Eindringliche Zeugnisse der Geschichte Koreas

Rezensiert von Maike Albath · 15.12.2005
Mit Büchern wie "Die Geschichte des Herrn Han" oder "Der ferne Garten" gilt Hwang Sok-yong derzeit als bekanntester Autor Südkoreas. In den 90er Jahren wurde er wegen einer Reise nach Nordkorea zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch seine Figuren sind meist Opfer von Unterdrückung, Verfolgung und Gewalt.
Hwang Sok-yong ist eine politische Leitfigur Koreas. Seine Rolle entspricht derjenigen, die Heinrich Böll oder Günter Grass für Deutschland einnehmen. 1943 in der Mandschurei geboren und in Seoul aufgewachsen, gewann Hwang schon im Gymnasium den ersten Literaturpreis, aber eine bürgerliche Karriere als Schriftsteller war für ihn unter der Militärdiktatur undenkbar.

Er schlug sich als Tagelöhner durch, schloss sich einer Gruppe von Arbeitern an und kam wegen der Teilnahme an Demonstrationen 1963 zum ersten Mal ins Gefängnis - der Auftakt für eine ganze Serie von Verhaftungen, die bald zum Bestandteil seines Alltags wurden. Schreiben und politische Arbeit waren von nun an ein und dasselbe.

1966 wurde Hwang Sok-yong zum Militärdienst eingezogen und musste auf Seiten der Amerikaner in Vietnam kämpfen. Der brutal niedergeschlagene Aufstand von Gwangju 1980, mehrere Jahre Exil wegen eines unerlaubten Besuchs in Nordkorea 1989, der ihm nach seiner Rückkehr in seine Heimat eine bis 1998 währende fünfjährige politische Haft einbrachte, sind weitere Eckpunkte seiner Biographie.

Hwangs Erzählungen und Romane speisen sich aus diesen Erfahrungen: mit schockierender Offenheit vermittelt er seinem Publikum das, was die koreanische Wirklichkeit ausmacht. Als Die Geschichte des Herrn Han 1970 als Fortsetzungsroman im Feuilleton einer Tageszeitung erschien, lag der Koreakrieg 17 Jahre zurück. An die Aufarbeitung der emotionalen Wunden hatte sich noch kaum jemand gewagt.

Trotz strenger Eingriffe der Zensur traf Hwang Sok-yong mit seinem schmalen Roman ins Schmerzzentrum der Gesellschaft. Die Geschichte des Herrn Han trägt den Charakter einer Chronik: In einer schmucklosen, kargen Sprache wird das Schicksal eines nordkoreanischen Arztes dargelegt, der in den siebziger Jahren ein armseliges Dasein als Leichenwäscher in einem südkoreanischen Provinzstädtchen fristet und schließlich einsam stirbt.

Erst nach seinem Tod tritt das Ausmaß der tragischen Verwicklungen zu Tage. Einst geschätzter Gynäkologieprofessor am Krankenhaus von Pjöngjang, verweigert Han während des Krieges den Eintritt in die Partei und unterläuft die Anordnungen der Militärs. Statt sich auf die Behandlung von Kaderangehörigen zu beschränken, führt er heimlich Notoperationen an Zivilpersonen durch und wird verhaftet.

Nachdem er der Hinrichtung knapp entkommt, macht er sich mit seiner Familie gen Süden auf, aber nur Han setzt schließlich die Flucht fort, bis ihn südkoreanische Soldaten festnehmen. Seine Frau und seine Kinder sollte er nie mehr wieder sehen.

Nach mühseligen Jahren in Seoul baut er sich eine bescheidene Existenz auf, wird wegen seiner unbestechlichen Haltung von eifersüchtigen Kollegen der Spionage für Nordkorea bezichtigt und kommt erneut ins Gefängnis. Seelisch und körperlich zerrüttet, geht er an den Folgen der Teilung zugrunde.

Die gesellschaftliche Bedeutung der Geschichte des Herrn Han ist kaum zu überschätzen: Hwang Sok-yong spürt der verdrängten Vergangenheit nach und beschreibt das von Misstrauen und Bespitzelung vergiftete Klima. Mit dokumentarischer Genauigkeit schildert eine gleichmütige Erzählerstimme Hans Werdegang: Sein unbeugsamer Charakter tritt durch die emotionslose Darstellung umso deutlicher hervor.

Als Vertreter der "Generation Hangul", benannt nach der koreanischen Sprache, die unter der japanischen Besatzung verboten war und erst nach 1945 wieder zu einer Literatursprache wurde, prägt Hwang Sok-yong mit seinem Roman einen einfachen Realismus, der stilbildend wirkte.

Auch in einem 2003 auf Koreanisch erschienenen Roman, der komplexer gearbeitet ist, tritt uns der Schriftsteller als Aufklärer und Mahner entgegen. Hintergrund von Der ferne Garten ist der Aufstand von Gwanju, bei dem die Militärs ein Massaker anrichteten und anschließend eine hysterische Hexenjagd auf Beteiligte und Sympathisanten inszenierten.

Wieder tastet Hwang nach den blinden Flecken der jüngeren koreanischen Geschichte und verarbeitet zugleich autobiographische Erlebnisse, denn im Mittelpunkt steht ein Mann, der nach 17-jähriger Haft 1999 aus dem Gefängnis entlassen wird und sich in einer völlig veränderten Wirklichkeit zurecht finden muss.

Eingebettet in die Rahmenhandlung, die die ersten Schritte in der boomenden Wirtschaftsmetropole Seoul, eine Reise in ein kleines Dorf namens Galmö und die Rückkehr nach Seoul zum Gegenstand hat, ist eine Rückschau auf Hyunuhs Jugend.

Die Zeit um 1980 wird uns aus einer doppelten Perspektive dargeboten. Denn in Galmö, wo sich der überzeugte Sozialist Hyunuh ein paar Monate lang versteckt hielt, stößt er jetzt auf die Tagebücher und Briefe seiner verstorbenen Freundin Yunhi. Die Malerin und Lehrerin hatte ihn damals in den "fernen Garten" nach Galmö gebracht und gemeinsam mit ihm ein idyllisches Leben geführt, das ihr wie eine gelungene Utopie fernab der Zwänge erschien. Das politische Pflichtgefühl ihres Geliebten, der dann eines Tages verschwand und seinen Jägern in die Falle ging, hatte sie ausgeblendet.

Ein Mosaik aus Passagen ihrer Aufzeichnungen und den Erinnerungen des Protagonisten vergegenwärtigt uns die Atmosphäre jener Zeit. Bewegend ist der Versuch der nachgeholten Liebe. Dass die verlorene Freundin an Krebs starb und ihm eine Tochter hinterließ, erfährt Hyunuh erst durch die Lektüre der hinterlassenen Schriften.

Hwangs Bücher bestechen vor allem durch den Reichtum an gelebtem Leben: Das Ungeheuerliche, was seinen Helden wiederfährt, die Tragik der Verhältnisse und die Fähigkeit, tiefes Leid auszuhalten, sind durchaus fesselnd.

In dem fünfhundertseitigen Fernen Garten finden sich viele einprägsame Szenen: Hyunuhs Überlebensstrategien im Gefängnis, wie er das Todesurteil zweier Mitgefangener erlebt, seine Hungerstreiks und die ersten Kontakte mit seiner Tochter, die nichts ahnt von den Wechselfällen im Leben ihres Vaters.

In seiner Lauterkeit ist der Roman sehr anrührend, aber was die sprachliche Gestaltung und den Aufbau betrifft, beschleicht einen das Gefühl einer gewissen Monotonie und Einfältigkeit. In beiden Büchern fallen ungelenke Übergänge, Redundanzen und formelhafte Dialoge ins Auge.

Vielleicht verliert die koreanische Bildlichkeit durch den Transfer ins Deutsche an Prägnanz, aber für Satzfolgen wie "Dennoch kamen wir nur im Schritttempo voran. Erst als wir die Oberstraße passiert hatten, kamen zumindest die entgegengesetzt zum Berufsverkehr fahrenden Autos wieder im normalen Tempo voran" oder "So wie Du und ich haben Marie und Stephan zusammengelebt, ohne rechtmäßig verheiratet zu sein. Sie lebten in Kreuzberg, wo jetzt überwiegend Türken leben" hätte man sich eine geschmeidigere Übertragung gewünscht.

Dass Übersetzungen aus dem asiatischen Kulturraum große Schwierigkeiten bergen, steht außer Frage - eine facettenreiche Beherrschung der Zielsprache sollte man als Leser dennoch erwarten dürfen. Hwang Sok-yongs Bücher sind keine literarischen Erweckungserlebnisse. Aber sie sind eindringliche Zeugnisse der Geschichte seines Landes.

Hwang Sok-yong: Die Geschichte des Herrn Han
Aus dem Koreanischen von Oh Dong-sik, Kang Seung-hee und Torsten Zaiak.
dtv premium. München 2005.
134 Seiten, 14,- €

Hwang Sok-yong: Der ferne Garten
Aus dem Koreanischen von Kang Seung-hee, Oh Dong-Sik und Torsten Zaiak.
dtv premium. München 2005.
519 Seiten, 15,- €