Ein vielseitiger Komponist

Von Susanne Mack · 07.02.2009
"Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts", schreibt Robert Schumann über Felix Mendelssohn Bartholdy. Am 3. Februar war der 200. Geburtstag des Komponisten. Der Leipziger Johannes Popp, Theologe und Musiker, hat über ihn ein Buch geschrieben.
Popp: "Ich war 1991 selbst in Schottland, kurz nach dem Fall der Mauer, und konnte es kaum fassen zu sehen: die Wolken, die Lichtstrahlen, die alten Burgen und Schlösser."

Johannes Popp. Musiker und Theologe.

Popp: "Ich sah’ das und dachte: "Ja. Das klingt wie in der "Schottischen Symphonie! " Oder umgekehrt - die Schottische Symphonie muss einfach so klingen,"

"Ihr Lieben!
In der tiefen Dämmerung gingen wir heut’ nach dem Palaste, wo Königin Maria gelebt und geliebt hat. Der Kapelle daneben fehlt nun das Dach, Gras und Efeu wachsen viel darin, und am zerbrochenen Altar wurde Maria zur Königin von Schottland gekrönt. Es ist alles zerbrochen, morsch, und der heitere Himmel scheint hinein."

Ein Brief aus Edinburgh. Felix Mendelssohn-Bartholdy hat ihn verfasst. Im Juli 1829. - Johannes Popp ist auf Mendelssohns Spuren unterwegs gewesen.

Popp: "Noch faszinierender war dann ein Besuch in der Fingal’s Höhle. - Die Fingal’s Höhle hat Felix Mendelsohn-Bartholdy im Alter von zwanzig Jahren, als er eben selbst in Schottland war mit einem Freund, inspiriert zu seiner Hebriden-Ouvertüre,"

Popp: "man geht auf mächtigen Basaltpfeilern in diese Meereshöhle hinein und sieht ein Naturphänomen, das genauso aussieht, genauso wirkt, wie man es dann in der Hebriden-Ouvertüre hört, das ist ganz und gar faszinierend."

Johannes Popp nimmt seinen Leser mit auf neun Reisen zu Mendelssohn. Die erste führt ins anhaltinischen Dessau, dort wurde Felix’ Großvater Moses geboren. Moses Mendelssohn, ein Freund von Lessing, das Vorbild für dessen "Nathan". Moses war als 14-Jähriger auf einem Ochsenkarren nach Berlin gekommen, bettelarm und kaum der deutschen Sprache mächtig, zu Hause wurde nur jiddisch gesprochen.

Am Ende seines Lebens ist Moses Mendelssohn Geschäftsführer einer Seidenmanufaktur, dazu ein angesehener Schriftsteller der Aufklärung.

Moses’ Söhne - Joseph und Abraham - gründen das Bankhaus "J. & A. Mendelssohn". Es gelingt ihnen der Aufstieg in die bürgerliche Oberschicht Berlins, Felix’ Vater Abraham wird in den Stadtrat gewählt. Im März 1816 empfangen seine Kinder Felix und Fanny die christliche Taufe.

Popp: "Er wollte seine Kinder ablösen von dieser jüdischen Herkunft. Er sah eben die Taufe, ähnlich wie Heine, als Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft an, das war für ihn ganz klar der Grund, seine Kinder taufen zu lassen und später auch sich selbst und seine Frau. Aber das war für ihn kein Bekenntnis zum Christentum."

Sondern hatte pragmatische Gründe. Genau wie den zusätzlichen Namen "Bartholdy" anzunehmen, auch er sollte die jüdische Herkunft herunterspielen - Als Felix ein Konzert in London unter dem Namen "Mendelssohn" statt "Mendelssohn-Bartholdy" dirigiert, schickt Vater Abraham ihm einen bösen Brief:

"Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn heißen! Heißt Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude, und das taugt Dir nichts, schon weil es nicht wahr ist!"
Popp: "Und dieser Mensch Mendelssohn wurde dann ein gläubiger Protestant. Für ihn war die Taufe also nicht nur ein "entre billet zur europäischen Kultur", wie Heine das mal genannt hat, sondern dann, als er erwachsen war, ein echtes Bekenntnis, und auch dieser Lebensweg fasziniert mich ungemein.

Mendelsohn ist für mich eine ideale Symbiose aus Aufklärung, also, da kommt wieder der Großvater zum Durchscheinen, der Moses Mendelssohn, und dieser pietistischen Herzensfrömmigkeit. Und ich finde immer, wenn beides zusammenkommt: die Klugheit, das Intellektuelle, aber auch die Frömmigkeit und die Demut, dann gewinnt Religiosität an Tiefe."

Johannes Popp. Felix Mendelsohn-Bartholdy war ein Christ protestantischer Konfession, das Luthertum lag ihm wirklich am Herzen.

Popp: "Ich glaube, es gibt einen ganz wesentlichen Grund dafür, und dieser Grund ist Johann Sebastian Bach. Die Musik Bachs, die für Mendelssohn ein spirituelles Element ist und aus der er auch eine ganz starke persönliche Kraft schöpft."

Popp: "Es gab schon in der Familie Mendelssohn selber eine große Bach-Verehrung. Es ist überliefert, dass seine Schwester Fanny bereits im Alter von 13 Jahre 24 Präludien aus dem "wohltemperierten Klavier" auswendig vortrug, und die Musik Bachs war durchaus bekannt und präsent in der Familie. Er ist dann aber ganz Maßgeblich durch Zelter zu Bach gekommen, der die Musik Bachs sehr gepflegt hat, und sicherlich wäre die Wiederaufführung der Matthäus-Passion ohne Zelter so nicht möglich gewesen."

Im März 1829 dirigiert der zwanzigjährige Felix Mendelssohn-Bartholdy Bachs Matthäus-Passion in Berlin, rund einhundert Jahre nach ihrer Erstaufführung in der Leipziger Thomaskirche.

Würden wir Bach heute überhaupt kennen ohne Mendelssohn?

Johannes Popp: "Ja, wir würden ihn kennen - aber anders. Es ist nicht so, dass Bach generell vergessen war, aber er galt zu Beginn des 19. Jahrhunderts als altmodisch, als angestaubt, auch seine Söhne, die Bach-Söhne, etliche waren ja auch wieder Komponisten, waren viel moderner, Beethoven, Mozart, Carl Maria von Weber, die waren viel mehr al la mode, und Bach hatte das Image des Aus-der-Mode-Gekommenen, aber er war nicht vergessen. Aber dass wir Bach heute wieder als einen Leitstern der europäischen Musikkultur überhaupt anerkennen, das ist zweifelsohne das Verdienst von Felix Mendelssohn-Bartholdy gewesen."

Johannes Popp geht chronologisch vor. Seine "Reisen zu Mendelssohn" führen uns zunächst nach Hamburg, da ist Felix geboren, dann nach Berlin, wo er aufwächst und seine ersten Erfolge als Musiker feiert. Der Autor nimmt uns mit auf Mendelssohns Bildungsreisen nach London, Paris, Rom und Florenz. Und natürlich nach Leipzig - "Auf der Höhe des Erfolgs" heißt eines der letzten Kapitel in diesem Buch. Es handelt von Mendelssohns Wirken als Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters.

Der Komponist war auch ein gefragter Gast auf Musikfesten in ganz Europa. Im Sommer 1837 schreibt er aus Birmingham an seine Familie:

"Es wird eine wahre Hetze auf dem Musikfest werden! Vier Tage dauert es, und bis jetzt habe ich nicht weniger zutun als den ersten Tag Orgel zu spielen, den zweiten "Paulus" zu dirigieren, den dritten Klavier zu spielen und den vierten wieder Orgel. Es dauert bis zum 22. September, den 30. soll ich in Leipzig Probe haben, und den 10. Oktober das erste Abonnementskonzert. Gottschock! Das ist kein Spaß."

Popp: "Mendelssohn zeigt frühzeitig schon, schon mit Ende Zwanzig Jahren liest man das, gewisse Erschöpfungserscheinungen. Also, er war ein unglaublich tätiger und produktiver Mensch, er reist viel herum, war aber oft auch erledigt von dem Pensum, was er zu absolvieren hatte und sehnte sich nach Ruhe."

Vergangen ist der lichte Tag, von ferne kommt der Glocken Schlag; so reist die Zeit die ganze Nacht, nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.

Eichendorffs "Nachtlied". Eine der letzten Kompositionen des Felix-Mendelssohn-Bartholdy. Aufgeführt im Leipziger Gewandhaus am 11. November 1847 aus traurigem Anlass: einer Gedächtnisfeier für den Kapellmeister. Der 38 jährige Mendelssohn war eine Woche zuvor an den Folgen eines Hirnschlags verstorben.

Johannes Popp hat die Wege eines Komponistenlebens nachgezeichnet - Mit feinem Gespür für den Stil und den Geist der Zeit. Ein handliches Buch, bebildert, mit praktischen Tipps bis hin zu den Öffnungszeiten der Mendelssohn-Gedenkstätten. Und eine verlockende Einladung, auf Mendelssohns Spuren zu reisen.


Johannes Popp: Reisen zu Felix Mendelssohn Bartholdy Stationen seines Lebens und Wirkens.
Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn 2008
172 Seiten. 16,80 Euro