Eine internationale Nomadin

Von Tabea Soergel · 10.06.2013
Das bekannteste Werk der dänischen Autorin Janne Teller löste vor über zehn Jahren einen Skandal aus. "Nichts - Was im Leben wichtig ist" könnte seine jungen Leser in den Selbstmord treiben, so der Vorwurf. Zurzeit ist in Mannheim eine Bühnenfassung des Romans zu sehen.
Ein Vormittag in einem kleinen, altmodischen Café in Berlin-Charlottenburg. Dunkle Kaffeehausmöbel, Blumen und rote Teelichter auf den Tischen, an den Wänden französische Filmplakate. An einem Ecktisch liest ein einsamer Gast eine Zeitung. Eine hochgewachsene Frau mit lässiger Bobfrisur kommt herein und setzt sich ans Fenster.

"Ich versuche jeden Tag, ein bisschen zu schreiben, I mean, dieser Tage schreibe ich an einem Essay. Das ist nicht in Fiktion, aber ich hoffe, dazu komme ich zurück am Samstag wieder, ja."

Janne Teller strahlt, man kann es nicht anders sagen, eine natürliche Coolness aus – aber ohne jede Pose. Die dänische Schriftstellerin lebt seit fast 20 Jahren in New York. In Berlin ist dieses leicht zu übersehende Café einer ihrer liebsten Orte.

"Ich lese meistens, weil ich schreibe auf dem Computer, und das mache ich lieber zu Hause. Aber ab und zu drucke ich die Seiten aus und bringe sie mit ins Café hier und lese. Aber andere Male lese ich die Zeitungen hier, die haben alles Mögliche, oder bringe ein Buch mit. Und dann für ein bisschen Essen, oder um Kaffee zu trinken. Oder eine Pause zu haben."

In Berlin unternimmt Janne Teller gern lange Spaziergänge oder trifft Freunde und Schriftstellerkollegen – und besitzt dort neuerdings auch eine Wohnung. Sie mag die Stadt sehr, nicht zuletzt, weil sie so zentral liegt, mitten in Europa. Ihre bislang fünf Romane sind in 20 Sprachen übersetzt worden, und als Essayistin ist sie eine gefragte Debattenteilnehmerin, deshalb hat sie oft Termine in ganz Europa. Nach drei Monaten in einer Stadt wird sie außerdem unruhig. Sie sei eine internationale Nomadin, sagt sie, und genieße das große Privileg, sich heute auch mehrere Wohnorte leisten zu können.

"Ich glaube, ich habe immer sehr tief in mir selber gelebt."

Aufgewachsen ist Janne Teller, Jahrgang 1964, in bescheidenen Verhältnissen als Kind deutsch-österreichischer Einwanderer in einem Vorort von Kopenhagen.

"Als Nachbarn hatten wir dieses große Freilandmuseum mit alten Gebäuden und natürlich vielen verschiedenen Tieren. Und wir hatten immer selber Katzen. Die Pferde habe ich immer sehr lieb gehabt. Das war für mich meine Welt eigentlich. Mehr als die Wirklichkeit. Ich habe immer gedacht: Die Welt muss größer als dieses Gebiet sein."

Von der Konfliktberaterin zur Schriftstellerin
Wie viel größer die Welt ist, erfuhr Janne Teller spätestens nach ihrem Examen in Volkswirtschaftslehre. Sieben Jahre lang arbeitete sie als Konfliktberaterin für die EU und die UNO in Tansania, Brüssel, New York und Mosambik. Geschrieben hat sie auch damals immer: nachts, nach der Arbeit. Als sie 1995 endlich vom Schreiben leben konnte, kündigte sie und zog nach New York. Vor Berlin hatte Janne Teller schon Zweitwohnungen in Mailand, Paris und ihrer Geburtsstadt Kopenhagen. Aus Heimweh nach dem alten Kontinent.

"Für mich ist Europa sehr wichtig, ich bin Europäer, ganz klar, aber ich habe eine Liebe für New York. New York ist meine Favoritenstadt der ganzen Welt, aber trotzdem vermisse ich Europa, wenn ich da bin, die ganze Zeit.

Das ist auch das Gleiche mit Freunden. Immer vermisse ich doch einige Freunde, die woanders sind, aber ich bin so gewöhnt daran, ja, es ist okay. Wenn ich jemanden wirklich gern sehen möchte, dann reise ich auch gern lange."

Gute Freunde in der Nähe zu haben, ist für Janne Teller lebenswichtig. Wahrscheinlich, sagt sie, weil sie beim Schreiben soviel allein sei. Viele ihrer Freunde leben allerdings ähnlich nomadisch wie sie. Treffen müssen sie darum von langer Hand planen, auch wenn sie eigentlich in benachbarten Stadtteilen wohnen; die Weihnachtstage verbringen sie oft gemeinsam in New York. Wenn man so weltumspannend lebt, wie Janne Teller, büßen Entfernungen irgendwann ihre Bedeutung ein. Und doch ist ihr der Besuch einer pakistanischen Freundin, mit der sie sich zu UN-Zeiten ein Haus in Mosambik geteilt hat, in Erinnerung geblieben.

"Als ich in Rom in Italien war für einen Termin, ist sie den ganzen Weg von Bosnien gefahren für 24 Stunden, I mean, für einen Abend. Ich war nur da für einen Abend, aber wir haben einander seit zwei Jahren nicht gesehen, glaube ich. Das ist auch für meine Freunde ganz normal, das machen wir, wenn wir gerne einander treffen möchten, ja."

In dem kleinen, altmodischen Café in Charlottenburg hat der stille Gast seine Zeitung ausgelesen und ist unbemerkt gegangen. Auch Janne Teller verabschiedet sich und tritt hinaus auf die Krumme Straße in ihrem vorübergehenden Zuhause Berlin. Sie hat viel zu tun. Morgen ist sie in einer Fernsehsendung in Kopenhagen zu Gast. Janne Teller also, Teller wie Englisch für Erzähler. Kein Pseudonym, schlicht ein Name, der eine weite Reise hinter sich hat.

"Es ist ein deutscher Name von meinem Großvater, der war Deutscher, und das kommt vom Tellermacher. Er ist aus dem Gebiet irgendwie in Sachsen, ich glaube, nicht so weit von Leipzig eigentlich. Das waren die Tellermacher, das war sein Name. Aber es ist gut für einen Schriftsteller, finde ich auch!"

Service:
Das Theaterstück zu Janne Tellers Roman "Nichts" wird am 10.6.2013 am "Schnawwl Theater für junges Publikum" am Nationaltheater Mannheim gespielt. Weitere Aufführungstermine auf der Website des Theaters.
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