"Eine humanitäre Pflicht der Bundesregierung"

Ulrich Post im gespräch mit Ute Welty · 08.05.2013
Nach dem Abzug aus Afghanistan sollte Deutschland afghanischen Mitarbeitern zumindest übergangsweise Asyl anbieten, sagt Ulrich Post. Gefährdet seien vor allem Menschen, die in militärische Aktionen eingebunden waren, sagt der Vorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen.
Ute Welty: Es ist ein Tag der Trauer für die Bundeswehr, heute wird der tote Elitesoldat nach Deutschland überführt, der am Wochenende von Aufständischen in Afghanistan erschossen worden ist. Der Vorfall beweist, was eigentlich keines Beweises bedarf: Die Lage in Afghanistan bleibt gefährlich. Nichtsdestotrotz beeilten sich die Verantwortlichen zu betonen, es bleibe beim geplanten Abzug.

Bereits jetzt fliegt die Bundeswehr täglich Container, Gerät und Fahrzeuge aus, um sie über die Türkei nach Deutschland zu verschiffen. Im Sommer soll das Truppencamp in Kundus fast komplett geräumt sein, zurück bleiben die, die für die für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet haben: Die Dolmetscher, Wachleute, Küchenhelfer, und zurück bleiben auch die Nichtregierungsorganisationen wie die Welthungerhilfe, Caritas international und medico international.

117 der NGOs sind bei VENRO zusammengeschlossen, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, unter dem Vorsitz von Ulrich Post. Guten Morgen!

Ulrich Post: Guten Morgen!

Welty: Der Abzug der Bundeswehr, für Sie eine gute Nachricht?

Post: Ja, natürlich, es ist immer eine gute Nachricht, wenn sich Militär aus einem Land zurückzieht. Was wir kritisieren und womit wir überhaupt nicht zufrieden sind, ist, dass sich das internationale Militär in Afghanistan im Moment voll darauf konzentriert, die Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung und die afghanischen Sicherheitskräfte zu übergeben und das ursprüngliche Ziel einer Stabilisierung des Landes völlig aus den Augen verloren hat. Im Moment agiert das internationale Militär unter dem Motto: Nichts wie raus.

Welty: Und das heißt für Sie und Ihre Arbeit?

Post: Na ja, für unsere Arbeit heißt das in allererster Linie erst mal noch gar nicht so furchtbar viel, weil die meisten Nichtregierungsorganisationen schon vor dem internationalen Militäreinsatz in Afghanistan waren und mit Sicherheit auch da bleiben, in Afghanistan, wenn das internationale Militär weg ist. Insgesamt erwarten wir natürlich eine gewisse Unruhe in bestimmten Regionen, es herrscht eine große Unsicherheit einfach in Afghanistan, wie es jetzt weitergeht.

Welty: Das heißt, es könnte auch bedeuten, dass auch Ihnen ein Stück Sicherheit fehlt, wenn das Militär nicht mehr da ist?

Post: Das kann so sein, das muss aber nicht so sein. Insgesamt war es ja eher umgekehrt, dass die Organisationen, die dort gearbeitet haben, bevor das Militär kam, in relativer Sicherheit gearbeitet haben. Erst als das Militär kam, hat sich die Situation für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowohl für die lokalen wie auch für die internationalen, plötzlich zum Schlechteren verändert.

Welty: Warum war das so?

Post: Das war dann so, weil sich die innenpolitische Situation einfach verschärft hat und jeder Ausländer in Generalverdacht stand, mit dem Militär zu paktieren.

Welty: Die Zweigleisigkeit von militärischer Sicherheit und zivilem Aufbau war ja die Grundidee des Afghanistaneinsatzes. Würden Sie so weit gehen zu sagen, diese Idee ist komplett gescheitert?

Post: Die Idee hat zumindest unsere Mitarbeiter in große Gefahr gebracht. Das Militär ist halt kein neutraler Akteur, sondern es ist immer Partei. Und Nichtregierungsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisten, unterliegen den humanitären Standards. Und die sagen eben, Unparteilichkeit ist das Ziel. Wir würden im Notfall auch einem Taliban helfen, das ist klar.

Welty: Welche Art von Gefährdung haben Sie konkret erlebt oder von der konkret gehört?

Post: Na ja, es sind schon auch Mitarbeiter entführt worden, es sind Mitarbeiter umgekommen. Das alles passierte nach dem Einmarsch der Militärs.

Welty: Wie die Bundeswehr kommen auch die Hilfsorganisationen nicht ohne lokale Unterstützung aus. Können Sie demnächst auf die Kräfte zurückgreifen, die vorher für die Bundeswehr tätig waren?

Post: Also zunächst einmal gibt es etwa zehn bis 15 deutsche Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind, wir haben etwa 1.000 bis 1.500 lokale Mitarbeiter. Dann gibt es noch einmal 1.600 lokale Mitarbeiter, die die staatlichen Entwicklungsorganisationen in Afghanistan haben. Die Bundeswehr hat etwa 1.500 bis 1.700 lokale Mitarbeiter in Afghanistan und ein Teil von ihnen wird sicher weiterbeschäftigt werden, es zieht ja nicht die ganze Bundeswehr ab. Ein anderer Teil muss sich halt nach anderem umgucken, ein Teil von ihnen möchte ja auch gern nach Deutschland.

Welty: Viel diskutiert wird über die Sicherheit dieser Menschen, die eben für das Militär gearbeitet haben und womöglich als Kollaborateure gelten, die mit der Besatzungsmacht gemeinsame Sache gemacht haben. Wie schätzen Sie das ein?

Post: Ich glaube, dass die Bedrohungslage oder die Gefährdungslage dieser Mitarbeiter, die ist zum einen mal regional unterschiedlich. In Faizabad hat der Abzug ja schon stattgefunden, da ist aber nichts passiert. Ich glaube auch nicht, dass es eine flächendeckende Rache geben wird. Ich glaube, dass es eher lokal zu Unruhen kommen wird. Es gibt halt sehr viele Machtzentren in Afghanistan, es ist ja nicht so, dass Kabul jetzt das große Machtzentrum wäre.

Die zweite Gefährdung betrifft die Tätigkeit. Ich glaube, dass die Gefährdung unterschiedlich ist, je nach Tätigkeit. Gefährdet sind vor allem die lokalen Mitarbeiter, die in militärische Operationen eingebunden waren. Das können auch Übersetzer sein. Also, Küchenhelfer, die Sie eingangs erwähnten, sind meiner Meinung nach nicht so sonderlich gefährdet.

Wir müssen noch eins im Kopf behalten, nämlich dass die afghanischen Mitarbeiter zum großen Teil ja nicht in einem Camp gewohnt haben, sondern sie sind abends, wie Sie und ich auch, nach ihrer Arbeit nach Hause gegangen und haben in ihrer Stadt gewohnt und sind dort auch nicht sonderlich gefährdet gewesen. Deswegen weiß ich wirklich nicht, wie viele von den 1.500 lokalen Mitarbeitern gefährdet sind. Wenn wir mal davon ausgehen, dass vielleicht ein Drittel – das ist eine sehr optimistische Schätzung – ein Drittel in Operationen verwickelt war, dann sprechen wir hier von 500 Menschen, die gefährdet sind in ihrer Sicherheit.

Welty: Löst es das Problem, diesen Menschen Asyl in Deutschland anzubieten?

Post: Ich denke, dass die Bundeswehr - und die Bundesregierung vor allen Dingen - Fürsorgepflicht diesen Menschen gegenüber hat, die loyal zur Bundesregierung gestanden haben und mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben. Deswegen, glaube ich, ist es einfach eine humanitäre Pflicht der Bundesregierung, diesen Menschen zumindest für eine Übergangszeit ein Asyl anzubieten.

Andere Länder haben das ein bisschen cleverer gemacht als die Deutschen, die Franzosen etwa haben gesagt, dass sie ich glaube bis zu 200 lokale Mitarbeiter aufnehmen, machen dann aber auch eben auch eine Einzelfallprüfung. Die Deutschen haben gleich gesagt, wir machen erst mal eine Einzelfallprüfung. Und was wir uns wünschen, ist, dass diese Einzelfallprüfung bitte sehr großzügig gehandhabt wird, weil diese Leute es einfach verdient haben.

Welty:…sagt Ulrich Post, der VENRO-Vorsitzende. In diesem Verband sind mehr als 100 deutsche Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen. Ich danke fürs Interview in dieser "Ortszeit"!

Post: Gerne!


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