Eine Frau wechselt zur Probe das Geschlecht

22.10.2007
Die New Yorker Journalistin Norah Vincent lebte ein Jahr als Mann. Sie trat einem Bowling-Club bei, ging in Striptease-Lokale und eine Männerselbsterfahrungsgruppe. Sie lernte als Mann Frauen über Internetforen und beim Speed-Dating kennen. Das eigentlich Überraschende an ihrem Buch: Sie geht mit ihren Geschlechtgenossinnen hart ins Gericht.
Zu Anfang war es nur ein Spaß. Die in New York lebende Journalistin verkleidete sich für eine Nacht als "Drag-King" und ging zu ihrer eigenen Überraschung anstandslos als Mann durch. Nun will sie es wissen: Wie reagieren Männer auf ihre Artgenossen? Dabei ist sie weder transsexuell noch Transvestitin, die sich in den falschen Körper eingesperrt fühlt, wie es etwa der Film "Boys don`t cry" mit Hilary Swank 1999 vorführte.

Generalstabsmäßig bereitet sie sich auf ihre Expedition vor. Sie absolviert ein Stimmtraining, bringt ihre Muskeln durch Eiweißgetränke und Fitnessgetränke auf Vordermann, die Brüste schnürt sie mit einem zu kleinen Sport-BH weg, legt einen künstlichen Penis an, klebt sich Bartstoppeln ins Gesicht, trägt eine kantige Brille, Bürstenhaarschnitt und die auf jede Situation abgestimmte männliche Garderobe.

Ein Jahr lang lebt sie als Mann und sucht exemplarische Milieus in verschiedenen Gegenden der USA auf. Sie tritt einem Bowling-Club bei, recherchiert in Striptease-Lokalen, einem Kloster, einer Männerselbsterfahrungsgruppe, lernt Frauen über Internetforen und beim Speed-Dating kennen und übt eine Weile den Job eines Versicherungsverkäufers aus. Am Ende ist sie buchstäblich mit den Nerven fertig und froh, den Mann wieder los zu sein.

Dazwischen liegt die Erkenntnis, dass männliches Verhalten fundamental anderen Gesetzen folgt als das der Frauen. Was höchst banal klingt, weil es nur bestätigt, was jeder zu wissen glaubt, wird im Laufe der Feldstudie durch immer wieder aufschlussreiche Erfahrungen konterkariert. So setzen schon die neuen Kumpels im Kegelclub die Vorurteile der 35-jährigen Intellektuellen außer Kraft. Obwohl sie/er der schlechteste Bowler weit und breit ist, nimmt man ihn als Artgenossen unter die Fittiche, der schwächste wird mitgezogen, als "hinge das Überleben des Stammes davon ab".

Diese Art Freundlichkeit war ihm/ihr selten unter gegeneinander konkurrierenden Frauen begegnet. Gleichwohl, auch dies eine grundlegende Einsicht, gehe diese Art Kameradschaft selten tiefer. Engere Beziehungen gebe es kaum. Dabei fällt ihr auf, wie wenig veraltet das Bild vom emotional unterentwickelten Mann ist. Denn jedes Mal, wenn sie sich in einer Gruppe am Ende als Frau "outet", zeigen ihre Versuchspersonen anders als zuvor Gefühle.

Männer, so ihr Resümee, befänden sich in einer Zwickmühle zwischen der Beschützerrolle einerseits und der des hingebungsvollen Partners andererseits. Daran hätten auch die Frauen mit ihren übertriebenen Erwartungen Schuld. Denn nicht sie allein seien im Laufe des Lebens enttäuscht worden. "Männer gehen durch dieselben Täler."

Das ist das eigentlich Überraschende an Norah Vincents Buch: Sie geht mit ihren Geschlechtgenossinnen hart ins Gericht. Herausgekommen ist dabei, was ja zu befürchten stand, alles andere als eine feministische Kampfschrift. Bei aller durchaus harschen Kritik führt sie niemanden vor. Sie deckt keine Machenschaften auf, wie man es von Undercover-Agenten vom Schlage Günter Wallraff gewohnt ist. Auch wenn manche ihrer Schlussfolgerungen etwas klischiert sind, die von der ausschließlich hoheitsvollen Rolle etwa, die Frauen im Balzspiel einnehmen, so eröffnet Norah Vincent doch einen ungewöhnlichen Zugang in eine dem weiblichen Blick ganz und gar fremde Domäne.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Norah Vincent, Enthüllungen. Mein Jahr als Mann.
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt. Droemer Verlag, 384 Seiten. 19,90 Euro