Ein verhängnisvoller Sommer

Am Strand sind Anna und Francesca die Königinnen.
Am Strand sind Anna und Francesca die Königinnen. © Jan-Martin Altgeld
24.06.2011
Im heruntergekommenen Piombino wirken Anna und Francesca, beide 14, wie Schmetterlinge im Unrat. Aber nach dem Sommer bekommt ihre Freundschaft Risse. Silvia Allone verkaufte auf Anhieb 300.000 Exemplare ihres Debütromans.
Es ist Sommer, es ist heiß, und sie sind atemberaubend jung. Anna und Francesca befehlen wie Königinnen über den schäbigen Strand der Via Stalingrado in Piombino, gleich beim großen Stahlwerk, und mit ihren 14 Jahren versetzen sie Heerscharen von Männern in Aufregung. Die italienische Schriftstellerin Siliva Avallone, 1984 in Biella geboren, beschwört in ihrem Debütroman "Der Sommer aus Stahl" das Jahr 2000 herauf, als die Schwerindustrie der Halbinsel von großen Umwälzungen erfasst wurde. Für ihre beiden Heldinnen ist das aber höchstens ein Gewittergrollen im Hintergrund.

Lustvoll inszenieren die Mädchen ihre gerade entdeckte Weiblichkeit, stürzen sich mit knappen Bikinis ins Wasser, tanzen ihren Verehrern auf der Nase herum. Aber Francesca hat einen gewalttätigen Vater, der sie eifersüchtig mit dem Fernrohr überwacht und abends häufig verdrischt. Die Mutter Rosa, eine verschüchterte Süditalienerin, lässt es geschehen. Ganz anders Sandra, Annas Mutter, ein politisch bewusste Frau, die bei der Gewerkschaft arbeitet und ihre Tochter zur Unabhängigkeit erzieht. Mit ihrem neapolitanischen Ehemann ist sie allerdings genauso geschlagen wie Rosa: Der charmante Hallodri verspielt alles Geld, lässt sich bald auf schmutzige Geschäfte ein und stattet seiner Familie höchstens Stippvisiten ab. Den roten Faden der Geschichte bildet die Freundschaft von Anna und Francesca, die nach dem grandiosen Sommer Risse bekommt.

Silvia Avallone glückt Einiges. Am besten ist die junge Autorin, die auf Anhieb 300.000 Exemplare ihres Romans verkaufte, wenn sie die archaische Kraft der Schwerindustrie schildert, die schweren Gerätschaften und den ohrenbetäubenden Lärm. Die Körper der Männer werden Teil dieser Maschinerie, die sich in jedem Moment gegen sie wenden kann. Dass sie bei der Arbeit Hardrock hören und sich vor der Schicht ein paar Linien Koks reinziehen, scheint nur folgerichtig.

Ähnlich eindringlich sind Avallones Beschreibungen der Via Stalingrado, deren heruntergekommenen Mietskasernen die Unmenschlichkeit des Stahlwerkes fortsetzen. Wie ein Pilz verbreiten sich rohe Umgangsformen - den einzigen Lichtblick bilden die beiden Mädchen, die wie Schmetterlinge inmitten von Unrat wirken. Obwohl die Handlung mit ersten Liebschaften, Entzweiung, dramatischen Unfällen und finaler Versöhnung einen gewissen Sog entwickelt, ist die Anordnung der Figuren allzu symmetrisch.

Bei ihrem Personal verfällt Avallone mitunter in klischeeartige Überzeichnungen, und sprachlich ist "Ein Sommer aus Stahl" eher schlicht. Ähnlich wie in Paolo Giordanos Erfolgsroman "Die Einsamkeit der Primzahlen" (2009) fühlt man sich streckenweise an ein Jugendbuch erinnert. Lesenswert ist Avallones Debüt dennoch. Sie vermittelt einen Wirklichkeitsausschnitt, der sonst selten Gegenstand der neueren italienischen Literatur ist. Außerdem gibt sie denjenigen eine Stimme, deren Lage von großen Teilen der Gesellschaft missachtet wird: der Jugend.

Besprochen von Maike Albath

Silvia Avallone: Ein Sommer aus Stahl
Aus dem Italienischen von Michael Killisch-Horn
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
415 Seiten, 19,95 Euro