Eine Hommage an die Bauarbeiter

Von Volkhard App · 27.08.2010
Die Künstlerin Monica Bonvicini greift in ihren Ausstellungen viele Facetten auf: Architektur, die Berufswelt, Sexualität und Politik in verschiedenen Kontexten. Ihre aktuelles Werk "Both Ends" ist in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel zu sehen.
Riesige, mit Glühbirnen bestückte Buchstaben. "Built for Crime" ist da zu lesen, sofern man das gleißende Licht überhaupt aushält. Eine Andeutung, dass sich die in Venedig geborene, in Los Angeles und Berlin lebende Künstlerin immer wieder mit Architektur befasst – und mit dem Einfluss, ja der Macht, die Gebäude ausüben: hier der gebaute herrschaftliche Anspruch, dort der eingeschüchterte Einzelne. Doch ob man da gleich von "Verbrechen" sprechen sollte? Immerhin, die Bedeutung des Schriftzugs "Built for Crime" ändert sich, je nachdem wo er installiert wird: ob im altehrwürdigen Fridericianum in Kassel oder in New York in der Nähe einer Bank.

Wann immer Monica Bonvicini mit Licht arbeitet, wird es grell - erst recht wenn sie Neonröhren aus dem Alltag bündelt. Das Hinsehen schmerzt, und man weiß nicht, ob sie das Publikum nun anziehen oder auf Distanz halten will:

"Ich glaube, das haben Sie sehr schön beschrieben: Ich möchte gerne beides."

Unmittelbarer Blickfang sein, aber den Besucher zugleich ein Stück weit abstoßen - beides erreicht sie auch mit Zitaten und Wortbrocken an Wänden und auf splittrigen Scheiben. Von Künstlerpionieren können die Fragmente sein, von Sigmund Freud oder von Rockmusikern. Jeder muss entscheiden, ob er sich, statt nach dem tieferen Sinn zu fahnden, von diesen Texttafeln zu eigenen Assoziationen anregen lassen will – oder nicht. Die Zitate entspringen zum Teil spontaner Lektüre, können aber auch aus der "Vorratskammer" der Künstlerin stammen:

"Zum Beispiel die Zitate in meiner neuen Arbeit habe ich in fast zehn Jahren gesammelt: genommen aus der Fachliteratur, aus Poesie und Romanen. Und diese Zitate ergeben für mich einen totalen Sinn."

Für Bonvicini spricht, dass sie – wenn sie kritische Akzente setzt – es ohne Verbissenheit tut. Dem männlichen Selbstverständnis kommt sie mit einer ironischen Fotoserie auf die Spur: Rund um den Erdball hat sie in Werkstätten geblickt und vor Ort Pin-Up-Fotos entdeckt. Die jeweiligen Männer schauen aber nicht etwa schuldbeladen in die Kamera.

Bauarbeiter haben es Monica Bonvicini besonders angetan. Wo sie sich auch aufhält, sucht sie Baustellen auf und lässt von Arbeitern Fragebögen ausfüllen: Ob sie ihren Beruf denn als kreativ empfinden? Ob sie sich an die Gebäude, an denen sie mitgewirkt haben, noch erinnern? Was ihre Frauen von den rauen und trockenen Händen halten? Rund 400 dieser in diversen Sprachen ausgefüllten Fragebögen hängen in Kassel an den Wänden, fast schon eine soziale Studie:

"Es gibt eine Unmenge an Zeitschriften und Büchern über Architekten und Ingenieure. Aber es gibt wenig Literatur über Bauarbeiter - und das sind die Leute, die die Sachen errichten. Meine Fragebögen sind keine 'Verarschun'‘, sondern eine Hommage an die Bauarbeiter. Man kann daraus sehr viel erfahren - je nachdem, in welchem Land die Fragebögen verteilt worden sind -, zum Beispiel über die jeweilige Arbeitsethik."

In der letzten Frage des Formulars will Bonvicini immer wissen, wen die Arbeiter am liebsten einmauern möchten. Soviel Mörtel gäbe es gar nicht, antwortet einer, ein anderer schreibt "alle Architekten", ein dritter "alle Politiker". Und einer legt sich sogar fest: "Guido Westerwelle" ist da zu lesen.

Und es gibt es noch mehr zum großen Thema: Sitze, mit denen Bauarbeiter sicher in die Höhe gehievt werden, hat Bonvicini mit Latex überzogen, wie sie es oft mit alltäglichen Gegenständen tut. Schwarz glänzend hängen sie an Ketten – und wirken, als stammten sie aus jenen Etablissements, in denen eine Domina erst Respekt fordert – und dann einen angemessenen Obulus.

Eine große, aus Pornomotiven zusammengesetzte Montage mit Darstellern, die als schwule Bauarbeiter posieren, wird im Fridericianum an auffälliger Stelle gezeigt, ist aber am ehesten verzichtbar. Videos, Lichtinstallationen, Fotos und Textarbeiten: Das Material dieser Künstlerin ist divergent, und eine vorherrschende Handschrift nicht erkennbar. Bonvicini ist immer wieder an anderen Baustellen zu finden, um im Bild zu bleiben. Was Kunsthallendirektor Rein Wolfs an ihr besonders schätzt:

"Eine Künstlerin, die installativ arbeitet und sich in der Art, wie die Werke formal daherkommen, oft auf die Konzeptkunst und die Minimal Art der 60er- und 70er-Jahre bezieht."

Eine Künstlerin, die provozieren will?

"Ich möchte die Kunst nicht provokativ nennen, aber sie ist prickelnd und will unmittelbar auf uns einwirken."

Obwohl es mit Sex, Männerdominanz und Architektur Themenfelder gibt, denen sich Bonvicini immer wieder widmet: Ein "rundes" Bild kann diese Schau nicht vermitteln – und das ist wohl auch gar nicht möglich. Bonvicini will nicht festgelegt werden, setzt immer wieder an und handelt, wenn sie im Atelier zum dröhnenden Rock etwas Neues austüftelt, vor allem nach einer Devise:

"Ich will das Publikum auf keinen Fall langweilen - und möchte selber auch nicht gelangweilt werden, wenn ich mir Kunst anschaue. Ein bisschen wachrütteln möchte ich schon."
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