Eine Ermutigung zur Freiheit

Von Andreas Baum · 22.04.2013
Glaube und Moral sind nach Meinung von Margot Käßmann heute ein Kontrastprogramm zur Leistungsgesellschaft. In ihrem neuen Buch erinnert sie an die Freiheit jedes einzelnen, nicht ständig wetteifern zu müssen und Moden, Medien und der Arbeitswelt hinterherzuhasten.
Weltverbesserer sind nicht zu beneiden: Sie verzichten auf Karriere, auf Annehmlichkeiten und Konsum, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, erreichen das in der Regel aber nicht. Am Ende ihres Lebens ist die Welt so schlecht wie am Anfang. Sie haben sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Und fühlen sich chronisch missverstanden.

Warum also sollten wir also unsere Komfort-Zone verlassen und die Welt verbessern, anstatt nur an das eigene Wohl zu denken? Das ist die eigentliche Frage, die Margot Käßmann mit ihrem Buch beantworten will, obwohl sie als ehemalige Bischöfin weiß, dass da jede Menge Widersprüche lauern.

Die zweitbeste aller möglichen Welten
Denn vom theologischen Standpunkt aus leben wir nur in der zweitbesten aller möglichen Welten. Das muss so sein: Die beste war das Paradies, und aus dem ist der Mensch vertrieben worden, unser jetziges Habitat muss man sich als eine Art Strafplanet vorstellen, nicht perfekt, und das mit Absicht. So steht es in der Bibel.

Auch unter Atheisten und Agnostikern wächst die Zahl derer, die erkennen, dass - nach einer Reihe von Versuchen - das Weltverbessern eine recht aussichtlose Sache ist. Margot Käßmann plädiert daher schon im Untertitel ihres Buches dafür. Doch, wir können, sagt sie, jedenfalls ein bisschen:

"Wir werden diese Welt nicht zum Paradies machen können. Das ist auch eine absolute Selbstüberschätzung. Das können wir auch durch noch so viel Weltverbessern nicht erreichen. Das ist eher ein Realismus, dass es immer so sein wird, dass es Verführbarkeit gibt, das wissen wir schon seit Adam und Eva. Dass es Gewalt gibt, wissen wir schon seit Kain und Abel. Die biblischen Geschichten sind da ja sehr realistisch, was die Menschen betrifft. Aber sich trotzdem nicht entmutigen zu lassen, und mit Gottvertrauen in die Welt zu gehen, das ist für mich wichtig."

Weltverbesserer müssen Kritik von allen Seiten aushalten. Besonders scharf wird seit einigen Jahren aus den Reihen der konservativen Publizistik geschossen, auch, aber nicht nur auf Margot Käßmann.

Ein guter Mensch zu sein, also ein "Gutmensch" gilt insbesondere Journalisten von FAZ und Springer als hoch verdächtig, und in ihrem Kreuzzug gegen die Politische Korrektheit wird auch gelegentlich mal auf das "Gute an sich" eingeschlagen; darauf weist Margot Käßmann hin, etwa wenn in der Tageszeitung "Die Welt" anonyme Babyklappen pauschal als illegal abgetan werden, und der Bundesregierung vorgeworfen wird, sie sei "vor dem gutmenschlichen Moralismus der Klappenlobbyisten eingeknickt".

Die Welt ist reformierbar
Margot Käßmann hält dagegen: Erstens haben die Babyklappen, unzählige Leben, aber auch Familien gerettet. Und zweitens ist diese Einrichtung, die es in Kirchen seit dem Mittelalter gibt, das beste Beispiel dafür, wie man die Welt ein kleines Stückchen besser machen kann, Schritt für Schritt.

Ihr Buch ist auch ein Plädoyer gegen eine Diskussionskultur, in der der Mensch, der das Weltverbessern nur versucht, abgewertet wird, als eitel und selbstgefällig dasteht - als "Gutmensch" eben.

"Ich finde, es macht so zynisch. Weil: Was ist denn die Alternative? Nichtstun? Und da möchte ich eher ermutigen, sagen: Vielleicht kannst du nicht alles tun, und gleich die ganze Welt retten. Aber etwas kannst du tun."

Die Welt ist kein gerechter Ort, aber sie ist quasi reformierbar. Margot Käßmann dekliniert diese These wacker an den altbekannten Themen durch. Pflegenotstand, Sterbehilfe, Abtreibung, Rüstungsexporte, gesundes Essen, Altersarmut, Familien mit kleinen Kindern.

Dass die erwähnten Gutmenschenkritiker sich von diesem Buch einmal mehr provoziert fühlen werden, ist jetzt schon klar. Provoziert auch von der Forderung, dass Glaube und Moral heute als Kontrastprogramm zur Leistungsgesellschaft daherkommen sollte, mit der Botschaft: Der Einzelne ist freier als er denkt – und muss nicht alles erfüllen, was Moden, Medien und die Arbeitswelt von ihm verlangt.

"Diese Ermutigung zur Freiheit ist mir wichtig, weil ich den Eindruck habe, Menschen stehen so sehr unter Zwängen, und viele befinden sich in einer derartigen Dauererschöpfungsschleife, dass die Frage ist: Können wir das nicht unterbrechen und überlegen: Wie will ich leben? Und dann auch das ändern, was zu ändern ist."

Die Antwort auf die Frage also, was es dem Weltverbesserer bringt, sich überhaupt anzustrengen, anstatt sich zurückzulehnen und mit den anderen Defätisten über politische Korrektheit zu maulen, ist so knapp wie klar: Am Ende des Lebens, sagt Margot Käßmann, wird Bilanz gezogen.

"Da geht’s mir so, da möchte ich schon, dass ich zurückblicken kann und sage: ich hab getan, was ich konnte, um die Welt meinen Kindern und Enkeln so zu hinterlassen, dass es eine lebbare Welt ist. Ich glaube einfach, es macht glücklicher."

Margot Käßmann: "Mehr als Ja und Amen. Doch, wir können die Welt verändern"
Adeo, Asslar 2013, 272 Seiten, 17,99 Euro