Eine Geschichte über Verlust, Trauer und verlorene Liebe

29.08.2011
Im Februar 1982 geht eine kanadische Bohrinsel unter - und mit ihr der Ehemann von Helen, Protagonistin in Lisa Moores Buch. Auch 25 Jahre später holt dieser Verlust Helen immer wieder ein und reißt sie aus ihrem Alltag.
"Und wieder Februar" ist ein Buch über Trauer und Einsamkeit, und dabei kommt es ohne jede Larmoyanz oder Sentimentalität aus. Dieses Kunststück hat die kanadische Autorin Lisa Moore fertig gebracht. In ihrem Roman geht es um fiktive Figuren, er geht aber von einem realen Ereignis aus, vom Untergang der kanadischen Bohrinsel "Ocean Ranger", die im Februar 1982 vor der Küste Neufundlands gesunken ist. In Lisa Moores Roman hat die Protagonistin Helen O’Mara ihren Mann Cal bei diesem Unglück verloren. Sie war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, hatte drei kleine Kinder und war mit einem vierten schwanger. Die Kinder halten sie im Leben, aber nur an der Oberfläche. Darunter kreist ihr Denken um den ungeheuren Verlust, auch noch 25 Jahre danach.

Helen führt eine Doppelexistenz: in der Gegenwart und in einer unabschließbaren Vergangenheit; das gibt dem Roman seine zeitliche Struktur. Die erzählerische Gegenwart ist die des Jahres 2008, Helen ist nun 56, sie lebt allein. Eine zweite Erzählebene liegt in der Vergangenheit, konzentriert auf das Jahr 1982, aber mit Ausblicken in Helens Leben vor und nach dem Unglück. Lisa Moore führt die Handlung parallel durch beide Zeitenebenen, so dass die Gegenwart immer wieder von der Vergangenheit durchdrungen wird. Die Vermischung der Zeiten wird auf allen Ebenen zum Leitmotiv des Buches. So wird Helen bei den alltäglichsten Verrichtungen von der Vergangenheit überfallen. Im Yogakurs hört sie die Anweisung der Trainerin "Öffnet eure Brust und bietet euer Herz dar", und im starken Kontrast dazu wütet in ihrem Inneren die Erinnerung an einen ebenso gewalttätigen wie komischen Ausbruch, in den die alleinerziehende Mutter Jahre zuvor ein klemmendes Kinderbett getrieben hatte.

Solche ironischen bis sarkastischen Brechungen sind typisch für Lisa Moores Prosa. Ihre kurzen, zupackenden Sätze, ihre direkte, schlanke Sprache nehmen der Geschichte jede falsche Gefühligkeit. Elliptische Verknappungen, Aufzählungskaskaden, fließende Übergänge zwischen Erzählung und wörtlicher Rede beschleunigen den Text. Der Stil korreliert mit dem Charakter der Protagonistin. Helen ist tough, gerne auch schroff. Sie streitet laut und derb mit ihren Kindern, wirft sich aber wie ein Löwin vor sie, wenn andere sie kritisieren. Das gerade diese so dem Leben zugewandte, lustvolle Frau in eine Jahrzehnte überdauernde Trauer verfällt, gibt Lisa Moores Geschichte eine besondere Überzeugungskraft.

Was genau ist in jener Nacht geschehen, als die "Ocean Ranger" unterging? Was hat Cal in seinen letzten Stunden, seinen letzten Minuten erlebt? Helen will ihrem Mann auch in diesen letzten Momenten seines Lebens nah sein, deshalb versucht sie, Cals Sterben immer wieder minutiös zu rekonstruieren. Dieses Unglück ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans, Tod und Verlust werden aber konterkariert von anderen, ebenso existentiellen Erfahrungen. "Und wieder Februar" heißt das Buch, weil 27 Jahre nach Cals Tod in einem neuen Februar ein Kind zur Welt kommt, ein Enkel von Cal und Helen.

Besprochen von Frank Meyer

Lisa Moore: Und wieder Februar
Aus dem Englischen von Kathrin Razum
Carl Hanser Verlag, München 2011
336 Seiten, 19,90 Euro