauber, der bei allem von ihm ausging. Dadurch, dass ich ihm viel zuschaute und zuhörte, habe ich offenbar, ohne mir darüber klar zu sein, ein wenig von seinem Ahnungsvermögen und seiner Menschenkenntnis erlangt. Es hat sich ein gegenseitiges Verständnis entwickelt, dank dessen ich immer schon im Voraus wusste, was er wünschte und was er dachte. Es kam vor, dass er sich dennoch darüber verwunderte: "Liebe Celeste, woher haben Sie gewusst, dass ich Sie bitten wollte, mir einen Pullover zu reichen?" Ich vermochte jeden Gesichtsausdruck bei ihm zu erraten; ich nahm im voraus jede Handbewegung von ihm wahr und spürte es, wenn er über dieses oder jenes ungeduldig war. Bei mir brauchte er nicht zu bitten; oder wenn er um etwas bat, dann wusste er, dass sein Wunsch freudig erfüllt würde. Als ich damit anfing, ihn nachts zu erwarten, indem ich die Fahrstuhltür belauerte, da geschah das keineswegs aus Pflichtgefühl und noch weniger, weil er es verlangte – es war einzig und allein, weil ich mich darauf freute, ihn wiederzusehen und seine Berichte zu hören. Er dankte mir dafür, aber im Grunde war er, glaube ich, darüber gar nicht erstaunt. Er hatte mich zu genau durchschaut, um daran zu zweifeln, dass es anders sein würde."

Der Verdienst und das Auftreten eines Butlers

"Ein Butler, ein Juniorbutler verdient anfangs vielleicht 40.000 Euro brutto im Jahr. Aber das geht schon sehr schnell hoch mit Jahren Arbeit. Man bezahlt ja als Arbeitgeber im Prinzip auch für die Flexibilität von jemand, für die Dedication, würde ich sagen. Es ist nicht nur ein Angestellter. Da ist jemand, der arbeitet für mich, wenn es sein muss, 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Das kommt schon vor. Durchschnittlich verdient ein Butler 40.000 Euro am Anfang. Das wird schnell 60, 70, und durchschnittlich zwischen fünf und zehn Jahren Erfahrung geht das Richtung von die 100.000." (Robert Wennekes)
Geld spielt eine große Rolle. Allerdings ist es den Leuten nicht immer anzusehen. Da sollte der Butler darauf achtgeben, nicht besser als der Dienstherr auszusehen.
"Nicht unbedingt auffällige, bunte Farben nehmen oder extrem teure Textilien, wo man auf den ersten Blick entdeckt, oh, das ist aber extrem teuer. Und sieht dann den Arbeitgeber eventuell daneben, der dann in dem Moment vielleicht etwas Sportliches anhat. Nicht dass man den Butler und den Arbeitgeber verwechselt. Man muss auch dort achtgeben. Nicht unbedingt sehr teuren Schmuck. Also wenn ich jetzt ne Rolex trage und mein Arbeitgeber vielleicht eine Citizen, weil es sein Geschmack ist, was ja nicht heißt, dass ich mehr Geld habe als er, aber auch dort müssen wir wirklich achtgeben, wie wir uns präsentieren." (Ersin Erbay)
Alles muss perfekt sein. Und vielleicht ist es eben diese Perfektion, die manchen Gast Unwohlsein bereitet. Kurt Tucholsky beschreibt den "Bangen Moment bei reichen Leuten":
"Wenn ich bei reichen Leuten eingeladen bin, also bei so reichen, dass es einen vor lauter Reichtum schon graust, dann ist da immer ein Augenblick, wo mir heiß wird und wo ich denke, dass mir nun gleich der Kragen platzt. Es ist alles so fein und so wunderbar herrlich: Die Katzen sind noch hochmütiger als anderswo, die Hunde sind gut gezogen wie artig gebadete Kinder, das Stubenmädchen funktioniert wie der Teetisch auf Rollen, den sie auf der Bühne vor sich herschiebt, die gnädige Frau spricht leise und fast halblaut, diskret, fein – alles ist selbstverständlich und gewiss nicht snobistisch, es klappt wie geölt: und ich habe das lebhaftteste Bedürfnis, einmal in die Vorhalle zu gehen, mich in eine Ecke zu stellen und ganz laut: "Scheibenkleister!" zu rufen, nur, damit das innere Gleichgewicht wiederhergestellt ist."
Wolfgang BORCHERT, (20.05.1921-20.11.1947), Deutscher Schriftsteller, Portrait undatiert, ca. 40er-Jahre
Der deutsche Schriftsteller Wolfgang Borchert© dpa/Keystone
Ihr da oben, wir da unten – Welten liegen zwischen denen Upstairs und Downstairs. Doch es gibt Momente, da spielt der Rangunterschied zwischen Herr und Diener plötzlich keine Rolle mehr. So zu lesen in der Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert aus dem Nachkriegsjahr 1947 – "Schischifusch oder Der Kellner meines Onkels":
"Wir saßen also, wir drei, mein Onkel, meine Mutter und ich, an einem sonnigen Sommertag nachmittags in einem großen prächtigen bunten Gartenlokal. Mein Onkel hatte einen Zungenfehler. Nicht bedeutend, aber immerhin deutlich genug. Er konnte kein s sprechen. Auch kein z oder tz. Der Kellner stand also an unserem Tisch und und fragte kurzatmig und nervös:
'Bitte schehr? Schie wünschen?' Mein Onkel, der keine alkoholarmen Getränke schätzte, sagte gewohnheitsmäßig: 'Alscho: schwei Aschbach und für den Jungen Schelter oder Brausche. Oder wasch haben Schie schonscht?'
Der Kellner war sehr blass. Und plötzlich merkte ich, dass mein Onkel unter seiner blanken braunen Haut auch blass wurde. Nämlich als der Kellner die Bestellung der Sicherheit wegen wiederholte:
'Schehr wohl. Schwei Aschbach. Eine Brausche. Bitte schehr.'
Mein Onkel sah meine Mutter mit hochgezogenen Brauen an, als ob er etwas Dringendes von ihr wollte. Aber er wollte sich nur vergewissern, ob er noch auf dieser Welt sei. Dann sagte er mit einer Stimme, die an fernen Geschützdonner erinnerte:
'Schagen Schie mal, schind schie wahnschinnig? Schie? Schie machen schich über mein Lischpeln luschtig? Wasch?'
Der Kellner stand da und es fing alles an an ihm zu zittern. Seine Hände zitterten, seine Augendeckel, seine Knie, vor allem aber zitterte seine Stimme. Sie zitterte vor Schmerz und Wut und Fassungslosigkeit, als er sich jetzt Mühe gab, auch etwas Geschützdonner ähnliches zu antworten.
'Es ischt schamlos von Schie, schisch über mich schu amüsieren! Taktlosch isch dasch, bitteschehr.' Nun zitterte alles an ihm. Seine Jackenzipfel, seine pomadenverschierten Haarsträhnen, seine Nasenflügel.
An meinem Onkel zitterte nichts. Ich sah ihn ganz genau an – absolut nichts. Aber als der Kellner ihn schamlos nannte, da stand mein Onkel doch wenigstens auf. Das heißt, er stand eigentlich gar nicht auf. Das wäre ihm mit seinem einen Bein viel zu umständlich und beschwerlich gewesen. Er blieb sitzen und stand dabei doch auf, innerlich stand er auf. Und das genügte auch vollkommen. So standen sie nun und sahen sich an. Beide mit einer zu kurzen Zunge, beide mit demselben Fehler. Aber jeder mit einem völlig anderen Schicksal. Der kleine Kellner und mein großer Onkel. Verschieden wie ein Karrrengaul vom Zeppelin. Aber beide kurzzungig."

Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Rüdiger Heimlich; Regie: Claudia Mützelfeldt; Sprecher: Nicole Engeln, Barbara Stoll, Thomas Anzenhofer, Jonas Baeck, Volker Risch; Redaktion: Dr. Monika Künzel, Webproduktion: Jörg Stroisch

Über den Autor:
Rüdiger Heimlich geboren 1959, studierte in Heidelberg, Halifax und Kingston, Kanada, Literaturwissenschaft. Beim Kölner Stadtanzeiger ist er im Politikressort beschäftigt, arbeitet seit 1990 aber auch als freier Journalist für verschiedene Medien, unter anderem den Deutschlandfunk. 2012 wurde er mit dem Kölner Medienpreis ausgezeichnet.