Eine komplizierte Beziehung

23.03.2010
Wolfgang Kemp beschreibt in "Foreign Affairs", welche Erfahrungen Schriftsteller aus England in Deutschland zwischen 1900 und 1945 machten. Die meisten Briten waren dabei meistens mit sich selbst, ihren Ehen und Scheidungen sowie manchmal auch mit der Schaffung einer Art internationaler Avantgarde beschäftigt.
Berlin sei das Bangkok der Zwanzigerjahre gewesen, schreibt Wolfgang Kemp in seinem Buch "Foreign Affairs", die Welthauptstadt eines frühen, vor allem schwulen Sextourismus: Die Autoren W. H. Auden, Christopher Isherwood und Stephen Spender haben beredt Zeugnis von dieser Zeit abgelegt.

Im Nachlass Audens finden sich sogar einige sehr anschauliche, grammatikalisch charmant-schiefe Verse, die der Dichter zum Thema körperliche Liebe auf Deutsch verfasst hat: "Er hat zwei nette Eier / Ein fein Schwanz auch dazu / Wenn wir ins Bett uns liegen / Dann gibt es da kein Ruh."

Berlin war billig, liberal, und als Urlaubsland hatte Deutschland auch unter weniger erotisch bewegten Reisenden einen guten Ruf: Man fuhr nach Rügen oder den Rhein hinunter, und manch einer ließ sich auch für längere Zeit in Trier, Gießen oder einer kleinen Schwarzwaldpension nieder. Den Literaten, die zwischen 1900 und 1947 sogenannte "quality time" in Deutschland verbrachten, widmet Wolfgang Kemp sein Buch. Das heißt Lawrence, Ford Maddox Ford und Samuel Beckett gehören ebenso dazu wie Katherine Mansfield oder P. G. Wodehouse.

Ford Maddox Ford machte, nachdem er sich in Deutschland hatte einbürgern lassen, umgehend von der dadurch geschaffenen Möglichkeit Gebrauch, seine englische Frau durch Scheidung leicht und billig los zu werden. Doch auch wenn die reisefreudigen Einwohner des allmählich untergehenden Empires von der freieren Moral und dem liberaleren Geist des Kaiserreichs und später der Weimarer Republik angezogen wurden, führte das längst noch nicht zu einem Nachdenken über die Bedingungen dieser Freiheit und die Beschränkungen der eigenen Heimat.

Kaum einer jener Engländer las deutsche Literatur oder Philosophie. Die meisten waren mit sich selbst, ihren Ehen und Scheidungen und manchmal auch mit der Schaffung einer Art internationaler Avantgarde beschäftigt.

Am erstaunlichsten ist wohl der Fall des Unterhaltungsschriftstellers Wodehouse, der selbst als Insasse eines deutschen Internierungslagers ganz unbeeindruckt weiter an seinen englischen Aristokratenkomödien schrieb. Deutschland, so scheint es, hat selbst unter Hitler auf die wenigsten dieser Literaten Eindruck gemacht - eine an sich erstaunliche Erkenntnis, neigt man doch sonst gern dazu, Schriftsteller als Kronzeugen ihrer Zeit, als große Gesellschaftsdiagnostiker hinzustellen.

So zumindest stellt es sich in Wolfgang Kemps "Foreign Affairs" dar. Dabei drängt sich die Frage auf, ob sich das Buch des Hamburger Kunstprofessors nicht selbst den Boden abgräbt. Wenn man erfährt, dass Gottfried Benn kein Interesse daran hatte, T. S. Eliot zu begegnen, dass Eliots Gedicht "The Waste land" trotz eines deutschen Satzes in den Anfangsversen eigentlich nichts mit Deutschland zu tun hat und dass das heißt Lawrence hier wie überall vornehmlich seiner Libido frönte, dann weiß man womöglich mehr als zuvor - aber wirklich klüger ist man deswegen nicht. Warum sollte man sich für Desinteresse interessieren? So jedenfalls fehlen Kemps Buch eine klare Fragestellung wie eine deutliche These.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Wolfgang Kemp: Foreign Affairs. Die Abenteuer einiger Engländer in Deutschland 1900-1947
Hanser Verlag, München 2010. 384 Seiten, 24,90 Euro