"Eine Art von Verehrung"

Hans Helmut Prinzler im Gespräch mit Katrin Heise · 10.09.2010
Er erinnert an den berühmten Hollywood-"Walk-of-fame", jetzt wird der "Boulevard der Stars" am Potsdamer Platz in Berlin eingeweiht. Hans Helmut Prinzler hat mitentschieden, welche Schauspieler und Regisseure mit einem Stern geehrt werden.
Katrin Heise: Über 100 Jahre deutsches Kino sollen widergespiegelt werden auf dem Boulevard der Stars, mit auf der Straße eingelassenem Stern, hineingraviert die Namen der Geehrten, angefangen vom Filmpionier Max Skladanowski. Seine bewegten Bilder erstaunten 1895 das Publikum im Varieté Wintergarten. Marlene Dietrich ist vertreten neben Regisseur Rainer Werner Fassbinder und Vico von Bülow, ebenso Entertainerin Helga Hahnemann oder Komponist Klaus Doldinger.

Bei der Eröffnung kann sich Kameramann Michael Ballhaus seine Ehrung schon mal ansehen, ebenso Doris Dörrie oder Armin Müller-Stahl. Viele wollen heute Nachmittag nämlich dabei sein. Eine große Bandbreite, so vielfältig eben wie die deutsche Filmszene ist. Da wird die Auswahl ziemlich schwergefallen sein, nehme ich mal an. Mit entschieden hat Hans Helmut Prinzler, selbst Filmwissenschaftler und Autor, er leitete lange das Filmmuseum Berlin. Schönen guten Tag, Herr Prinzler!

Hans Helmut Prinzler: Guten Tag!

Heise: Welche Kriterien waren denn da entscheidend, einen Stern zu bekommen?

Prinzler: Na ja, es gibt natürlich eine ganz lange Liste von Kandidaten, es waren auch zunächst viele Institutionen angefragt worden, die Vorschläge machen konnten, und wir waren zu fünft in einer Jury, wissend dass ist ja in den nächsten Jahren noch viele weitere Sterne geben wird mit entsprechenden Künstlern, haben wir versucht, dann Schauspielerinnen und Schauspieler einerseits, aber eben auch Regisseure, Kameraleute und andere, die in Film und Fernsehen an herausragender Position tätig sind, mit einem solchen Stern zu ehren.

Heise: An herausragender Stelle, aber eben manchmal nicht ganz so beachtet wie die Schauspieler. War das wirklich auch so ein Grund, auch diese vielleicht oft in Vergessenheit geratene Filmmannschaft mal hervorzuheben?

Prinzler: Genau. Man soll ja nicht vergessen, dass beim Film es nicht nur um die Schauspielerinnen und Schauspieler – das sind die Populärsten – geht, sondern auch um die, die für die Filme Verantwortung tragen, und das sind klar in erster Linie Regisseure, Regisseurinnen, aber eben auch Autoren, Kameraleute. Das wollten wir ein bisschen in den Mittelpunkt stellen.

Heise: Sie haben auch die Filmmusik zum Beispiel nicht vergessen. Herrschte eigentlich Einigkeit, oder fehlt Ihnen jemand bei den ersten 40?

Prinzler: Nein, mir fehlt … natürlich persönlich fehlt mir der eine oder andere – als Filmhistoriker muss man ein bisschen schlucken, wenn Ernst Lubitsch oder Friedrich Wilhelm Murnau nicht dabei sind. Aber das Ganze ist ja auf eine längere Strecke angelegt, und es ist ja keine Reihenfolge oder Rangfolge jetzt, dass man sagt, die ersten 40 sind die wichtigsten, sondern das ist erst mal in einer bestimmten Breite, und das wird in den nächsten Jahren dann ergänzt mit ganz wichtigen Namen, und da wird die Jury auch eine gute Arbeit leisten.

Heise: Ihre Favoriten haben Sie ja eben schon genannt. In der Jury ist ja geballte Kompetenz vertreten, Filmleute urteilen über Filmleute. Warum keine Laien? Wäre es dann zu breit geworden?

Prinzler: Na ja, eine solche Jury sollte schon sozusagen aus nur Wenigen bestehen, sonst diskutiert man sich irgendwie durch die Tage. Und dadurch dass verschiedene Institutionen Vorschläge gemacht haben, war schon ein breites Spektrum erst mal vorhanden. Und dann muss man ganz pragmatisch eben auch sagen: Die ersten 40 sind dann da, und in den nächsten Jahren kommen weitere hinzu.

Heise: Die Einflussnahme der Politik auf Künstler – man denke an die nationalsozialistische Zeit oder an die DDR auch –, die ist ja irgendwie typisch, diese Einflussnahme für die Geschichte des deutschen Films. Gibt es eigentlich auch Filmschaffende vielleicht Ihnen auch gerade als Historiker aufgrund ihres Könnens einfallen würden für den Boulevard der Stars, aber aufgrund ihrer Nähe zur Politik dann doch nicht vertretbar wären?

Prinzler: Ja, wir sind zunächst mal auch etwas zurückhaltend gewesen mit den Regisseuren und Autoren des Nazifilms, also Leni Riefenstahl beispielsweise oder Veit Harlan, das geht eigentlich nicht. Bei Schauspielerinnen und Schauspielern aus jener Zeit ist das vielleicht noch ein bisschen anders, also ich denke schon, dass irgendwann auch einmal (…) oder Heinrich George ihren Stern bekommen. Beim DDR-Film wiederum sind wir da eher offen, weil die Vergleichbarkeit zwischen Nationalsozialismus und DDR hat es für mich nicht gegeben, und jemand wie Konrad Wolf beispielsweise gehört für mich schon unbedingt auch dorthin, oder natürlich auch von den Schauspielern, Angelica Domröse oder Armin Müller-Stahl.

Heise: Kann man dann ja vielleicht auch eine Diskussion drüber anregen aufgrund dieses Boulevards.

Prinzler: Das ist eigentlich auch ein Punkt, der uns wichtig war, dass man anhand dieser Namen oder mit diesen Namen eben auch Wege öffnet und Gedanken und Erinnerungen und Diskussionen auch öffnet über deutsche Filmgeschichte. Die Gegenwart ist durchaus vertreten, aber es geht ja auch bei diesem Boulevard sozusagen um einen Blick zurück, und die deutsche Filmgeschichte ist eben – vielleicht ein bisschen anders als die amerikanische – doch von Politik und von Zeitgeschichte sehr beeinflusst gewesen. Und das muss man in Erinnerung rufen, und damit muss man umgehen.

Heise: Anlässlich der Eröffnung des Boulevards der Stars spreche ich mit Jurymitglied Hans Helmut Prinzler. Herr Prinzler, gerade haben wir uns ja über politische Einflussnahme unterhalten. Jetzt, 20 Jahre nach der deutschen Einheit – wie sehen Sie das, wie steht es mit der politischen Einflussnahme aufs Filmgeschäft?

Prinzler: Die ist sehr gering, also man muss einfach sagen, dass die Politik einen bestimmten Rahmen schafft, gerade im Filmbereich durch Filmförderung, aber die Einflussnahme unmittelbar auf den Film ist eigentlich nicht gegeben, weil Entscheidungen eher im ökonomischen Bereich fallen und auf der anderen Seite natürlich auch im künstlerischen. Es gibt Jurys, die über bestimmte Dinge entscheiden. Beim Deutschen Filmpreis ist es ein bisschen anders geworden, da entscheiden die Mitglieder der Deutschen Filmakademie. Aber das sind für mich keine politischen Entscheidungen, sondern da ist eine größere Breite der Abstimmung mit verbunden, und das hat dem Deutschen Filmpreis ja auch gutgetan.

Heise: Was würden Sie sagen, wie steht es ums Selbstbewusstsein der deutschen Filmschaffenden?

Prinzler: Ich glaube, dass das in den letzten zehn Jahren durchaus gestiegen ist, weil auch deutlich geworden ist durch internationale Erfolge, auch durch dieses Gewinnen von Oscars beispielsweise, dass der deutsche Film nicht in einer Nische existiert, sondern innerhalb des europäischen Films doch in einer sehr guten Position ist, auch im eigenen Land stark geschätzt wird. Also die Marktanteile deutscher Filme sind ja in den letzten Jahren eher gestiegen. Also insofern kann die Branche durchaus selbstbewusst sein.

Heise: Selbstbewusstsein zeigt sie vielleicht auch eben durch die Einrichtung eines solchen Boulevards, oder?

Prinzler: Ja, vielleicht. Man soll das nicht überschätzen, aber vielleicht ist das doch dann eben ein Stück Straße, auf dem sich etwas widerspiegelt von der Bedeutung des deutschen Films und auch des Fernsehens, das haben wir nicht ausgelassen, und insofern hoffen wir, wenn dann die Touristen und auch die Einheimischen zum Boulevard kommen, dass sie den deutschen Film auch durch ihre Anwesenheit, durch ihr, ja, durch eine, vielleicht sozusagen eine Art von Verehrung würdigen.

Heise: Denn dieses Stück Straße, wie Sie es nennen, war ja auch nicht ganz billig, 1,64 Millionen Euro hat allein das ja doch immer klamme Land Berlin dafür bezahlt. Stellt sich also schon ein bisschen die Frage nach dem Sinn. Sie haben die Touristen erwähnt, die da hin pilgern würden oder werden wahrscheinlich, auch die Einheimischen sicherlich. Fördert das also weiter den Ruf Berlins als Filmstadt oder geht es darüber hinaus?

Prinzler: Ich denke schon, dass es darüber hinausgeht, und der Ort, wo das jetzt stattfindet, gibt ja auch einen Sinn. Auf der einen Seite ist das Filmhaus mit dem Filmmuseum, dem Arsenalkino, der Deutschen Film- und Fernsehakademie, auf der anderen Seite ist die Berlinale – diese Straßenmitte in den letzten gut zehn Jahren war ja eher etwas stiefmütterlich behandelt, und insofern glaube ich, dass diese Investition auch einen Sinn macht.

Heise: Vielen Dank, Hans Helmut Prinzler, Jurymitglied beim Boulevard der Stars in Berlin. Heute wird der Boulevard mit den ersten 40 Sternen eröffnet. Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei, Herr Prinzler!
Prinzler: Vielen Dank!