Ein Syrien-Rückkehrer und seine Geschichte

Von Bayern in den Dschihad und zurück

Die Angeklagten Ayoub B. (l) und Ebrahim Hadj B. (r) mit von Aktenordnern verdeckten Köpfen im Oberlandesgericht in Celle.
Bilal Fani musste sich wie diese beiden Angeklagten in Celle vor Gericht für seine Taten in Syrien verantworten. Er wurde zu elf Jahren Haft verurteilt. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Joseph Röhmel · 23.03.2018
2013 reist Bilal Fani nach Syrien und schließt sich dem Islamischen Staat an. Wenige Monate später kehrt er desillusioniert nach Deutschland zurück. Er wird verhaftet, verurteilt und tritt nun bei Prozessen gegen Dschihadisten als Zeuge auf.
"Die Einheit war moralisch eigentlich ziemlich schlecht, der Charakter von vielen Menschen war schlecht, wie die sich verhalten haben. Sie haben Tiere gequält. Es war für mich einfach nicht das, was ich erhofft oder erwartet hatte."
Ein junger Mann spricht in einem Gefängnis in Bayern über seine Zeit in Syrien. Er trägt eine lockere schwarze Trainingshose, hat kurze Haare und einen kurzen Bart.
"Das ist alles nur Lug und Trug gewesen in meinen Augen. Man wurde als Kanonenfutter vorgestellt. Und die Prediger und die Amire saßen dann halt irgendwo weit entfernt, wo die Kugeln halt nicht kommen. Und dann hieß es, wenn der tot ist, ist der tot. Da gab es nicht schöne feierliche Beerdigungen für die sogenannten Märtyrer. Die wurden auf LKW massenweise gepackt und dann verscharrt. Das war’s"
Der Deutsche ist Ende 20 - geboren und aufgewachsen in Bayern, familiäre Wurzeln in Zentralasien. Wir nennen ihn Bilal Fani. Mehrere Monate war er in Syrien: zum Kämpfen, bei der Junud al-Sham – einer Al-Kaida nahen tschetschnischen Dschihadistengruppe.
Ihr Anführer ist Abu Walid Shishani, eine mächtige Gestalt mit einem langen roten, dichten Vollbart. Ein Killer und Vorbild für viele junge Männer, die in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen und dann wieder zurückgekehrt sind. Bayern zählt rund 20 Rückkehrer. Dazu gehört Bilal Fani. Er weiß, wie Kämpfer verrohren können. Sind sie eine Gefahr für uns in Deutschland?

Keine Perspektive mehr in Deutschland

"Ich hab' ja auch irgendwann einmal angefangen durch die Häuser zu stürmen – sozusagen zu plündern und zu schauen, was man da abgrasen kann, obwohl es gar nicht rechtens war. Bis ich mich dann wieder zusammengerissen hab. Die werden schon einen Rucksack mit sich herumschleppen. Kommt drauf an, ob sie angewiesen wurden, freiwillig zurückzukommen im Sinne: Mach einen Anschlag oder so. Aber wenn einer von sich aus sagt, er kommt zurück, dann glaube ich, will er mit der Scheiße nichts mehr zu tun haben."
Im Herbst 2013 ist Bilal Fani nach Syrien ausgereist. Zu diesem Zeitpunkt sieht er in Deutschland keine Perspektive für sich:
"Ich hab' meinen Job verloren, war in Scheidung von meiner muslimischen Ehefrau. Dann hatte ich immer dieses ganze Theologische im Kopf. Diese ganzen Prediger: Du musst helfen. Wie rechtfertigst du dich vor Gott, wenn du mal stirbst? Du hast deinen Brüdern und Schwestern nicht geholfen. Das hat mich psychisch richtig zerfressen. Und dann habe ich gesagt: Ich geh' jetzt."
Und dann war es in Syrien eben nicht, wie er sich es vorgestellt hat. Nach einigen Monaten kehrte er nach Deutschland zurück und wurde an einem Flughafen festgenommen. Anfang 2015 hat ihn das Oberlandesgericht München zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt – unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und wegen Beihilfe zum versuchten Mord. So wurde er in einem Terrocamp der Junud al-Sham ausgebildet und beteiligte sich auch an Kämpfen der Gruppe.
Heute sitzt er in einem bayerischen Hochsicherheitsgefängnis. Seine Geschichte ist die eines radikalisierten jungen Mannes, der nach Syrien ausreist und desillusioniert zurückkehrt:
"Dann habe ich mir mal Gedanken gemacht und dann ist so die Erkenntnis gekommen, was für einen Scheiß ich gebaut habe. Dann ist es mir erst so klargeworden, mir kam es vor, als wäre ich gerade aus einem Film rausgekommen. Aus einem richtigen harten Kinofilm, den ich bei eigenem Leib erlebt habe und mir gesagt habe, wow, scheiße, du hast richtig scheiße gebaut, Alter. Das war Hardcore, einfach die Erkenntnis zu bekommen, dass ich da voll im Krieg war, bereit war Menschen zu töten für irgendwas, was eigentlich gar nicht rechtens war."

Bilal Fani tritt als Zeuge in Dschihadisten-Prozessen auf

Inzwischen ist Bilal Fani ein wichtiger Zeuge bei Dschihadisten-Prozessen. Seine Motivation: Kampf gegen Salafismus und dem eng verwandten Wahhabismus. Regelmäßig wird er zu Prozessen in ganz Deutschland transportiert:
"Ich sage es mal so, bei den Wahhabiten oder bei diesen Salafismus-Ideologien, ist das alles nur als Konzept, dieses ganze vor den Leuten auf nett tun und lieb sein und das Schöne vom Islam zeigen. So locken sie dann den einen oder anderen mit rein, zeigt sich von vorne rein, wir sind ja die Schönen, aber hinter der Fassade geht es richtig dreckig. Dann geht es um Kriege, da werden Sachen erlaubt, die gar nicht erlaubt werden dürften nach dem islamischen Gesetz und da wird alles zurechtgedreht, nur um dieses Ziel zu verfolgen, um Wahhabismus in meinen Augen zu verbreiten."
München, Anfang Dezember 2017. Bilal Fani erscheint vor dem Oberlandesgericht. Drei Männer sind angeklagt wegen Unterstützung einer Terrorgruppe. Sie sollen an die Junud al-Sham Jeeps und Krankenwagen geliefert haben. Nur einen von ihnen erkennt Bilal Fani, einen vollbärtigen Mann. Der wirft ihm einen bösen Blick zu. Bilal sagt, er habe den Angeklagten mindestens zweimal getroffen – einmal in einer Schleuserwohnung in der Türkei und dann in Syrien selbst.
"Redegewandter, manipulativer Mensch ist das, mehr ist das nicht. Sehr manipulativ. Vielleicht selber so verblendet in dieser ganzen Sache, aber ich meine, bei Predigern wie ihm hängt auch viel dahinter. Wenn er jetzt einfach sich umkehren täte und ab, dann muss er von Vielem absagen. Von dem ganzen Geld, das er da reinbekommt, von dem ganzen Trubel, den Schwestern, die ihm wahrscheinlich Heiratsanträge machen."
So denkt Bilal Fani über Salafisten-Prediger. Er verachtet sie und will, dass sie eine gerechte Strafe bekommen. Das erklärt Fanis Anwalt Adam Ahmed während einer Autofahrt. Seit Jahren begleitet er Bilal Fani:
"Mein Mandant mag generell Menschen nicht, die sich dieser Ideologie verschrieben haben. Früher haben sie groß gepredigt. Dann sitzen sie vor Gericht, schweigen und stehen nicht zu ihrem strafrechtlichen Fehlverhalten. Das bringt er deutlich zum Ausdruck. Da kann ich auch nur sagen, dass das für ihn spricht."

Die psychische Belastung ist groß

Der Anwalt weiß aber auch, wie sehr die Situation seinen Mandanten belastet:
"Er macht eine Ausbildung in der JVA. Zugleich hat er ein gesundheitliches Problem, das weiterhin behandelt werden muss. Und er hat dann immer wieder diese Aussagen, die er machen muss oder die er dann auch macht. Das ist natürlich schon eine Belastung insgesamt – vor allem auch in psychischer Hinsicht. Er möchte einfach mal wissen, wie es mit seinem Schutz bestellt ist im Hinblick darauf, dass er derjenige ist, der so aussagt. Da tappt er genauso wie ich im Dunkeln. Das ist ein unerträglicher Zustand, den man auch ändern muss. Insofern ist da schon eine psychische Belastung, die auch spürbar ist."
Für Islamisten ist der Ex-Dschihadist ein Verräter, weil er gegen sie aussagt. Auf Facebook wird gegen ihn gehetzt, in Haft wurde er bespuckt. Wenn er das Gefängnis verlässt, weiß er nicht wirklich, was mit ihm passiert. Vor allem seine Mutter macht sich große Sorgen:
"Sie sagt, du machst dir grad mehr Probleme als du schon nach wie vor hast. Und helfen tut dir auch keiner. Bei dir ist nichts sicher. Wenn du rauskommst, sagt sie wortwörtlich, jagen dir die Salafisten auch noch hinterher. Was mache ich dann? Aber was bleibt mir anderes übrig? Stelle ich mich in Anführungsstrichen bockig und sag' ich will nicht mehr, dann sagen die Anstalt, das Gericht und alle die anderen: Der hat dicht gemacht, der ist wieder in seine alten Muster zurückgefallen."
Gleichzeitig gehört er zu einem Personenkreis, dem Politiker, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft maximal misstrauen. Mehr als 970 Männer und Frauen aus Deutschland sind laut Bundeskriminalamt seit 2011 nach Syrien oder in den Irak ausgereist. Rund 150 gelten als tot. Ein Drittel ist wieder zurück, teilweise an der Waffe ausgebildet und geschult im Bau von Bomben. Und auch sie dürften irgendwann rauskommen. Umso wichtiger ist staatliche Wachsamkeit.

An Händen und Füßen gefesselt

Dafür ist ein Plan nötig für jene, die sich ausstiegswillig zeigen. Nur, wie kann dieser Plan aussehen? Für seine Bereitschaft, vor Gericht auszupacken, hat Bilal Fani eine relativ hohe Haftstrafe bekommen. Elf Jahre. Andere mit vergleichbaren Straftaten sind weitaus glimpflicher davon gekommen. Jüngstes Beispiel: Harry S. aus Bremen. Er war im Ausbildungscamp einer IS-Spezialeinheit und wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Das war im Sommer 2016. Dann passierte das:
"Kurz nach dem Urteil wird ein Video publik. Es zeigt, wie Harry S. Gefangene ihrer Hinrichtung zuführt. Anfang Februar entscheidet der Bundesgerichtshof, dass Harry S. nicht noch einmal angeklagt wird. Der Grund: Das im Grundgesetz verankerte Verbot der Doppelbestrafung stehe einer erneuten Strafverfolgung entgegen. Der jetzt erhobene Vorwurf sei Teil desselben Sachverhalts, der schon dem früheren Strafverfahren zugrunde gelegen hatte."
In solchen Fällen sagt Bilal Fani, hätten die Leute einfach Glück. Er selbst kämpft mit sich und der Justizvollzugsanstalt, in der er einsitzt. Er hat Verständnis, wenn er aufgrund seiner Vergangenheit im Gefängnis besonders kritisch beobachtet wird. Aber im Februar 2017 eskaliert die Situation, als er während eines Krankenhausaufenthaltes durchgängig an Händen und Füßen gefesselt wird.
"Das war schon ein bisschen pervers, sagen wir es mal so, das hat mich psychisch sehr fertig gemacht in diesen drei Tagen. Ich hatte sogar Gedanken gehabt mich selbst umzubringen in dieser Zeit, in dieser Krankenhauszelle und, naja, habe halt Verletzungen an dem Armen davongetragen gehabt, Schwellungen gehabt und das Ganze. So musste ich halt essen, schlafen und auf Toilette gehen."
Der Rückkehrer leidet unter der seltenen Lungenerkrankung Sarkiodose, und braucht deshalb eine intensive medizinische Behandlung. Anfang Februar 2017 ist er so geschwächt, dass er drei Tage lang in ein Krankenhaus muss - mit einer extra Abteilung für Häftlinge.
Drei Tage lang ist er an Händen und Füßen gefesselt. Fanis Anwalt Adam Ahmed ist entsetzt. Monatelang streitet er sich mit der JVA, die offensichtlich fürchtet, der verurteilte Terrorist könnte – trotz seiner offensichtlichen Schwäche - aus dem Krankenhaus flüchten. Schließlich beschäftigt sich das Oberlandesgericht Nürnberg mit dem Fall. Das Gericht stellt fest, nach der gesetzlichen Regelung dürfe eine Fesselung nur an den Händen oder an den Füßen erfolgen. Für das Gericht ist vollkommen schleierhaft, warum die Anstalt trotzdem die Fesselung verteidigt hat. Diese sei rechtswidrig gewesen. Auch als vier Polizisten vom Bundeskriminalamt Bilal im Krankenhaus besuchten hätten, um ihn zu einem Fall zu befragen. Hierzu schreibt das Gericht:
"Weder hat die Justizvollzugsanstalt nachvollziehbar begründet, noch ist sonst ersichtlich, warum es vier Kriminalbeamten nicht möglich gewesen sein sollte, etwaige Fluchtversuche sofort zu unterbinden."

Nun will der Ex-Terrorist anderen helfen

Die Anstalt möchte sich auf Anfrage nicht zum Vorgang äußern. Bilal Fani hofft, dass er bald Klarheit in sein Leben kommt, und er weiß, wie es mit ihm weitergeht. Er pflegt einen regelmäßigen Austausch mit einem Mitarbeiter des Violence Prevention Network – ein ziviler Träger, der sich deutschlandweit um Radikalisierungsfälle kümmert. Der Mitarbeiter sei ein Muslim. Von ihm habe er viel über seinen Glauben gelernt. Denn letztlich sei es auch Unwissenheit gewesen, die ihn in die Radikalisierung getrieben habe:
"Also wirklich von seiner Art und Weise wie er ist, wie er auch redet und wie er auch Sachen einem erklärt, absoluter Goldjunge in meinen Augen."
Bilal Fani will helfen und aufklären. Nur er darf nicht immer, wie er gerne würde:
"Vor allem, weil das in der theologischen Sicht gar nicht richtig sein kann. Für das, was man da unten sieht und erlebt und was ich erlebt habe und gesehen habe, absolutes NoGo. Geht gar nicht. Ich habe auch damals schon dem LKA gesagt, hey, ich bitte drum, gebt mir von den jeweiligen oder von ein paar Eltern die Adresse, dass ich denen schreiben kann und denen erklären kann, warum ihre Kinder weg sind. Aus welchen Gründen, was dieser Brainwash mit ihnen angerichtet hat, aber darf ich nicht. Ich darf mit denen kein Kontakt haben."
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