Eine Kriegsgeschichte als zähe Kost

24.02.2012
In der teil autobiografischen Geschichte erzählt Appelfeld die Reise des jungen Erwin nach Israel. Das Trauma des Holocaust äußert sich bei ihm durch Schlafzwang. Appelfelds Roman ist voller Ungereimtheiten und Mängel, der Protagonist bleibt ohne Kontur, nur die Toten haben Farbe.
Es wird eine mühevolle Reise, sie beginnt 1946. Der Reisende heißt Erwin, er wird bald siebzehn, ein Jude aus der Bukowina, Waise, die Verwandten starben im Holocaust. Erwin hat knapp überlebt, er kann nicht sagen, was er sah und wo er war, jetzt treibt der Ich-Erzähler ziellos durch Westeuropa. Sein Trauma äußert sich auf besondere Weise: durch Schlafzwang.

Der Dauerschlaf zeugt anfangs lediglich von Schockstarre, aber dann treten Bilder aus der Schwärze, und bald sind die Träume real wie die gleißend helle Nachkriegswelt. Schlafend sieht der Junge, was er verloren hat: das grüne Land im Osten. Er sieht das Elternhaus bei Cernowitz wieder, ein Haus gutsituierter deutschsprachiger Juden, er redet mit der Mutter und mit dem Vater, der ein obsessiver, wenn auch erfolgloser Schriftsteller war.

In einem Flüchtlingslager am Strand von Neapel gerät Erwin in eine Gruppe junger Zionisten. Erwin soll ein neuer Jude werden, mit einer neuen Sprache, Hebräisch, und dem Alten Testament als Richtschnur; alles Vergangene soll er vergessen, den Krieg, die Lager, auch Herkunft, Heimat, sogar den Namen soll er ablegen. Aus Erwin wird Aharon. Tatsächlich: Die Geschichte des Jungen ist zu Teilen die Geschichte des Autors (geboren 1932). Seit den ersten Publikationen in den Fünfzigern schreibt Aharon Appelfeld autobiographisch, mit häufig gleichen Topoi, Namen und Figuren.

Per Schiff gelangt die Truppe nach Palästina, die Jungen arbeiten in einem Kibbuz und kontrollieren bewaffnet die Region. Bei einem Gefecht wird Erwin-Aharon verletzt, lange liegt er im Krankenhaus, dann bricht er auf: in einen neuen Staat, Israel, und in ein neues Leben, ein Leben mit einer Mission - Schriftsteller zu werden wie der Vater.

Appelfelds Bücher wurden oft gelobt, doch dieser Roman ist zähe Kost, ein Werk mit hohem Anspruch, aber voller Ungereimtheiten und Mängel. Appelfeld stilisiert seinen Helden zum Archetypus des jüdischen Flüchtlings. Der Junge spricht wie eine Mythenfigur, er bewegt sich auch so, bleibt aber konturlos wie alle Protagonisten. Einzig die Toten zeigen Farbe und Profil, Vater und Mutter. Appelfeld arbeitet schön mit Leitmotiven - Heimfahrt, Ankunft, Kampf und Überleben, der Plot aber reicht nur für ein Stück Kurzprosa.

In Palästina gerät Erwin in einen neuen Krieg, doch dieser Bürgerkrieg wird nicht erklärt. Wer kämpft da gegen wen? Die Jungen glauben an ein Anrecht auf Besiedlung, das Land scheint menschenleer, abgesehen von "feindlichen Banden", die es zu "vernichten" gilt. Ja, Erwin spricht bald die Sprache der Fundamentalisten, aber eigentlich spricht der Autor mit dem Abstand der Jahrzehnte, und dieser Autor distanziert sich nicht.

Gegen Ende des Buches gibt es eine Überraschung: Der junge Mann, die Hauptfigur, widersteht partiell dem ideologischen Druck. Die Eltern im Traum machen Vorhaltungen, Erwin würde sie verraten. Und so schreibt der werdende Schriftsteller über ein Tabu, über Vergangenes - die Wälder der Bukowina, das Lächeln der Mutter, über den Vater beim Schach, und siehe: Auch vor den Augen des Lesers werden die erträumten Dinge Wirklichkeit.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Aharon Appelfeld: Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Rowohlt Berlin Verlag, Reinbek 2012
285 Seiten, 19,95 Euro
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