Einblick ins Geheimarchiv des Papstes

Michael Matheus im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 01.03.2012
In Rom werden erstmals jahrhundertealte Dokumente aus dem päpstlichen Privatarchiv gezeigt. Es seien "aus den 85 Regelkilometern 100 Spitzenstücke ausgewählt worden", sagt der Historiker Michael Matheus. Ein solches Ereignis sei in der Geschichte des Vatikans einmalig.
Matthias Hanselmann: Es ist ein Ort, der wie kaum ein anderer Stoff liefert für Legenden und Mythen, für dunkle Gerüchte und Verschwörungstheorien - unvorstellbar Grauenvolles und unsagbar Geheimes soll die Kirche hier verstecken, in einem Tunnel im Innersten des Vatikans. Es geht um das Geheimarchiv des Papstes, das jetzt in Teilen für jedermann zu besichtigen ist bei der Ausstellung "Lux in Arcana". (…) Einer der Stammgäste des Archivs ist also Professor Michael Matheus, der Direktor des Deutschen Historischen Institutes in Rom. Mit ihm bin ich jetzt verbunden - guten Tag nach Rom!

Michael Matheus: Ja, guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Erst einmal: Wie geheim ist denn dieses Geheimarchiv des Papstes?

Matheus: Nun, seit der Eröffnung im Jahre 1888 ist eigentlich mit Blick auf die Wissenschaft dieses Archiv kein Geheimnis mehr, denn das war diese damals mutige Entscheidung Papst Leos XIII., dieses der Wissenschaft zugänglich zu machen. Er ist von Herrn Hergenröther, einem Deutschen, damals beraten und unterstützt worden. Und diese geheimnisvollen Bilder, die Dan Brown in seinen "Illuminati" schafft, aber die ja auch viele andere immer wieder neu kreieren, die entsprechen eigentlich gar nicht dem, was die Realität in diesem Archiv ausmacht. Das Archiv ist für alle Wissenschaftler mit qualifiziertem Abschluss jenseits von konfessionellen oder nationalen Zugehörigkeiten zugänglich, und wir sind froh, dass das Deutsche Historische Institut, dessen Mitglieder die Möglichkeit haben, da seit nun fast 125 Jahren diese reichen Bestände zu erforschen.

Hanselmann: Sie waren bei der Eröffnung der Ausstellung "Lux in Arcana" auf dem Kapitolshügel dabei, was hat Sie denn besonders beeindruckt?

Matheus: Ja, zunächst einmal sind es natürlich die Exponate, aber es ist jenseits der einzelnen prachtvollen Stücke - und zum Teil sensationelle Stücke, die man da bestaunen kann - das Ereignis an sich. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Archivio Segreto Vaticano öffnet in dieser Weise für eine Ausstellung das Archiv seine Bestände - es sind aus den 85 Regelkilometern 100 Spitzenstücke ausgewählt worden. Und das Zweite, was ich sehr bemerkenswert finde: Die Ausstellung findet nicht im Vatikan statt, sondern auf dem Kapitol in den Musei Capitolini, und das ist natürlich auch ein gewisser symbolischer Akt. Denn die Spannungen zwischen Kapitol auf der einen Seite, dort, wo die Stadtkommune ihren Sitz hat, und dem Vatikan auf der anderen Tiberseite, die waren über Jahrhunderte lang ja durchaus häufig auch gespannt und von Spannungen geprägt, und insofern ist das, glaube ich, auch von beiden Seiten ein bewusster sehr prominenter Ort.

Hanselmann: Sie haben eben von sensationellen Stücken gesprochen, welche sind das?

Matheus: Ja, einige wurden eben schon genannt. Ich würde noch nennen wollen das Wormser Konkordat beispielsweise von 1122, dann kleinere Stücke, die aber gleichzeitig Schlaglichter auch auf kulturgeschichtliche wichtige Kapitel der Geschichte des Papsttums werfen, wie den Brief von Lucrezia Borgia an ihren Vater, Papst Alexander VI. oder die Verleihung eines päpstlichen Ordens an Mozart, die Abdankungsurkunde der schwedischen Königin Christina von Schweden. Aber auch aus dem Bereich der Zeitgeschichte, also aus jenen Beständen, die der Öffentlichkeit im Moment noch gar nicht zugänglich sind, finden sich ganz bemerkenswerte Stücke, übrigens auch mit Blick auf die deutsche Geschichte, beispielsweise Berichte über das Massaker in den Fosse Ardeatine aus dem Jahre 1944. Damals sind 335 Antifaschisten, Partisanen und Juden von den Deutschen umgebracht worden.

Hanselmann: Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihren ersten Besuch im vatikanischen - sagen Sie mal, darf man überhaupt nach Geheimarchiv sagen, oder ist das ...

Matheus: Ja, das mit dem Geheimen ist halt so was. Viele vergessen ja, dass es Geheimarchive auch sonst gibt, wie das preußische Geheime Staatsarchiv. Geheim meint in diesem Kontext eigentlich "secreto", also privat. In der deutschen Übersetzung wird dann häufig geheim daraus, mit all den Konnotationen, die mit diesem Begriff gebunden sind. Das meint eigentlich das Privatarchiv des Papstes, nichts anderes.

Hanselmann: Gut, also noch mal die Frage: Erinnern Sie sich an Ihren ersten Besuch im vatikanischen Privatarchiv?

Matheus: Das können Sie mir gerne glauben, das war 1974. Ich war damals junger Student, zum ersten Mal auf einer wissenschaftlichen Exkursion in Rom. Wir hatten damals das Glück, mit dieser kleinen Gruppe ins Archiv hineinzukommen, und einige der Stücke, die jetzt ausgestellt werden, die durfte ich damals schon sehen - wie das Wormser Konkordat oder wie den Brief der Lucrezia Borgia -, aber das war eben einer solchen kleinen Gruppe damals vorbehalten. Ich war damals tief beeindruckt. Wir bieten als DHI auch jedes Jahr einen sogenannten Rom-Kurs für deutsche Studierende der verschiedensten Universitäten an, und die allerdings haben dann jedes Jahr das Vergnügen, auch in die geheimnisvollen Hallen dort zu kommen und immer mal wieder tolle Einzelstücke in Augenschein zu nehmen.

Hanselmann: Mit welchem Gefühl wandert man dort umher - auch mit Ehrfurcht vor der Geschichte?

Matheus: Ja, ich denke schon, denn es ist ja doch eins der bedeutendsten Archive der Welt. Es spiegelt ja nicht nur die Geschichte des Papsttums, der Kurie wider, sondern in vielen Teilen eben die Geschichte Europas. Und seitdem dann die Mission eben weltweit Platz gegriffen hat, ist es ein Archiv, was die Weltgeschichte insgesamt schon ganz wesentlich mit dokumentiert. Und insofern hat sich auch bei mir nach all diesen vielen Jahren das Gefühl doch bewahrt, hier in ganz besonderen Räumlichkeiten arbeiten zu dürfen.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Michael Matheus - er ist Direktor des Deutschen Historischen Institutes in Rom -, für uns in Rom am Telefon über die Ausstellung "Lux in Arcana", was auf Deutsch heißt: "Licht in die Geheimnisse". Herr Matheus, was war das spektakulärste Schriftstück oder Stück, das Sie selbst entdeckt haben?

Matheus: Nun, das ist etwas bescheidener. Wir erschließen unter anderem die gigantischen Massen der kurialen Registerserien bis zur Zeit der Reformation. Da geht es nicht immer um die spektakulären Einzelstücke, sondern einfach um den Versuch, diese in Europa einzigartige Überlieferung systematisch zu erschließen. Wir liefern damit Material für eine Fülle von zentralen europäischen Themen. Das fängt natürlich bei der Geschichte des Papsttums an, geht aber bis hin zu Themen der Bildungs- und Universitätsgeschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Musikgeschichte, der Kunstgeschichte - also faszinierende Gesamtbilder, die sich auf der Basis dieser Quellen erstellen lassen.

Wir haben in den letzten Jahren begonnen, auch elektronische historische Datenbanken zu entwickeln, um den Nutzern unserer Homepage eben die Möglichkeit zu eröffnen, auf wichtige Quellengruppen des vatikanischen Geheimarchivs zuzugreifen. Das ist zum Beispiel ein großes Projekt mit der Universität Münster zusammen, betrifft den Nuntius Pacelli, den späteren Papst Pius XII. Das betrifft Berichte, die zwischen 1933 und '39 aus Berlin geschrieben worden sind an die Kurie, also Schriftstücke, die auch für die Zeit des Nationalsozialismus von Bedeutung sind. Wer sich auf die Seite des DHI einklickt, der kann dort das, was in diesen Bereichen schon erschlossen ist, auch selbst von seinem Computer aus zu Hause studieren.

Hanselmann: Ein Punkt, Herr Matheus, ist mir noch wichtig, mit der Bitte um kurze Antwort: Papst Benedikt hat gerade angekündigt, demnächst die Akten aus dem Zweiten Weltkrieg für die Forscher freigeben zu wollen. Es wollen ja seit Langem Wissenschaftler genauer wissen, was hat der damalige Papst Pius XII. gegen den Massenmord an den Juden unternommen. Sind da sagen wir sensationelle Erkenntnisse zu erwarten?

Matheus: Also ich wäre da eher skeptisch, denn wir wissen natürlich durch die Gegenüberlieferung schon eine ganze Menge. Nichtsdestotrotz werden abgesicherte wissenschaftliche Urteile in der Tat erst dann möglich sein, wenn diese wichtigen Bestände zugänglich sind. Der Vatikan, das Archivio Segreto, ein wirklich exzellent geführtes Archiv, ist seit Jahren dabei, diese Bestände zu erschließen. Ich gehe davon aus, dass spätestens 2015 dieses dann zugänglich sein wird, und das wird natürlich der historischen Forschung einen enormen Schub bereiten.

Hanselmann: Einblicke in das Privatarchiv des Papstes bietet die Ausstellung "Lux in Arcana", und darüber habe ich gesprochen mit Professor Michael Matheus, Direktor des Deutschen Historischen Institutes in Rom. Danke schön und tschüss nach Rom!

Matheus: Tschüss nach Berlin!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.