Eine Erinnerung an die Selbstsuche

Von Stefan Keim · 07.06.2012
Für die Ruhrfestspiele Recklinghausen hat der Regisseur Frank Abt das Jugendwerk von Max Frisch "Antwort aus der Stille" in Kooperation mit dem Deutschen Theater in Berlin auf die Bühne gebracht. Ein Stück über das Zweifeln am Sinn des Lebens - über die Frage, was das Leben sinnvoll macht.
Max Frisch hat dieses Buch gehasst. In seine gesammelten Werke hat er die Erzählung "Antwort aus der Stille" nicht aufgenommen. Er hielt sie für einen "Schmarrn". Vor drei Jahren ist sie dennoch neu erschienen. Das Deutsche Theater Berlin hat nun eine Bühnenfassung in Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen herausgebracht. Regisseur Frank Abt wollte nach dem Rohen, Unfertigen im Frühwerk des großen Schriftstellers suchen.

Tat oder tot - vor dieser Alternative sieht sich der nicht mehr ganz so jugendliche Held. Balz Leuthold - kein Witz, so heißt er - will den fiktiven Nordgrat erklimmen und in der Konfrontation mit dem Berg den Sinn des Lebens finden. Dahinter steckt die Mitte der dreißiger Jahre noch unbezwungene Eiger Nordwand, deren Besteigung durch die Nationalsozialisten zum Mythos aufgeblasen wurde. Es steckt viel Zeitkolorit in diesem Text. Frank Abt hat diese Geschichte nun mit drei alten Schauspielern inszeniert.

Der Abend beginnt wie eine auswendig gelernte Lesung und bleibt auch so. Szenische Aktionen gibt es kaum, meist sprechen die Darsteller Frischs Text direkt ins Publikum. Durch die Besetzung mit einem Seniorenensemble gewinnen die manchmal Kitsch und Pathos streifenden Sätze Doppelbödigkeit und Distanz.

Es ist eine Erinnerung an die Selbstsuche von einst, die Überprüfung eigener Lebensentwürfe in der Rückschau. Nach dem epischen Beginn gleiten die Schauspieler immer mehr in die drei Rollen des Buches, neben Balz Leuthold sind das zwei Frauen, seine gefühlsflaue Verlobte, die erst kurz vor dem Ende auftritt. Und Irene, mit der er heftig flirtet und von einer Flucht in ein freies, paradiesisches Leben weit weg von allen bürgerlichen Zwängen träumt. Die Grundidee des Regisseurs Frank Abt ist vielversprechend, allerdings bekommt die Aufführung keine Dringlichkeit.

Das liegt zum einen an Frischs Text, der nur dem männlichen Helden eine tiefere Charakterisierung gönnt. Markward Müller-Elmau wechselt zwischen Augenblicken feiner Ironie und wilder Verzweiflung, wenn ihn die Angst packt, sein Leben im Mittelmaß zu vertändeln. Dass Irene zu einer faszinierenden Figur wird, liegt an der unvergleichlichen Ausstrahlung von Katharina Matz. Wenn sie die Bühne betritt, geht gleich ein Ruck durch die Aufführung, sie hat jugendlichen Schwung, Charme, übermütiges Blitzen in den Augen, eine ungebrochene Lebensgier. Gabriele Heinz hat es schwerer, weil ihre Rolle lange die der Erzählerin und sonst undefiniert bleibt.

Es wäre interessant, mehr von der persönlichen Auseinandersetzung der Schauspieler mit diesem Text zu erfahren. Doch Frank Abt sucht nicht die Brüche und Konflikte, er begnügt sich mit einer braven Nacherzählung des nicht besonders aufregenden Buches. Dazu kommt das überflüssigste Bühnenbild der Saison. Anne Ehrlich hat zwei Hausfassaden auf Rollen entworfen, die zu Beginn mit der Rückseite zum Publikum stehen. Die Schauspieler drehen sie manchmal, schaffen mal einen engeren, mal einen breiteren Durchgang, doch das alles ergibt überhaupt keinen Sinn, bleibt Alibi, damit überhaupt mal irgendwas passiert.

In den Dialogszenen wischen Katharina Matz und Markward Müller-Elmau funkelt es plötzlich. Da spürt man, wie viel Ungesagtes mitschwingt zwischen diesen Schauspielern, die sich so lange kennen. Das sind die einzigen Höhepunkte. Zur Botschaft des Buches, die "Antwort aus der Stille", entwickelt Frank Abt keine Haltung. Er lässt einfach weiter Text aufsagen. Am Ende hat Leuthold den Nordgrat bezwungen, schleppt sich halb vereist zurück in die Berghütte und hat den Wert des normalen, bürgerlichen Lebens schätzen gelernt. Er flieht nicht mehr vor der Leere und wird Lehrer. Ja, und? Nichts weiter. Der Letzte klappt das Buch zu.
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