Ein Teenager auf Tätersuche

12.02.2007
Das Werk von Peter Abrahams ist mehr als eine spannende Kriminalgeschichte mit einer hellwachen Teenagerin als clevere Heldin: Dem Autor gelingt es, die aufregende Seelenwelt einer 13-Jährigen mit den Umständen um einen Mordfall in einer kleinen US-Stadt zu verknüpfen. Vermeintlich dumme, ja gefährliche Entscheidungen der sympathischen Hauptfigur entpuppen sich als goldrichtige Tipps zur Aufklärung des Falls.
Ingrid Levin-Hill, 13 Jahre alt, steckt tief in der Pubertät. Ihre viel beschäftigten Eltern haben ihr in Erinnerung an Ingrid Bergman einen Namen gegeben, der ihr nicht gefällt. Und auch sonst mischen sie sich immer nur dann in ihr Leben ein, wenn es ihr gerade nicht passt. Geht es aber darum, von Ihren Eltern pünktlich zum Fußball-Training gefahren zu werden, dann muss Ingrid meistens auf sie warten.

Eines Tages macht sie sich zu Fuß auf den Weg zum Training. Von einem starken Regenfall überrascht, findet sie für ein paar Minuten Unterschlupf bei "Müll-Katie", einer schrulligen Dame schwer zu schätzenden Alters. Am nächsten Tag erfährt Ingrid, dass "Müll-Katie" ermordet worden ist.

Ingrid hat ihre Eltern über den Verlauf des letzten Nachmittags belogen, findet keinen passenden Moment mehr, um die Wahrheit zu erzählen und verstrickt sich, am Mord vollkommen unschuldig, immer weiter in den Fall. Sie bricht nachts in das Haus der Ermordeten ein, um ihre auffälligen Sportschuhe, die sie dort vergessen hatte, zu beseitigen. Eine Entdeckung, die Ingrid während des Einbruchs macht, hält sie erst recht davon ab, irgendjemanden in ihr Geheimnis einzuweihen.

Die für Ingrid einzig verlässlichen "Kameraden" sind der Sohn des Polizisten, Joey, dem sie bald mehr als nur freundschaftliche Gefühle entgegenbringt und Ingrids Hund Nigel, der ihr in der Nacht des Einbruchs nachgelaufen war.

Ingrids Leidenschaft gehört dem Theater und ihre literarische Bewunderung gilt dem Meisterdetektiv Sherlock Holmes, auf dessen Eingebungen sie sich besinnt, um den Fall schließlich auf ihre Weise aufzuklären.

Der Roman ist das erklärte "absolute Lieblingsbuch" von Stephen King, der daran rühmt, dass Peter Abrahams es perfekt verstünde, "den Leser immer einen Schritt voraus zu halten, so dass er die ganze Zeit Angst um Ingrid haben muss."

"Was geschah in Echo Falls" ist aber mehr als eine spannende Kriminalgeschichte mit einer hellwachen Teenagerin als clevere Heldin. Dem Autor gelingt es, die aufregende Seelenwelt einer 13-Jährigen mit den Umständen um einen Mordfall in einer kleinen US-amerikanischen Stadt zu verknüpfen. Vermeintlich dumme, ja gefährliche Entscheidungen der sympathischen Hauptfigur entpuppen sich als goldrichtige Tipps zur Aufklärung des Mordfalls.

Als Leser bangt man mit der Heldin des Romans, und man lernt: Die Erfahrung eines Erwachsenen, seine Logik, ist beileibe nicht immer hilfreich.

Spätestens seit Harry Potter sind die Grenzen zwischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbuch nicht mehr eindeutig. Peter Abrahams hat "Was geschah in Echo Falls" als Jugendbuch angelegt, aber Stephen King dürfte nicht der einzige Erwachsene sein, der großen Gefallen an dem Roman findet. Es ist die Art, wie Abrahams das Leben einer Jugendlichen schildert.

Der Leser nimmt Teil an den Irrungen der Heranwachsenden, an ihren Befürchtungen und Hoffnungen, aber die Erfahrungen als Erwachsener machen einen der Heldin nicht überlegen. Im Gegenteil: Ist es nicht gerade oft das Festgefügte in den Gedanken, das uns das Eigentliche oft übersehen lassen? Muss man bei der Aufklärung eines Mordfalls nicht unschuldig wie ein Kind an die Sache herangehen, um keine Vorverurteilung zuzulassen? Ist eine Jugendliche immer jugendlich im Geist? Sind Erwachsene stets vernünftig, und handeln sie tatsächlich immer wie man es von ihnen erwartet? Welche Rolle spielt die Fähigkeit, Theater zu spielen, anderen etwas vormachen zu können? Ingrid spielt in einer Theaterrolle Alice, die Hauptfigur aus "Alice aus dem Wunderland" und Sinnbild für den spielerischen Umgang mit Logik. Muss man nicht gerade wieder das Staunen erlernen und alles hinterfragen, wenn man ein Verbrechen aufklären will?

Der Ort des Geschehens, Echo Falls, spielt eine große Rolle im Buch. Ingrid kennt sich zunächst kaum in ihrer eigenen Kleinstadt aus, nach und nach aber muss sie ihren Horizont erweitern. Und zwar im wahrsten Sinne. Sie lernt andere Viertel von Echo Falls kennen, und damit auch andere Sichtweisen. Ihre Eltern hingegen haben ihre "Stellung" in der kleinen Stadt gefunden und zeigen sich beinahe unfähig, die Dinge einmal von einer anderen Seite zu sehen. Einzig Grampy, Ingrids Großvater, ist über diese "Erwachsenensicht" schon wieder erhaben und erlaubt sich mit seiner Ablehnung eines guten Angebots für seine Ländereien eine dritte Sichtweise, weit entfernt von Statussymbolen und Konventionen.

Peter Abrahams ist Autor von jetzt siebzehn Romanen, die meisten davon Thriller für Erwachsene. Darunter "End of Story", "Oblivion" und "Lights Out". Er lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Massachusetts, USA. "Was geschah in Echo Falls" ist sein erstes Jugendbuch.

Schon als Kind habe er alles gelesen, was ihm in die Hände kam, Abenteuerromane waren ihm dabei am liebsten, zum Beispiel "Die Schatzinsel". Seinen Romanfiguren versucht er immer, "das gewisse Etwas" zu verleihen, etwa, dass man sich die Stimme oder irgendeine Auffälligkeit besonders gut vor Augen führen kann. Lesen gehört neben dem Schreiben weiterhin zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.


Rezensiert von Roland Krüger


Peter Abrahams: – Was geschah in Echo Falls?
Deutsch von Anne Wilsberg.
Bloomsbury Kinder- und Jugendbücher, Berlin 2007
350 Seiten, 16,90 Euro