Eine Kleinstadt mit Kultur revolutionieren

Von Thomas Migge · 02.09.2008
Die Kleinstadt Salemi liegt im Nordwesten Siziliens, mitten im Mafialand, in dem immer noch die Clans der berühmt-berüchtigten Cosa Nostra den Ton angeben. Der neue Bürgermeister will die wirtschaftlich rückständige Kleinstadt mit Hilfe von Kreativität, Kunst und Kultur revolutionieren. Mit Haus-Verschenk-Ideen will er den italienischen Jetset ködern.
Sicherlich: der Ort ist ungemein romantisch. Auf einem Hügel mitten in der Natur gelegen. Schafherden weiden direkt vor den alten Wohnhäusern auf grünen Wiesen. Der Blick geht in eine bukolische Idylle von großem landschaftlichem Reiz.
Aber warum sollte man sich ausgerechnet in Salemi niederlassen? Oder ein Ferienhaus haben? Im Nordwesten Siziliens, mitten im Mafialand, in dem immer noch die Clans der berühmt-berüchtigten Cosa Nostra den Ton angeben? Oliviero Toscani hat gleich eine Antwort auf diese Fragen parat:

" Ich denke mir, dass es wirklich interessant ist, dass es provokant ist, hier ein Haus zu haben. Sehen Sie sich doch um: der Ort sieht aus wie eine Krippe, die kleinen Häuschen, fast alle weiß gestrichen, eng aneinander gebaut, wie eine Erscheinung aus fernen Zeiten. Es ist alles andere als idiotisch sich hier niederzulassen. "

Der international bekannte und wegen seiner Werbefotos für den Kleidermulti Benetton umstrittene Starfotograf Oliviero Toscani ist seit einigen Tagen "Assessor für Kreativität" in Salemi. Toscani, der eigentlich in der Toskana lebt und mit konkreter Politik nie etwas zu schaffen haben wollte, ist einer Bitte von Vittorio Sgarbi gefolgt. Sgarbi ist einer der angesehensten und mit seinen Thesen und künstlerischen Interpretationen provokativsten Kunsthistoriker seines Landes. Der ehemalige Vizekulturminister war bis vor wenigen Wochen Kulturassessor in Mailand, doch weil er sich für eine Ausstellung schwuler Kunst einsetzte, wurde er von der konservativen Bürgermeisterin gefeuert. Jetzt ist Sgarbi Bürgermeister in Salemi und will die sozial wie wirtschaftlich rückständige Kleinstadt mit Hilfe von Kreativität, Kunst und Kultur umkrempeln oder, wie er es nennt, ‚revolutionieren’:

" Wir müssen hier restaurieren, reparieren, Hoffnung schaffen, wohlhabende Neubürger anlocken, um Salemi attraktiv zu machen. Deshalb verschenken wir die vielen leerstehenden und äußerst reizvollen historischen Wohnhäuser an diejenigen, die bereit sind, sie auf eigene Kosten zu restaurieren und in Wohn- oder Ferienhäuser umzuwandeln. Meine Aufgabe hier ist es nicht nur für die Zukunft zu planen, sondern konkret einzugreifen. "

Die Haus-Verschenk-Idee hat großen Erfolg. Schickimickis aus Norditalien und der Toskana - vor allem dank der guten Beziehungen von Sgarbi und Toscani zum italienischen Jetset - darunter auch Popstars wie Lucio Dalla und Peter Gabriel, zeigen schon Interesse an den urigen Palazzi und Wohnhäusern.

Vittorio Sgarbi: " Wir müssen hier die alltäglichen Katastrophen verhindern. Das sind Massen- und Dauerarbeitslosigkeit, ein schlecht funktionierendes Sozial- und Gesundheitssystem etc. Wenn wir aus Salemi einen lebenswerten Ort machen wollen, müssen wir zunächst die alten Wunden schließen. Auch dafür bin ich ja gewählt worden. "

Alte Wunden: seit Jahrzehnten warten viele Bürger von Salemi auf neuen versprochenen, aber nie errichteten Wohnraum. Ein Erdbeben in den 80er Jahren hatte viele Häuser zerstört. Sgarbis Wohn-Verschenkungs-Aktion und Absprachen mit Banken, die besonders günstige Renovierungsdarlehen vergeben, werden, hofft er, vielen Bürgern endlich wieder lebbaren Wohnraum verschaffen, denn zahlreiche der Erdbebenopfer hausen immer noch in Wohncontainern - seit den 80er Jahren. Sgarbi und sein Kreativitätsassessor Toscani wollen Kunst und Kultur nach Salemi locken, weiß Nicoletta Leonardi, die eine kleine Kunstgalerie betreibt:

" Ich kann diese Initiativen nur begrüßen. So etwas gab es bisher noch nicht bei uns. Der neue Bürgermeister und sein Assessor haben ausgezeichnete Kontakte und so interessieren sich für die Restaurierung der Altstadt Baumeister wie Renzo Piano und Gae Aulenti, zeitgenössische Künstler wie Mimmo Paladino sind mit Kunstwerken beauftragt worden, die öffentliche Gebäude zieren werden und Theater- und Musikgruppen planen bereits Salemi in ihren Tourneen ein. Das hört sich alles gut an. "

Bis jetzt liegen nur Projekte vor, um aus Salemi einen, so Bürgermeister und Kunsthistoriker Sgarbi, "Ort der neuen sizilianischen Renaissance" zu machen. Doch der Umstand, dass der umtriebige Hobbypolitiker, der keiner Partei angehört und nur sich selbst repräsentiert, auch Kunst- und Kulturmäzene in Banken und aus der Industrie für sein "Projekt Salemi" gewinnen konnte, lässt hoffen, dass es sich nicht nur um schöne Worte und leere Versprechungen handelt. Und: die Menschen in Salemi stehen voll auf der Seite des Duos Sgarbi-Toscani. In sie setzen sie alle ihre Hoffnungen - nachdem die traditionellen Parteien und Politiker in Salemi total versagt haben.