Eine echte Pandemie

14.01.2010
Quer durch alle Kontinente veranschaulicht das Sachbuch die drei Wellen der "Spanischen Grippe". 17 Millionen Menschen fielen ihr weltweit zum Opfer. Überall traf die tödliche Lungenentzündung die arme Bevölkerung am härtesten.
Müttern versiegte die Milch, Kinder fielen während des Schulunterrichtes aus Schwäche in Ohnmacht, Erwachsenen schlotterte die Kleidung am Leib und das Vieh in den Ställen schrie vor Hunger. Im ersten Kapitel seines neuen Buches "Die Spanische Grippe - Die Seuche und der Erste Weltkrieg", erschienen im Primus Verlag, zeichnet Manfred Vasold in wenigen, eindrucksvollen Strichen das ganze Elend des Ersten Weltkriegs nach. Vier Jahre lang tobte das erste industriell vorangetriebene Schlachten in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Ostasien; am Ende waren 17 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Das eine Grauen von Menschen verursacht, das andere von einem Virus, das bekanntlich keine Moral kennt: Im Mittleren Westen der USA brach 1918 eine Grippewelle aus und raffte in wenigen Monaten weltweit an die 30 Millionen Menschen dahin. Als der spanische König erkrankte, erhielt das Massensterben seinen Namen: "Spanische Grippe".

Eindrücklich schildert Manfred Vasold, mit welch verzweifelten Maßnahmen Länder und Gemeinden versuchten, der Plage Herr zu werden: In Philadelphia wurde das Spucken unter Strafe gestellt und Täter umgehend inhaftiert. In spanischen Seehäfen mussten kranke Ankömmlinge in Quarantäne, eine effektive Schutzmaßnahme. Doch in religiöser Verblendung öffneten die Kirchen Tag und Nacht, damit Anti-Grippe-Gebete zum Himmel geschickt werden konnten. Ärzte und Pflegepersonal arbeiteten weltweit bis zur Erschöpfung, auch wenn ihnen oft nicht mehr einfiel, als den Kranken Bettruhe, Senfwickel oder Abführmittel zu verschreiben. Einmal quer durch alle Kontinente reist das Buch den drei Grippewellen hinterher; überall trafen die tödlichen Lungenentzündungen arme und vor allem indigene Bevölkerungsschichten am härtesten.

Krieg und Seuche spielten einander in die Hände, erklärt Manfred Vasold: Viele Ärzte dienten im Krieg und fehlten der grippekranken Zivilbevölkerung. Schulen und Kindergärten schlossen, aber in den kriegswichtigen Industrieunternehmen steckten die Arbeiter einander an. Offen gibt der Autor zu, dass sein Themengebiet von Historikern relativ stiefmütterlich behandelt wurde und er deshalb nur auf lückenhaftes Forschungsmaterial zurückgreifen kann. So geraten einige seiner Analysen banal: Dass eine kriegsbedingt frierende und hungernde Zivilbevölkerung das perfekte Angriffsziel für einen marodierenden Virus darstellte, verwundert wenig. Und dass die Mittelmächte sich ergaben, weil die Grippe sie überproportional schwächte, ist - so gibt er zu - reine (und man darf hinzufügen: ziemlich abenteuerliche) Spekulation.

Manfred Vasold hat umfangreichere medizinhistorische Bücher verfasst. Hier rast er in Siebenmeilenstiefeln durch die Geschichte, rafft zusammen und gibt sich Mutmaßungen hin. Am Ende sind wir nicht unbedingt schlauer, was die exakten Wechselwirkungen angeht zwischen Erstem Weltkrieg und einer der schlimmsten Seuchen, die die Menschheit je heimgesucht haben. Dennoch ist Manfred Vasold gelungen, was er bieten möchte: eine temporeiche und höchst anschauliche Lektüre.


Über den Autor:
Dr. Manfred Vasold, geboren 1943 in Nürnberg, arbeitete zunächst als Krankenpfleger - unter anderem in Saudi-Arabien - und studierte dann Geschichte in den USA, Frankreich und Deutschland. Von 1977 bis 1981 arbeitete er in einem Verlag. Vasold hat etliche populärwissenschaftliche Bücher geschrieben, vor allem zum Thema Krankheiten und Seuchen.

Besprochen von Susanne Billig


Manfred Vasold, Die Spanische Grippe - Die Seuche und der Erste Weltkrieg,
Primus Verlag, Gebunden, 144 Seiten, 16,90 Euro