Eine groteske Geschichte über die ewige Jugend

Rezensiert von Lutz Bunk · 11.04.2005
Die Literaturkritiker in den USA feiern einen neuen Shooting-Star am Bestseller-Himmel. Mit seinem zweiten Roman "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" hat der 35 Jahre junge Autor Andrew Sean Greer nun den Durchbruch geschafft. Wegen oder trotz seiner grotesken Story: 1871 wird ein Kind geboren, alt wie ein Greis. 70 Jahre später stirbt es als Säugling.
"Es gibt keinen Namen für das, was ich bin. Ärzte begreifen es nicht; meine Zellen wuseln unter dem Mikroskop falsch herum, teilen sich und verdoppeln ihre Ungewissheit. Ich selbst aber sehe mich als uralten Fluch. Den Gleichen, mit dem Hamlet Polonius bedachte, bevor er den Alten aufspießte, er sei "wie ein Krebs, der rückwärts" krieche, immer rückwärts. Ginbeduselt habe ich geflucht und Wildfremde angespuckt, die mich für das Gegenteil dessen hielten, was ich im Inneren war – für einen Erwachsenen das Kind, für einen Schuljungen den alten Mann, der ich jetzt bin. Ich habe gelernt, was Mitgefühl heißt, und bedauere die Leute ein wenig, weil ich besser als jeder andere weiß, was ihnen noch bevorsteht."

Aus Andrew Sean Greers neuem Roman "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli". Und es ist wirklich eine im wahrsten Sinne des Wortes phantastische Geschichte. Denn eben jener Max Tivoli kommt 1871 in San Francisco auf die Welt, nur: das Baby ist körperlich ein Greis, um sich dann Zeit seines Lebens kontinuierlich zu verjüngen: so geschieht es ihm zum Beispiel, dass er sich, -äußerlich ein alter Mann aber sich fühlend wie ein 17-Jähriger -, unsterblich in seine 14-jährige Nachbarin Alice verliebt, - Passagen wie aus Vladimir Nabokovs Roman "Lolita", jubeln die amerikanischen Kritiker; und John Updike über Greers Roman: "Ein bezaubernder, flüchtiger Reigen wundervoller Trugbilder". Wie kommt man auf solch eine Idee?

"Ich war allein zuhause und sang ein Lied von Bob Dylan, das

heißt "my back pages", das geht so: damals war ich so viel

älter, bin so viel jünger heute. Da hatte ich die Idee: ein Mann,

der immer jünger wird."

Die Startauflage des Romans lag in den USA zunächst bei vorsichtigen 14.000, nun zum Bestseller geworden und in 22 Sprachen übersetzt, geht Greers deutscher Verlag S. Fischer gleich mit 70.000 Exemplaren auf den Markt. Nachdem ihn allerdings die amerikanischen Kritiker schon zum Nachfolger von Nabokov und Proust erklärten, stieß er in Europa vereinzelt auf Kritik, so zum Beispiel: die Romanfigur Max Tivoli, die einen dänischen Vater hat, sei nicht dänisch genug, meinte ein Kritiker aus Kopenhagen. Greer liebt mittlerweile schlechte Kritiken.

"Dann weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe; niemand will ein Buch schreiben, wo alle sagen: ja, das ist ganz nett. Sie sollen es lieben oder hassen, weil Du dann weißt, Du hast sie berührt. Als ich mein Buch in London vorstellte, interviewte mich die BBC und ein paar Tage später saßen in der Sendung drei Kritiker, -eine war die weltberühmte Schriftstellerin Germaine Greer-, sie hielt das Buch in die Kamera und sagte, das sei der größte Schwachsinn, den sie je gelesen habe. Ich sah das in meinem Hotelzimmer und musste laut lachen. Wenn sie gesagt hätte, es gefalle ihr persönlich nicht, okay, aber das wäre wohl für einen Star wie Germaine Greer zu lapidar. "

Ihr Namensvetter Andrew Sean Greer, 1.90, gutaussehend, 35 Jahre jung, genießt indessen seinen Mega-Erfolg, 15 Jahre jobbte er als Chauffeur und Stenotypist, um schreiben zu können. Und Erfolg befreit, so Greer, man müsse keine Rolle mehr spielen, er könne ein Bier zu viel trinken, erzählen, Joints geraucht zu haben und dass er mit seinem festen Freund David zusammenlebe.

"Wer schreibt, der weiß, er ist zum Scheitern verurteilt! Ein

Zustand aus Zweifel und Arroganz, der dich prägt, dich nicht

gerade pflegeleicht für deine Umwelt macht."

Andrew Sean Greers "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" ist ein Liebesroman, sentimental, barock, spannend, komisch, mit einem Wort, - John Updike hat recht -, bezaubernd. Dass manche Szenen ein bisschen zu überladen sind und dass die Story am Ende etwas atemlos wird …, ein wirklich großer Roman wie dieser darf sich das allemal erlauben.

"Wenn Kritiker meinen, der Roman sei kitschig oder überladen, dann haben sie nicht begriffen, dass er das bewusst ist und ironisch damit spielt. Das ist deren Problem!"

Andrew Sean Greer
"Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli"
Roman, S. Fischer-Verlag,
Frankfurt 2005, gebunden,
347 Seiten,
19,90 Euro
Übersetzt von Uda Strätling