Eine Krise, die das Leben vergiftet

Von Ulrich Fischer · 14.03.2013
In ihrem neuen Stück "Aber sicher!" seziert die österreichische Dramatikerin Elfriede Jelinek die weltweite Finanzkrise. Die Inszenierung des jungen Regisseurs Alexander Riemenschneider am Bremer Schauspiel konzentriert sich auf wenige Bilder - aber die haben es in sich.
Ein Fluch liegt über der Stadt. Elfriede Jelinek spielt oft und unmissverständlich in ihrem neuen Stück "Aber sicher!" auf "Ödipus" an, auf jenen Protagonisten des europäischen Dramas, der seinen Vater umbrachte und seine Mutter heiratete - ohne es zu wissen. Dennoch, so meinten die alten Griechen, habe Ödipus Schuld auf sich geladen. Theben kann erst wieder frei atmen, wenn der König seine Schuld erkennt und büßt.

Elfriede Jelinek beschreibt eine moderne Stadt, auch auf ihr lastet ein Fluch und wie einst in Theben macht ein Verblendungszusammenhang es unmöglich, die Schuld zu erkennen. Ganz offenbar meint Elfriede Jelinek die Finanzkrise, die in Bremen - und nicht nur dort - das Leben vergiftet, und sie umkreist das Thema des Verblendungszusammenhangs. Können wir nicht erkennen, was den Fluch hervorruft, oder wollen wir es gar nicht wissen?

Hier glänzt das Stück besonders hell. Elfriede Jelinek legt ihren Sprachspielereien oft und gern paradoxale Begriffe zu Grunde – zum Beispiel den Gegensatz von sehend und blind. Die Dramatikerin knüpft an die alten Griechen an: Die meisten Seher sind blind, im "Ödipus" Teiresias. Das ermöglicht ihm zu erkennen, was den Sehenden verborgen bleibt.

Der "Nachtrag" greift den Titel auf: "Aber sicher!" Es geht um Versicherungen. Haben die Banken nicht ihre Kredite versichert, gab es nicht in großem Ausmaß, wenn nicht gar flächendeckend, Kreditausfallversicherungen? Haben die Versicherungen bezahlt? Offenbar nicht. Aber warum? Mutmaßlich, legt Jelinek nahe, waren nicht die Banken sicher, sondern die Versicherungen, die von vornherein nicht die Absicht hatten, die (gigantischen, viel zu hohen) Risiken zu versichern, sondern ihren Schnitt zu machen.

Zwischen diesen beiden Hauptteilen liegt ein Zwischenakt. Elfriede Jelinek schreibt ausdrücklich, die Regie könne ihn auch weglassen. Der Ton ist leicht gereizt, wie immer mal wieder, wenn sich die berühmte Dramatikerin mit Regieanweisungen an ihren Spielleiter wendet. Das Verhältnis zwischen Stückeschreibern und Regisseuren ist in Zeiten des Regietheaters gespannt - die Regisseure machen, was sie wollen und verändern willkürlich auch Stücke, selbst bei der Uraufführung.

Elfriede Jelinek widmet den Zwischenakt Rosa Luxemburg – ein thematischer Sprung. Sie erinnert an die Ermordung der Revolutionärin und beschreibt eine Leiche, die nicht mehr zu identifizieren ist, weil Kopf, Füße und Hände abgetrennt sind. Wenn die Mörder die Leiche unkenntlich machen wollten, haben sie gerade das Gegenteil erreicht: Die irdischen Reste erinnern gerade, weil so verstümmelt, daran, dass offenbar eine bekannte Persönlichkeit unkenntlich gemacht werden sollte, an den Furor, mit dem ihre Feinde sie hassten. Hätte Rosa Luxemburg den Verblendungszusammenhang durchstoßen können? Hätte sie, wie im "Ödipus" von Sophokles der Seher Teiresias, klar machen können, wer die Schuld - oder die Schulden - auf die Stadt geladen hat? Ist sie, weil sie diese Gefahr verkörperte, von jenen so barbarisch ermordet und verstümmelt worden, die von dem Verblendungszusammenhang profitieren?

Elfriede Jelinek hat, wie so oft in letzter Zeit, wieder einen Textteppich gewoben – er unterscheidet sich grundsätzlich von herkömmlichen Stücken. In konventionellen Dramen steht links der Name der Figur, zum Beispiel "Faust", rechts, was die Figur, also Faust, sagt: "Habe nun, ach, Philosophie …" und so weiter. Anders bei Elfriede Jelinek. Da gibt es nur einen durchgehenden Fließtext. Überdies verzichtet die Dramatikerin darauf, ihrem Stück ein Personenverzeichnis voranzustellen. Die Entscheidung über die Gestalten kann, soll, muss der Regisseur treffen.

Alexander Riemenschneider ließ für die Uraufführung am Donnerstagabend im Kleinen Haus des Bremer Schauspiels sieben Figuren auftreten, zwei Schauspielerinnen, vier Schauspieler und einen Pianisten. Der junge Regisseur setzte stark aufs Wort, die Darsteller artikulierten sorgfältig und bewältigten die komplexen Textmassen, bis auf einen (massiven) Hänger, makellos. Die Aufführung konzentrierte sich auf wenige Bilder, aber die hatten es in sich. Gleich die erste Szene war die beste: Die Bühne war mit Brettern vernagelt! Die vier Schauspieler holten sich blutige Nasen, als sie gegen die Holzwand liefen - ein komischer Kommentar zur undurchschauten Seite der Wirtschaft.

Regisseur Riemenschneider und sein Ensemble wurden dem Text weithin gerecht - nur vom Hohn, den Elfriede Jelinek ihrem Text eingeschrieben hat, vom Hohn kam zu wenig über die Rampe.

Am Ende steht ein einzelnes Wort, eine Frage, mit der Elfriede Jelinek ihr Publikum entlässt:

"Was?"


Service:

Aufführungen am 16 März; 6., 10., 9., 21. und 25. April; Aufführdauer 2 Stunden; Kartentelefon 0421 3653 345; Internet: www.theaterbremen.de