Eine Geschichte bibliophiler Träume

Von Roland Krüger · 04.12.2007
Er bezeichnet sich als einen in Argentinien geborenen kanadischen Schriftsteller, der in Frankreich lebt. Dort hat er ein Haus für seine 35.000 Bücher gefunden. Seine "Geschichte des Lesens" wurde in viele Sprachen übersetzt. Der Autor und Übersetzer Alberto Manguel ist zurzeit mit seinem neuen Werk "Die Bibliothek bei Nacht" auf Lesereise in Deutschland.
Manguel: " Ich bin nach Frankreich gezogen, also bin ich jetzt ein kanadischer Schriftsteller, geboren in Argentinien, der in Frankreich lebt. Einfach aus praktischen Gründen, denn dort habe ich ein Haus gefunden, das groß genug ist für meine Bibliothek. "

Alberto Manguel strahlt über das ganze Gesicht. Der elegant gekleidete Herr mit Brille und weißem Vollbart scheint seinen Bestimmungsort gefunden zu haben. Dort, wo seine 35.000 Bücher Platz haben, ist sein Zuhause, und zufällig ist das in Frankreich.

Das neue Buch von Alberto Manguel beschreibt eine Bibliothek. Ihre Ordnung, aber auch ihre chaotischen Erscheinungen am Rande. "Die Bibliothek bei Nacht" heißt das Buch. Christian Brückner liest:

" Die Ordnung der Bibliothekskataloge ist in der Nacht nur Konvention. Frei von den Zwängen des Alltags gleiten meine Augen und Hände zu so später Stunde ungehindert an den ordentlichen Reihen entlang und stellen das Chaos wieder her. Ein Buch ruft überraschend nach einem anderen, schafft Bündnisse über Kulturgrenzen und Jahrhunderte hinweg. "

Die Gedanken sind frei. Wie Fledermäuse können sie nachts herumschwirren – das ist die eine Aussage des neuen Buchs von Alberto Manguel – einer Geschichte voller Phantasien und bibliophiler Träume. Die andere Aussage preist Bücher als verlässliche Eckpunkte für die Leser.

Manguel: " Wir brauchen ein Gefühl der Zugehörigkeit. In meinem Fall habe ich dieses Gefühl durch Bücher bekommen. Seit früher Zeit, schon als Kind, als wir viel reisten, schaute ich mir Bücher an, und es war vertrauenerweckend, dass ich jeden Abend dasselbe Buch haben konnte und feststellte, dass dieselbe Geschichte auf derselben Seite stand. Das gab mir sehr viel Sicherheit. "

Mit 16 Jahren arbeitete Alberto Manguel während der Ferien in einer Buchhandlung in Buenos Aires. Einer seiner Kunden war der damals 58-jährige Schriftsteller Jorge Luis Borges, dessen Augen so schwach waren, dass er ständig Menschen suchte, die ihm vorlesen.

Manguel: " Er bat viele viele Leute, zu ihm zu kommen, um ihm vorzulesen. Ich war nur einer von vielen. Ob mich das beeinflusst hat? Ja, ganz sicher. Borges war vielleicht der meist belesene Mensch des 20. Jahrhunderts, und für einen Buch interessierten Jungen war das die Lektion seines Lebens. Aber damals wusste ich das noch nicht. Ich hatte schließlich auch die Arroganz eines Heranwachsenden und dachte, ich würde Borges einen Gefallen tun. Erst Jahre später merkte ich, dass das nicht so war."

Alberto Manguel schwärmt noch heute von seiner Schule, die Universität aber hat ihn kalt gelassen, das Lernen dort war anders strukturiert als seine philosophische, nicht immer geradlinige Art, sich Wissen anzueignen. Er spricht recht gut Deutsch, komplizierte Gedanken aber möchte er lieber auf Englisch ausdrücken. Gesehen hat er fast die ganze Welt. Aufgewachsen ist er in Israel, wo sein Vater argentinischer Botschafter war. In den siebziger Jahren lebte er auf Tahiti und in Europa. 1985 ging er nach Kanada. Seit gut fünf Jahren wohnt er in Frankreich und wartet sehnsüchtig auf ein Enkelkind.

Manguel: " Jetzt habe ich drei erwachsene Kinder, und ich hoffe, dass mich eins davon bald mit einem Enkelkind versorgt, dem ich Geschichten vorlesen kann. "

Und diese Geschichten müssen gar nicht unbedingt aus seiner Feder stammen. Getreu einem Motto, das ihm Jorge Luis Borges mit auf den Weg gab, nachzulesen in Alberto Manguels neuem Buch "Die Bibliothek bei Nacht":

" Die Handlung eines Romans zu ersinnen, ist eine wunderbare Aufgabe, sagte Borges einmal. Wer sie tatsächlich aufschreibt, übertreibt. "


Alberto Manguel: "Die Bibliothek bei Nacht"
aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié,
erschienen im S. Fischer Verlag, 400 Seiten, gebunden, 19,90 Euro