"Eine beachtliche Rede"
Für den Politologen Ulrich von Alemann hat sich Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier bei seiner gestrigen Rede auf dem SPD-Sonderparteitag von einer bislang unbekannten Seite gezeigt. Steinmeier sei es gelungen, in einer "großen Rede" die unterschiedlichen Strömungen in der Partei anzusprechen.
Jörg Degenhardt: Jetzt wird es aber Zeit! In gut 100 Tagen findet die Bundestagswahl statt und die Sozialdemokraten, die sitzen noch immer im Umfragekeller. Gestern hat Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier seine Partei auf eine Aufholjagd eingeschworen. Das Ding ist offen, hat er gesagt, und eine Woche nach dem Debakel bei der Europawahl stellten sich die Genossen auf dem SPD-Wahlparteitag geschlossen hinter ihren Spitzenmann. Aber kommt die Botschaft an, in der gesamten Partei und beim Bürger, und kann die SPD wirklich mit sozialen Versprechungen punkten, nachdem sie doch in der Vergangenheit auch mit Herrn Steinmeier für die Agenda 2010 und Hartz IV stand? – Darüber will ich reden mit Professor Ulrich von Alemann, Politologe an der Universität Düsseldorf. Guten Morgen, Herr von Alemann!
Ulrich von Alemann: Guten Morgen, Herr Degenhardt.
Degenhardt: Hat die SPD mit dem gestrigen Parteitag gewissermaßen das Ruder herumgerissen und liegt jetzt wieder auf Kurs Richtung Bundestagswahlsieg?
von Alemann: Ob sie es wirklich rumgerissen hat, weiß ich nicht, aber sie hat sich wenigstens zusammengerissen und hat versucht, ein klares, relativ übersichtliches Programm zu verabschieden, einstimmig sogar, und dies mit einer großen Rede. Für Steinmeier war das wirklich eine beachtliche Rede. Von dieser Seite hat man ihn bisher noch gar nicht richtig kennengelernt.
Degenhardt: Das heißt, Sie konnte Steinmeier überzeugen, obwohl er ja - was heißt "obwohl". Teilweise klang er ja für mich so, als würde da Gerhard Schröder sprechen, so von der Tonlage her.
von Alemann: Ja, das ist mir auch aufgefallen. Schröder saß ihm ja auch gegenüber in der ersten Reihe und freute sich darüber. Gerade wenn er laut redete, dann kam sein Ziehvater, der Schröder, schon durch. Aber wenn er sich manchmal etwas von seinem Manuskript löste, kam das ganze etwas lockerer herüber. Aber er hat versucht – das ist auch in einer großen Partei nicht anders möglich -, so eine Balance zwischen den verschiedenen Strömungen, also zwischen dem Thema soziale Gerechtigkeit, das stärker von der Linken angestimmt wird, bis zum Thema am Ende linke Mitte, da hat er das Wort, das schon ein Unwort geworden war, aus der ersten Ära Schröder und Blair, wieder aufgegriffen, was eher in das Zentrum, in die Mitte der Gesellschaft geht, miteinander versucht zu verknüpfen und es bleibt ihm sicherlich auch gar nichts übrig, denn die SPD kann nicht mit einer Strömung alleine einen deutlicheren Stimmengewinn - also gut 30 Prozent plus xy, muss sie ja eigentlich haben, um ernst genommen zu werden als eine Volkspartei – erreichen. Das ist ja bei der anderen Volkspartei ähnlich, bei der Union. Auch sie hat ja versucht, jetzt sehr viel stärker als früher, als noch vor 2005, wo sie stark einseitig auf den marktliberalen Kurs gesetzt hatte, wieder auch die soziale Gerechtigkeit zu thematisieren (siehe Rüttgers, siehe Seehofer), um eben mit einem breiten Angebot breite Wählerschichten anzuziehen. Da ist immer das große Risiko: Wenn man die einen anzieht, dann könnte man die andere Seite wiederum abstoßen. Dass diese Balance gelingt, beide Strömungen oder in Wirklichkeit sind es ja fünf, sechs, sieben Strömungen bei einer großen Partei, die wirklich zusammenzubinden, das ist das große Thema. Das hat er versucht, das hat er angesprochen und in Teilen, auch im öffentlichen Echo, was ich seit gestern gelesen habe, ist ihm das wohl auch gelungen.
Degenhardt: Der Vizekanzler, Herr Steinmeier, verteidigte gestern auch sein Engagement bei Opel und Arcandor, vermied aber im Gegensatz zu früher persönliche Attacken auf Unionspolitiker wie etwa den Wirtschaftsminister. War das Zufall aus Ihrer Sicht, oder spielte da im Hinterkopf der Gedanke eine Rolle, na ja, vielleicht muss ich auch wieder mit denen zusammen regieren?
von Alemann: Das ist für alle Wahlkämpfer eine Gratwanderung, dass sie im Wahlkampf kämpfen müssen und danach wieder kooperieren müssen mit wem dann auch immer in der Regierung. Das ist aber normal, das kennen wir natürlich auch aus vergangenen Wahlkämpfen. Er hat aber gemerkt: Ich glaube, es ist nicht so sehr die Rücksicht auf einen möglichen späteren Koalitionspartner, die ihn da zu mehr Milde veranlasst hat, sondern einfach die Erkenntnis, dass diese harte kämpferische Art nichts gebracht hat gegenüber dem Freiherrn zu Guttenberg. Es hatte sich nicht ausgezahlt, es hat sich gerade bei der Europawahl nicht ausgezahlt, die SPD stagnierte da unten im Anfang-20er-Bereich, das kann sie sich nicht leisten. Aber man muss andererseits sehen: Sie hat ja schon mal so ein fast genauso schlechtes Ergebnis eingefahren bei Europawahlen, nämlich vor fünf Jahren, und hat danach immerhin noch mit Mitte 30 bei den folgenden Bundestagswahlen 2005 abgeschnitten. Da hatte sie allerdings ein gutes Jahr Zeit zwischendurch, und jetzt sind es nur gut drei Monate. Ob ein solcher Aufholvorgang zu schaffen ist, dass sie die 30-Prozent-Hürde wenigstens überschreitet, man wird es sehen. Bei Prognosen wäre ich da selber etwas vorsichtig.
Degenhardt: Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss. Nach elf Jahren an der Regierung wäre es das Beste für die SPD, sie würde sich in der Opposition erneuern. Das hat zwar der CDU-Generalsekretär Herr Pofalla gesagt, aber hat er nicht trotzdem Recht?
von Alemann: Nein, das sehe ich eigentlich nicht so. Das gilt ja genauso für viele andere Parteien, die lange an der Regierung sind, ob das die CDU in Baden-Württemberg ist oder die CSU in Bayern. Dieses Erneuerungsargument gilt nicht. Wenn man nämlich auch mal zurückschaut, wie die SPD sich verhalten hat während der langen Ära Kohl, dann hat sie sich eher stärker unter dem sogenannten Enkel von Willy Brandt zerstritten in dieser Zeit, als etwa wirklich erneuert. Die Parteien tendieren dazu, sich viel mehr zusammenzureißen und zusammenzufinden, wenn sie gemeinsam regieren müssen, als etwa wenn sie in der Opposition sind und frei die verschiedenen Positionen im Parlament – das ist ja doch eh nur Papier, was eine Opposition beschließen kann – artikulieren können. Also die Regeneration in der Opposition, die klappt in der Politik meistens eher nicht.
Degenhardt: Nach dem SPD-Sonderparteitag gestern in Berlin war das der Politologe Professor Ulrich von Alemann. Vielen Dank für das Gespräch.
Ulrich von Alemann: Guten Morgen, Herr Degenhardt.
Degenhardt: Hat die SPD mit dem gestrigen Parteitag gewissermaßen das Ruder herumgerissen und liegt jetzt wieder auf Kurs Richtung Bundestagswahlsieg?
von Alemann: Ob sie es wirklich rumgerissen hat, weiß ich nicht, aber sie hat sich wenigstens zusammengerissen und hat versucht, ein klares, relativ übersichtliches Programm zu verabschieden, einstimmig sogar, und dies mit einer großen Rede. Für Steinmeier war das wirklich eine beachtliche Rede. Von dieser Seite hat man ihn bisher noch gar nicht richtig kennengelernt.
Degenhardt: Das heißt, Sie konnte Steinmeier überzeugen, obwohl er ja - was heißt "obwohl". Teilweise klang er ja für mich so, als würde da Gerhard Schröder sprechen, so von der Tonlage her.
von Alemann: Ja, das ist mir auch aufgefallen. Schröder saß ihm ja auch gegenüber in der ersten Reihe und freute sich darüber. Gerade wenn er laut redete, dann kam sein Ziehvater, der Schröder, schon durch. Aber wenn er sich manchmal etwas von seinem Manuskript löste, kam das ganze etwas lockerer herüber. Aber er hat versucht – das ist auch in einer großen Partei nicht anders möglich -, so eine Balance zwischen den verschiedenen Strömungen, also zwischen dem Thema soziale Gerechtigkeit, das stärker von der Linken angestimmt wird, bis zum Thema am Ende linke Mitte, da hat er das Wort, das schon ein Unwort geworden war, aus der ersten Ära Schröder und Blair, wieder aufgegriffen, was eher in das Zentrum, in die Mitte der Gesellschaft geht, miteinander versucht zu verknüpfen und es bleibt ihm sicherlich auch gar nichts übrig, denn die SPD kann nicht mit einer Strömung alleine einen deutlicheren Stimmengewinn - also gut 30 Prozent plus xy, muss sie ja eigentlich haben, um ernst genommen zu werden als eine Volkspartei – erreichen. Das ist ja bei der anderen Volkspartei ähnlich, bei der Union. Auch sie hat ja versucht, jetzt sehr viel stärker als früher, als noch vor 2005, wo sie stark einseitig auf den marktliberalen Kurs gesetzt hatte, wieder auch die soziale Gerechtigkeit zu thematisieren (siehe Rüttgers, siehe Seehofer), um eben mit einem breiten Angebot breite Wählerschichten anzuziehen. Da ist immer das große Risiko: Wenn man die einen anzieht, dann könnte man die andere Seite wiederum abstoßen. Dass diese Balance gelingt, beide Strömungen oder in Wirklichkeit sind es ja fünf, sechs, sieben Strömungen bei einer großen Partei, die wirklich zusammenzubinden, das ist das große Thema. Das hat er versucht, das hat er angesprochen und in Teilen, auch im öffentlichen Echo, was ich seit gestern gelesen habe, ist ihm das wohl auch gelungen.
Degenhardt: Der Vizekanzler, Herr Steinmeier, verteidigte gestern auch sein Engagement bei Opel und Arcandor, vermied aber im Gegensatz zu früher persönliche Attacken auf Unionspolitiker wie etwa den Wirtschaftsminister. War das Zufall aus Ihrer Sicht, oder spielte da im Hinterkopf der Gedanke eine Rolle, na ja, vielleicht muss ich auch wieder mit denen zusammen regieren?
von Alemann: Das ist für alle Wahlkämpfer eine Gratwanderung, dass sie im Wahlkampf kämpfen müssen und danach wieder kooperieren müssen mit wem dann auch immer in der Regierung. Das ist aber normal, das kennen wir natürlich auch aus vergangenen Wahlkämpfen. Er hat aber gemerkt: Ich glaube, es ist nicht so sehr die Rücksicht auf einen möglichen späteren Koalitionspartner, die ihn da zu mehr Milde veranlasst hat, sondern einfach die Erkenntnis, dass diese harte kämpferische Art nichts gebracht hat gegenüber dem Freiherrn zu Guttenberg. Es hatte sich nicht ausgezahlt, es hat sich gerade bei der Europawahl nicht ausgezahlt, die SPD stagnierte da unten im Anfang-20er-Bereich, das kann sie sich nicht leisten. Aber man muss andererseits sehen: Sie hat ja schon mal so ein fast genauso schlechtes Ergebnis eingefahren bei Europawahlen, nämlich vor fünf Jahren, und hat danach immerhin noch mit Mitte 30 bei den folgenden Bundestagswahlen 2005 abgeschnitten. Da hatte sie allerdings ein gutes Jahr Zeit zwischendurch, und jetzt sind es nur gut drei Monate. Ob ein solcher Aufholvorgang zu schaffen ist, dass sie die 30-Prozent-Hürde wenigstens überschreitet, man wird es sehen. Bei Prognosen wäre ich da selber etwas vorsichtig.
Degenhardt: Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss. Nach elf Jahren an der Regierung wäre es das Beste für die SPD, sie würde sich in der Opposition erneuern. Das hat zwar der CDU-Generalsekretär Herr Pofalla gesagt, aber hat er nicht trotzdem Recht?
von Alemann: Nein, das sehe ich eigentlich nicht so. Das gilt ja genauso für viele andere Parteien, die lange an der Regierung sind, ob das die CDU in Baden-Württemberg ist oder die CSU in Bayern. Dieses Erneuerungsargument gilt nicht. Wenn man nämlich auch mal zurückschaut, wie die SPD sich verhalten hat während der langen Ära Kohl, dann hat sie sich eher stärker unter dem sogenannten Enkel von Willy Brandt zerstritten in dieser Zeit, als etwa wirklich erneuert. Die Parteien tendieren dazu, sich viel mehr zusammenzureißen und zusammenzufinden, wenn sie gemeinsam regieren müssen, als etwa wenn sie in der Opposition sind und frei die verschiedenen Positionen im Parlament – das ist ja doch eh nur Papier, was eine Opposition beschließen kann – artikulieren können. Also die Regeneration in der Opposition, die klappt in der Politik meistens eher nicht.
Degenhardt: Nach dem SPD-Sonderparteitag gestern in Berlin war das der Politologe Professor Ulrich von Alemann. Vielen Dank für das Gespräch.