Ein Weltentdeckungsbuch

21.05.2009
Ob im Bordell in Vietnam, beim Schneider in Bangkok oder zu allerlei Selbstversuchen in japanischen Tempeln - der Publizist Andreas Altmann war fast schon überall auf dieser Welt. In dem ihm eigenen schroff-zärtlichen Sound lässt er die Leser in seinen Reise-Geschichten "Sucht nach Leben" an seinen Entdeckungen teilhaben.
Nichts enervierender als jene "Ich bin all hier"-Traveller, die mit dem Igel aus dem Grimmschen Märchen zumindest eines gemeinsam haben: Ihre vorwitzige Hartleibigkeit. Unbeeindruckt von der möglichen Müdigkeit ihres Gegenübers werden da Städte und Kontinente rapportiert, geht die Rede von unglaublichen Begegnungen zwischen Kalkutta und Kampala, Timbuktu und Tallin. Doch was für eine Rede zumeist – ist sie doch der eigentliche Grund des Unbehagens. Sprachliche Stereotype, Klischees (inklusive der zutiefst klischeehaften Anmaßung, man selbst falle auf sie niemals herein), hausbackene Sinnsprüche und ein Reisekatalog-Stil á la "'Ja, unsere Sonnenuntergänge sind vom Feinsten', lachte Pedro der Fischer."

Nichts von alldem dagegen in vorliegendem Buch, einer mit "Sucht nach Leben" betitelten Sammlung von 60 Geschichten aus der Feder des Reiseschriftstellers Andreas Altmann. Weshalb dann jedoch diese Vorrede? Weil der inzwischen ziemlich gesichtsfaltig gewordene Blondschopf erstens gern darauf hinweist, was er in seinem Leben bereits alles getan und gemacht hat (Dressman und Anlageberater gewesen, den Kisch- und Seume-Preis gewonnen, für alle namhaften deutschsprachigen Zeitschriften und Magazine geschrieben), vor allem aber, wo er schon auf Reisen gewesen: Überall nämlich auf dieser Welt. Auf Zugfahrt in Indien, in einem Krankenhaus in Bangladesh, im Bordell in Vietnam, beim Schneider in Bangkok, zu allerlei Selbstversuchen in japanischen Tempeln oder unter amerikanischen Tele-Evangelisten… Um es beinahe biblisch zu sagen: Was aber, wenn ihr reistet und hättet die Sprache nicht?

Andreas Altmann jedoch, wiewohl keineswegs ein auch gedanklich becircender Reise-Intellektueller wie Cees Nooteboom oder Bruce Chatwin, hat diese unverwechselbare Sprache – seinen ganz eigenen, erdigen, schroff-zärtlichen, zupackenden und dem gelegentlichen Wortspiel nicht abgeneigten Sound. Denn ob nun im weiten Asien oder vor der eigenen Haustür: Ein Wunder ist nur dann ein Wunder, wenn es sich einfangen oder zumindest ahnen lässt im Wort.

"Die Sprache als Mittler, als Verbündeter zwischen allen, die hungern und dürsten", heißt es deshalb bereits im Vorwort zu jenen "wunderbar wunderlichen Versuchungen", an denen Altmann uns Leser teilhaben lässt – voll sympathischer Neugier auf sich und die Welt. "Gerettet, denn mit ihm ist göttliches Staunen", schrieb einst Czeslaw Milosz in einem berührenden Altersgedicht. Ähnliches ließe sich sagen von diesem Weltentdeckungsbuch.

Besprochen von Marko Martin

Andreas Altmann: Sucht nach Leben. Reise-Geschichten.
Dumont Verlag, Köln 2009, 208 S., geb., 16, 95 Euro