Eine Entdeckung

Von Sigrid Brinkmann · 18.03.2010
Asaf Schurr gehört zu den Entdeckungen der jungen israelischen Literatur. Im Heiligen Land hat er für zwei seiner Romane bedeutende Preise erhalten. Nun ist er zu Gast auf der Leipziger Buchmesse, wo er seinen gerade ins Deutsche übersetzten Roman "Motti" vorstellt.
Treffpunkt ist die Hafetz Hayim Straße Nummer vier – am Ende einer Reihe von geduckten Häusern im Schatten der gläsernen Azrieli-Türme, die zu den neuen Erkennungszeichen von Tel Aviv gehören. In der Nummer vier finden obdachlose Hunde und Katzen ein Zuhause. Asaf Schurr und seine Frau Moran versorgen die Tiere gemeinsam mit freiwilligen Helfern.

Da steht er: lange Haare, randlose Brille, alte Cordjacke und ausgebeulte Hose, gerade angekommen aus Esch Ta'ol, einer ländlichen Siedlung auf halber Strecke zwischen Jerusalem und Tel Aviv.

"Es ist bequem, dort zu leben. Unsere Eltern und Geschwister wohnen in Jerusalem. Meine Autowerkstatt befindet sich dort, und ihr Besitzer ist mein Kung-Fu-Partner. Den kann ich doch nicht hängen lassen. Meine Frau arbeitet in Tel Aviv. Ich fahre hin und her. Die besten Ideen kommen mir sowieso beim Fahren."

Die Hunde bellen laut, als sie Asaf sehen. Wir beschließen, ins nächst gelegene Café zu gehen.

"Ich habe immer mit Hunden gelebt. Man lernt von ihnen eine besondere Art der Liebe und außerdem mag ich es, Beziehungen zu haben, die nicht nur von der Sprache leben. Man kann so etwas auch mit Menschen teilen, aber Hunde geben einem da schon eine gute Lektion."

Asaf Schurr hat in Jerusalem Philosophie und Theaterwissenschaft studiert und dann, zusammen mit seiner Frau, Kurse in Verhaltenstherapie für Hunde belegt. Sie leitet inzwischen ein Tierheim. Er ist 33 Jahre alt und steckt mitten in einer mehrjährigen Ausbildung zum Hundetrainer. Drei- bis viermal in der Woche muss er auf den Übungsplatz. Zuhause hat er sechs Hunde zu versorgen. Bleibt da noch Platz für eine eigene Familie?

"Nein, das haben wir nicht vor. Hunde haben ein paar Beine mehr als Kinder, das ist ein klarer Vorteil."

Und manchmal haben Hunde auch eine Mission zu erfüllen – so wie Laika, das erste Lebewesen, das 1957 mit Sputnik 2 in den Weltraum geschossen und, wie Asaf Schurr mitleidvoll bemerkt, "in ihrer eigenen Haut gebacken wurde". Schurrs Romanfigur Motti hat seinen Hund nach der russischen "Heldin des Alls" benannt.

Motti ist Lehrer und verliebt in ein minderjähriges Nachbarmädchen. Er ist ein Fantast, der in Bildern schwelgt und die Wirklichkeit fürchtet. Um sicher vor Versuchungen zu sein, übernimmt er sogar die Verantwortung für einen tödlichen Autounfall, den sein einziger Freund verursacht hat. Motti muss fünf Jahre im Gefängnis einsitzen.

"Motti sieht sich selbst nicht als Opfer. Er bricht erst zusammen, als er erfährt, dass sein Hund in der Zwischenzeit weggelaufen ist. Diesen Verlust spürt er am ganzen Leib. Aber schon bald fängt Motti wieder an, das Leben in lauter Möglichkeiten zu denken.

Ich kenne diese Neigung von mir selbst. Einmal bin ich nichts, und dann wieder kann ich alles sein. Das hat etwas Verantwortungsloses, genauso wie das Schreiben eines Buches."

Ohne Musik, sagt Asaf Schurr, könne er nicht schreiben. Die amerikanische Band "Whisper in the noise" verstärkte bei der Arbeit an "Motti" die Grundstimmung.

"Es muss doch einen Grund dafür geben, dass so viele Schriftsteller Alkoholiker waren und Drogen nahmen. Du musst dich selbst vergessen und den inneren Zensor zur Seite schieben, sonst bringt man doch kein einziges Wort heraus. Die Lautstärke hochfahren, die Türen schließen, dem Rhythmus folgen, all das."

Viele junge israelische Autoren versuchen, als Stipendiaten eine Weile im Ausland zu leben, fern der deprimierenden Mauern und Zäune, die das Land teilen und den Zustand der Besatzung zementieren. Hat er jemals daran gedacht, außerhalb Israels zu leben?

"Ich bin kein Nabokov. Außerdem fühle ich mich wirklich an das Land gebunden, an den Boden. Das ist so ein zionistisches Ding. Noch hat mich ja keiner umgebracht, ich bleib' also hier, schließe die Fenster und schau mal, was so kommt."