Ein Wechselbad der Gefühle

01.05.2011
Eduard Tubin, Edward Elgar und Carl Nielsen – drei Namen, die jeweils für die Sinfonik ihres Heimatlandes stehen: Tubin für Estland, Elgar für England, Nielsen für Dänemark. Paavo Järvi führt sie in einem spannenden Programm des hr-Sinfonieorchesters zusammen. Als Solist für Elgars berühmtes Cellokonzert konnte der Norweger Truls Mørk gewonnen werden, der nach fünfjähriger Pause wieder in der Alten Oper zu Gast ist.
Das Cellokonzert von 1919 ist Elgars letztes, wirklich bedeutsames Werk. Es ist die musikalische Äußerung eines höchst melancholischen Mannes, der nach zwanzig sehr produktiven Jahren allmählich einer quälenden Altersdepression entgegengeht. Hier ist nichts mehr zu spüren vom übersprühenden Hochgefühl der "Pomp and Circumstance"- Märsche, deren erster vor allem durch die Proms zur inoffiziellen Nationalhymne avancierte.

Eingerahmt wird das Konzert des Briten von zwei nordischen Komponisten. Zur Eröffnung stellt der aus Estland stammende Paavo Järvi ein Werk seines 1905 geborenen Landsmanns Eduard Tubin vor. Er komponierte bis zu seinem Tode 1982 zehn Sinfonien, eine 11. blieb mit nur einem Satz unvollendet. Und auch hier fehlte die Instrumentation der letzten Takte. Neeme Järvi, der Vater von Paavo, beauftragte Kalja Raid mit dieser Aufgabe, so dass der 1. Satz dieser Sinfonie 1988 uraufgeführt werden konnte.

Und im Kontrast zu Elgars hoch emotionalem Werk folgt als Abschluss eine Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, der es verstand, jede Art von Gefühlsduselei zu vermeiden. Auch nur Ansätze impressionistischer Klangteppiche sucht man in seiner Musik vergebens. Zum Teil wird der gesamte Orchesterapparat perkussiv eingesetzt. Besonders die 5. Sinfonie nimmt harmonisch keine Rücksicht auf Publikumserwartungen, was bei der Uraufführung 1922 zum Skandal führte.

Der Chefdirigent des Frankfurter Orchesters Paavo Järvi stammt aus Estland. Und aus einer sehr berühmten Dirigentenfamilie – Vater Neeme Järvi gehört zur Weltspitze der Orchesterleiter. Und auch seine beiden Söhne Paavo und Kristjan sind sehr aktiv und erfolgreich, nicht zuletzt in Deutschland. Und da kann es schon mal passieren, dass Vater und Sohn am selben Abend in Deutschland einen Konzertabend dirigieren und dabei auch einer auffällig ähnlichen Dramaturgie folgen. Das war auch so am 15. April 2011. Während Sohn Paavo in Frankfurt am Main neben dem Konzert von Elgar eine Sinfonie des Dänen Carl Nielsen und eine des estnischen Komponisten Eduard Tubin angesetzt hatte, dirigierte Vater Neeme Järvi in der Philharmonie in Berlin beim Deutschen Symphonie-Orchester ebenfalls eine Nielsen-Sinfonie und eine weitere von Eduard Tubin. Vater Neeme Järvi und sein Freund und Mitstreiter, der Pianist Ardo Rumessen, werden einiges über Eduard Tubin erzählen. Volker Michael hat sich vor zwei Wochen in Berlin mit den beiden Tubin-Spezialisten unterhalten. Am Anfang ging es darum, wie die beiden Künstler Eduard Tubin in Estland kennen gelernt haben, das der Komponist nach seiner Emigration 1944 erstmals 1961 wieder besuchte. Aber auch ihre enge persönliche Verbindung zu den Sinfonien des estnischen Meisters schildern die beiden Musiker in diesem Gespräch.



Alte Oper Frankfurt am Main
Aufzeichnung vom 15.4.11


Edward Elgar
Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85

ca. 20:35 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
"Sein Problem war, kein Russe zu sein..." -
Neeme Järvi und Ardo Rumessen über die Musik des estnischen Sinfonikers Eduard Tubin im Gespräch mit Volker Michael

Eduard Tubin
Sinfonie Nr. 11

Carl Nielsen
Sinfonie Nr. 5 op. 50


Truls Mørk, Violoncello
hr-Sinfonieorchester
Leitung: Paavo Järvi