"Eine Impfung ist generell anzuraten"

Helmut Fickenscher im Gespräch mit André Hatting · 07.03.2013
In diesem Jahr geht die Grippe recht heftig um. Helmut Fickenscher, Direktor des Institutes für Infektionsmedizin, erklärt, wie gefährlich die Grippewelle wirklich ist - und wie man sich vor einer Infektion schützt.
André Hatting: Tja, noch genießen wir den Vorfrühling, aber die Grippewelle, die haben wir noch längst nicht hinter uns. In dieser Saison scheint es mal wieder besonders schlimm zu sein, prominentes Opfer war zuletzt Mats Hummels, der Dortmunder Innenverteidiger fehlte ja am Dienstag im Champions-League-Spiel. Die Volkskrankheit Grippe ist auch eines der Schwerpunktthemen auf der 23. Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Virologie, bis zum Samstag tauschen in Kiel etwa tausendfach Leute aus dem In- und Ausland aktuelle Forschungsergebnisse aus. Helmut Fickenscher ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin in Kiel und Leiter der Tagung. Guten Morgen, Herr Fickenscher!

Helmut Fickenscher: Guten Morgen!

Hatting: Wie gefährlich ist denn die aktuelle Grippewelle wirklich?

Fickenscher: Wenn man die Meldezahlen betrachtet, weil ja der Nachweis dieses Infektionserregers meldepflichtig ist, dann sieht man, dass in dieser Saison deutlich mehr los ist als in der Saison des vergangenen Jahres. Also, eine ganze Reihe von Erkrankungen, jeder von uns wird das aus dem Bekanntenkreis ja auch mitgekriegt haben, wenn nicht auch vielleicht selber schon die Erfahrung gesammelt worden ist. Und zum Glück sind sehr viele dieser Erkrankungen relativ harmlos, aber gerade Patienten mit vorgeschädigter Lunge kann es wirklich sehr, sehr schwer treffen.

Hatting: Woran liegt das, dass die Zahl der Erkrankungen zunimmt?

Fickenscher: Das ist von Jahr zu Jahr immer unterschiedlich. Und wir hatten ja die Grippenpandemie in den letzten Jahren, dadurch waren wahrscheinlich besonders viele infiziert oder hatten eine entsprechende Infektion, und vermutlich war deshalb in der letzten Saison die Zahl insgesamt etwas niedriger.

Hatting: Liegt es auch daran, dass sich das Grippevirus selbst verändert, wird es gefährlicher?

Fickenscher: Diese Veränderung war eben bei der Pandemie eingetreten, glücklicherweise war es ein relativ wenig aggressives Virus, was im Allgemeinen eher schwache Erkrankungen hervorgerufen hat, aber es hat sich extrem gut verbreitet. Und die Angst besteht begründet konstant, dass neue Viren auftreten können, die sich eben aus verschiedenen Viren von Menschen und Tieren zusammenbasteln können. Und hier können auch gefährlichere Viren auftreten. Zum Glück ist das selten, aber wenn es kommt, dann kommt es mit voller Wucht.

Hatting: Wäre die Vogelgrippe so ein Beispiel?

Fickenscher: Die Vogelgrippe war genau so ein Beispiel. Zum Glück sind nur relativ wenige Menschen weltweit damit infiziert worden, aber dort war es in einem hohen Prozentsatz tödlich. Und würde nun so ein Virus auch noch hochansteckend, wäre es eine sehr hohe Gefahr.

Hatting: Wie kann man sich davor schützen?

Fickenscher: Die Impfung ist generell anzuraten, denn die Grippeimpfung wird auch gegen viele neu entstehende Grippeviren eine gewisse Wirksamkeit haben. Zusätzlich ist vorsichtiges Verhalten im Falle einer Grippeepidemie oder -pandemie grundsätzlich nützlich, das heißt, größere Menschenansammlungen meiden, sich die Hände zu waschen, und auch den Kontakt zu grippeerkrankten Patienten lieber vermeiden.

Hatting: Jährlich sterben 15.000 Menschen in Krankenhäusern, weil sie sich dort mit Keimen anstecken. Ist das nur eine Frage mangelnder Hygiene oder hat das auch mit diesen Keimen etwas zu tun?

Fickenscher: Diese als Krankenhausinfektion bezeichneten Keime sind überwiegend Bakterien, nicht so sehr Viren. Aber wenn nun ein Grippepatient im Krankenhaus durch mangelnde Vorsichtsmaßnahmen im Krankenhaus es schafft, viele Leute dort anzustecken, wird man auch von einer Krankenhausinfektion sprechen. Im Bereich der Krankenhausinfektionen sind besonders heikel diejenigen Erreger, die Resistenzen gegen viele Medikamente aufgesammelt haben. Das gibt es auch bei Viren, viele Grippeviren sind resistent gegen die verfügbaren Medikamente. Darum sollte man diese Medikamente auch sehr sparsam nur dann einsetzen, wenn es tatsächlich einen echten Grund dafür gibt, zum Beispiel eben bei vorgeschädigter Lunge. Aber überwiegend betrifft die Fragestellung bakterielle Erreger, die dann gegen viele Antibiotika resistent geworden sind.

Hatting: Apropos Antibiotika und sparsamer Einsatz: Laut einer Studie verschreiben Ärzte in Deutschland viel zu oft Antibiotika, auch wenn es sich um virale Infektionen handelt, also eine Antibiose gar nichts bringt. Welche Folgen hat das?

Fickenscher: Ob nun die Antibiotikatherapie zum Beispiel bei einer Grippe gar nichts bringt, muss man sehr differenziert betrachten. Die Grippeviren breiten sich im Atemwegstrakt sehr schnell aus und führen dort letztendlich zu Wunden. Und in diesen Wunden können sich wieder Bakterien prima vermehren. Und auf der Basis der Grippevirusinfektion können sich eben auch sehr schwere bakterielle Infektionen entwickeln, und beide Erreger zusammen haben dann einen besonders heftigen Erfolg. Insofern ist es gut verständlich, dass niedergelassene Ärzte oder überhaupt Ärzte gerne auch Antibiotika in diesem Zusammenhang einsetzen. Das ist völlig unbestritten, dass das in vielen Fällen überflüssig ist und eben nichts nützen würde, aber es gibt tatsächlich eben auch Fälle, bei denen es äußerst wesentlich ist. Und das weiß man ja nicht vorher.

Hatting: Hat die Resistenzenbildung, die Sie gerade angesprochen haben, auch etwas damit zu tun, dass möglicherweise zu viel Antibiotika verschrieben werden oder zu viel bestimmte Medikamente verschrieben?

Fickenscher: Die Resistenzentwicklung ist im Wesentlichen durch den Kontakt der Erreger mit den entsprechenden antiinfektiven Medikamenten verursacht. Das ist bei den Bakterien genau so wie bei den Viren. Und je unkritischer die Medikamente eingesetzt werden, desto leichter kann man eben diese Erreger resistent züchten, auch im Patienten.

Hatting: Kurz vor Ihrer Tagung sorgte eine Meldung aus den USA für Aufsehen, ein mit HIV infiziertes Baby soll angeblich geheilt worden sein. Teilen Sie da die Euphorie Ihrer amerikanischen Kollegen?

Fickenscher: Meine Quelle ist vermutlich dieselbe wie bei Ihnen, ich habe es nur aus der Presse gesehen, in sehr kurzen Berichten, Details waren sehr spärlich. Und ich bin da noch sehr, sehr skeptisch. Manche dieser Details sprachen dafür, dass es sich vielleicht eher um eine sehr große Übertreibung handelt, aber da wird man abwarten müssen, bis man genauere Daten verfügbar bekommt.

Hatting: Die Viren, neue Gefahren und Therapiemöglichkeiten, darüber beraten gerade in Kiel Forscher aus aller Welt auf dem Kongress der Gesellschaft für Virologie. Ich habe mit Helmut Fickenscher, dem Tagungspräsidenten, gesprochen. Vielen Dank, Herr Fickenscher!

Fickenscher: Danke schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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