Ein Sportunfall

"Je oller, je doller, wa?"

Der Kieler Windsurfer Leon Jamaer beim "Storm Chase".
Was bei den Profi-Surfern kinderleicht aussieht, geht bei anderen leicht schief - auch bei weniger Seegang © Red Bull Content Pool / Simon Crowther
von Matthias Baxmann · 19.08.2018
Als Opa möchte man seinen Enkeln leuchtendes Vorbild sein. Unserem Kolumnisten Matthias Baxmann ist das beim Windsurfen an der Ostsee leider nicht ganz gelungen. Nun büßt er für seinen sportlichen Ehrgeiz auf Krücken und hofft auf baldige Genesung.
Hier hört man nicht den Buchelklopper, den beliebten süddeutschen Stampftanz. Nein, so klingt es, wenn ich, Rucksack beladen mit meinen Krücken in den vierten Stock zu meiner Wohnung emporsteige. Ich mache Platz für Oma Pöggel aus dem Dritten. Vor meinem Sportunfall war ich es, der nur so an ihr vorbei rauschte.
Im Vorgespräch zu meiner Knie OP meinte mein gutgelaunter Arzt, es sei durchaus nicht ausgeschlossen, dass das alles wieder in Ordnung käme. Aber so etwas hätte er wirklich selten, dass im Knie so ziemlich alles auf einmal gerissen wäre; sehr interessant. Er schaut mal, was man da zusammenflicken und wieder antackern könne. Anschließend, Schiene und Krücken für drei Monate. Danach könne ich dann anfangen, wieder laufen zu lernen. Kopf hoch!
Wenn man also mit seinen Krücken durch die Welt humpelt wie ich derzeit, kann man mit einer Runde ums Karree durchaus einen Vormittag verbringen. Anfangs erzähle ich meinen Bekannten auf der Straße noch bereitwillig was passiert ist und hole weit aus: Windsurfen mit den Enkeln an der Ostsee. Ihre ersten Versuche, nicht ständig vom Brett zu fallen. Bald nehmen sie aber tatsächlich ein paar Meter Fahrt auf, und die Surflehrerin staunt über ihr Fortschritte.

Dran bleiben ist alles

Am Nachmittag setze ich den Unterricht mit ihnen allein fort. Beine um den Mast, Arme gestreckt! Und immer wieder fallen sie vom Brett. Ich tröste sie, das ging mir auch so am Anfang, dran bleiben! Und weil gerade wirklich fast Sturm ist, mache auch ich mein Brett klar. Ich will ihnen zeigen, welchen Spaß es macht, wenn sie mit dem Surfen mal so weit sind wie ihr Opa. Sie wollen auch gleich so ein Trapez haben wie ich mir umschnalle, weil das so professionell aussieht: Ein breiter Gürtel mit einem Haken, den man am Segel einklinkt. Man hält es dann nicht mehr mit den Armen, sondern lehnt sich mit seinem ganzen Körper gegen die Kraft des Windes, erkläre ich ihnen.
Ein Winsurfer und ein Stand-Up-Paddler fahren am 05.05.2016 in Fehmarn (Schleswig-Holstein) über die Ostsee. Auf Fehmarn startet das Surffestival. Foto: Axel Heimken/dpa | Verwendung weltweit
Auf der Ostsee über das Wasser gleiten © Axel Heimken/dpa
Leider noch nichts für euch, sage ich und gleite hinaus aufs Meer. Unterwegs stelle ich mir ihre großen Augen vor, mit denen sie bewundernd ihrem Opa nachblicken. Doch plötzlich erfasst mich eine Böe, und ich werde, am Segel eingehakt, durch die Luft geschleudert. Das kommt vor und muss nicht unbedingt zum Problem werden, wenn man nicht gerade unter dem Segel landet und diesen verdammten Haken nicht losbekommt. Im ungünstigsten Fall fängt man dann an zu zappeln und verfängt sich mit dem Fuß in irgendeiner Leine. Während sich dann sein bisheriges Leben im Schnelldurchlauf abspult, bleibt man vielleicht kurz an der Stelle hängen, wo man als Kind das Luftanhalten geübt hat, und der letzte Gedanke ist: Nein, das ist jetzt kein Traum, das ist die Wirklichkeit!

Spagat wäre hilfreich

Man kann aber auch mit dem Kopf auf dem Mast schlagen und froh sein, wenn man noch Sterne sieht statt gar nichts mehr. Rippenbrüche beim Aufschlagen aufs Brett oder gebrochene Zehen, wenn man in den Fußschlaufen hängen bleibt, erscheinen da fast harmlos. Auch mein Schleudersturz wäre eigentlich nicht besonders spektakulär gewesen, wenn mein rechtes Bein hätte mitfliegen wollen, statt sich lieber am Mast zu verfangen.
Als Kind hatte ich meine Schwester immer beneidet, die konnte nämlich Spagat. So was hätte ich jetzt gut gebrauchen können, weil es meine Beine maximal auseinanderspreizte. Weil ich nun aber keinen Spagat konnte, die Beine jedoch unbedingt auseinander wollten, sagte das Knie gewissermaßen, dann übernehme ich das jetzt mal, obwohl so ein Knie nicht für solche Kunststücke gebaut ist.

Ein Bein macht den Frosch

Es fühlte sich auch an, als wäre in diesem Moment da unten etwas richtig kaputt gegangen. Aufs Brett gestützt, dümpelte ich dann gen Strand, ein Bein machte den Frosch, das andere schlingerte leblos hinterher, wie eine Wasserpflanze in der Strömung. Die Enkel riefen: "Opi, guck mal, wir können schon eine Wende fahren! Übt mal schön weiter, Opi muss jetzt mal kurz ausruhen." Erstaunlicherweise konnte ich selbständig zur Unterkunft laufen, wenn auch humpelnd. Dabei bemerkte ich, dass beim jedem Schritt der rechte Unterschenkel nach außen klappte.
Diese Geschichte erzählte ich also anfangs ausführlich. Oft kam dann etwas wie: "Je oller, je doller, wa?", wenig hilfreich, doch lachte ich anstandshalber mit. Später sagte ich nur noch: Sportverletzung, wird aber wieder! Und damit war das Gespräch dann erledigt.

Über eine Million Sportunfälle passieren jedes Jahr in Deutschland. Hobbysportler leben gefährlich, Ältere zumal – so wie unser Kollege Matthias Baxmann. Über Alter, Ehrgeiz und Selbstüberschätzung im Sport hat Thomas Jaedicke mit dem Psychologen und Psychotherapeuten Klaus Seifried gesprochen.
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