"Ein spontaner Urstil"

Bruno Bischofberger im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 22.12.2010
Wie zufällig wirkende Kinderzeichnungen mit einer "unglaublichen Kraft" beschreibt Bruno Bischofberger die Wirkung der Bilder von Jean-Michel Basquiat. Der Schweizer Kunsthändler vertritt heute wie damals den 1988 verstorbenen Maler.
Stephan Karkowsky: Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger galt es geradezu als morbide Ehre, zum Klub 27 zu gehören, also nach einem Leben auf der Überholspur mit 27 Jahren zu sterben, meist im Zusammenhang mit Drogen. Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison – alle wurden nur 27 Jahre alt. 1994 kam Kurt Cobain hinzu, dabei müsste man eigentlich auch Jean-Michel Basquiat dazuzählen. Er war auch Musiker, in erster Linie aber ein Superstar der Kunstszene und starb 1988 eben mit 27 Jahren. Beatrice Uerlings war ihm in New York auf der Spur.
Jean Michel Basquiat, Galerist war damals wie heute der Schweizer Kunsthändler Bruno Bischofberger. Guten Morgen!

Bruno Bischofberger: Guten Morgen!

Karkowsky: Herr Bischofberger, ich ahne schon, dass Sie es gar nicht mögen, wenn Basquiat heute vor allem über sein wildes Drogenleben definiert wird. Richtig?

Bischofberger: Na, ich kann damit leben, es ist natürlich ... hat nichts damit zu tun, was er uns hinterlassen hat, eine großartige Malerei, die uns alle immer noch sehr bewegt und wahrscheinlich bewegen wird und die Kunstgeschichte geschrieben hat.

Karkowsky: Er hat ja gemalt und gezeichnet oft im gleichen Bild. Warum wird er heute immer noch als Graffitikünstler bezeichnet? Liegt das vor allem an den Anfängen seiner Kunst?

Bischofberger: In der seriösen Kunstliteratur ist das nicht mehr so, aber es war eine Weile lang so und im Allgemeinen schon, weil er so in der gleichen Szene sich bewegt hat, und weil er in der Frühzeit kleine Poesien, kleine Sätze an die Wände geschrieben hat und hat alle die anderen Graffitikünstler gekannt. Und sein Stil ist so eine Art graffitihaft, aber er war ein Künstler, der Bilder gemalt hat wie die meisten anderen Maler.

Karkowsky: Stimmt denn die Legende, dass er seine Graffitis vor allem deshalb an die Wände des New Yorker Stadtteils SoHo gekritzelt hat, um die Galeristen aufmerksam zu machen auf ihn?

Bischofberger: Das glaube ich nicht, aber im Untergrund kann das bei jedem, der irgendwie sich künstlerisch äußert, jungen Menschen, statt was er auch immer macht, natürlich auch eine Art Schritt in die Szene der Leute, die sich wirklich seriös mit Kunst beschäftigen, sein.

Karkowsky: Sie waren der Galerist Andy Warhols, schon seit 1968, und lernten dann 1980 Basquiat kennen, da war er gerade 20 Jahre alt. Was für eine Begegnung war das?

Bischofberger: Es war eigentlich schon, nachdem ich ihn von Weitem schon gesehen habe und schon seit einigen Monaten Bilder von ihm sah und einige im Markt erworben hatte – von seiner ersten Galeristin auch eines, die Annina Nosei, die ihn ein halbes Jahr lang vertreten hat, das war die erste da. Und als ich von meiner Mitarbeiterin hörte in New York, dass er die Galerie verlassen hätte, weil er sich irgendwie nicht einig war über was, ging ich bei meinem nächsten Besuch – und ich ging damals fast monatlich nach New York – habe ich ihn aufgesucht und ihn gebeten, ob ich eine Ausstellung im Herbst machen könnte, was dann auch stattfand, in '82 war das. Und ich habe ihn erst dann kennengelernt im Mai 82 privat bei meinem ersten Besuch in seinem ersten Studio an der Crosby Street. Und ich wurde dann auch sein Exklusiv-Kunsthändler weltweit, er wünschte aber, dass ich in New York jemand für ihn finde, der mein Partner sein könnte, mindestens für Ausstellungen, und das fand dann auch statt.

Karkowsky: Was haben Sie in diesem jungen Sohn karibischer Einwanderer aus einer Mittelschichtfamilie gesehen? Was hatte der anzubieten, was ihn abhob von den Myriaden junger Menschen in New York, die ja ebenfalls alle von einer Karriere träumen?

Bischofberger: Eine unglaubliche Kraft in seinen Bildern, etwas, das sehr schwierig in Worte zu fassen ist. Richtig in Worte können Sie es nur fassen, wenn Sie der Berthold Brecht oder der Goethe sind, der gleiche Qualitäten in den Worten hat wie Basquiat in seiner Hand mit seinem Pinsel. Es war einfach unglaublich, was er gemacht hat. Ich habe ihn dann gefragt, und das ist schon die Beschreibung seiner Kunst auf eine Art. Ich habe ihn gefragt, welche Künstler ihn am meisten interessieren, bei meinem ersten Besuch auch, und dann hat er gesagt – wir haben später dann über gewisse Künstler geredet –, das sind eigentlich die Zeichnungen der zwei-, dreijährigen Kinder. Das finde ich das Tollste. Und irgendwie hat er sich diesen primitiven Stil, die wir ja alle sehr bewundern, Kinderzeichnungen der ersten Jahre, wenn sie toll sind, und er hat das sich wieder erworben. Es war so ein spontaner Urstil, wie die ersten Kinder malen, aber in unglaublicher Meisterhaftigkeit, ganz gewollt von ihm, aber sie haben wie Zufälligkeiten oft ausgesehen.

Karkowsky: Sie waren ja zu dieser Zeit mit Ihren Ausstellungen durchaus auch immer wieder Kritik von Kunstkritikern ausgesetzt, die dann gesagt haben: Ist das alles nicht nur ein großer Hype? Gab es denn diese Möglichkeit tatsächlich, hätte ein Kunsthändler wie Sie die Macht gehabt, einen beliebigen Nobody zum Superstar zu machen?

Bischofberger: Nein, absolut nicht. In vielen Panelgesprächen seit 40 Jahren bin ich über diese Frage dabei. Man kann Kunst nicht machen. Natürlich, ein junger Künstler, der interessante Sachen macht, der aber nichts kunstgeschichtlich Relevantes erarbeitet – wenn ich den zeigen würde, wahrscheinlich würden eine kurze Weile lang gewisse Leute eher was kaufen, weil sie denken, ich habe immer eine gute Sicht gehabt, sie nennen das eine gute Nase, aber ich glaube, es ist eine gute Intelligenz, um Junge zu finden ganz früh, die dann ganz berühmt wurden. Aber auf die lange Dauer – das rächt sich sehr bald und das rächt sich auch für den Kunsthändler. Wenn er es ein paar Mal gemacht hat, weiß man, der hat eigentlich keine große Kenntnis innerhalb der Kunst.

Karkowsky: Sie hatten das Vorkaufsrecht für die Werke Andy Warhols und haben Basquiat dann auch eingeführt in diesen heiligen Kreis der Andy-Warhole-Factory.

Bischofberger: Na ja, der heilige Kreis ... Heute ist es sehr heilig, ja.

Karkowsky: Man kann auch sagen, ein menschlicher Zoo voller Selbstdarsteller und hipper Künstler – das war doch in erster Linie ein Klub der Weißen, oder? Wie passte denn Basquiat da hinein?

Bischofberger: Ja, es waren aber ganz viele auch Schwarze da, die als Besucher und Freunde und Künstler, also das ist nicht so ... Für die liberalen Künstler dieser Art ist das, war das überhaupt nichts etwas, das nicht gepasst hat. Aber im Gesamten gesehen hat Basquiat natürlich gelitten, irgendwie versteckt doch auch, weil die Schwarzen wurden einfach nicht gleich behandelt. Ein Taxi hat zum Beispiel ganz ungern gehalten, wenn auch ein elegant gekleideter Schwarzer sie angehalten hat, weil er musste dorthin fahren, wo der wollte, und gewisse Teile von Harlem oder von Long Island waren einfach sehr große Slums, wo es gefährlich war, hinzufahren, und darum haben die es nicht gemacht – und Ähnliches ist ihm schon auch passiert.

Karkowsky: Andy Warhol selbst gilt als Abstinenzler, er hat Basquiat lange Zeit abgehalten von einem zu obsessiven Drogenkonsum.

Bischofberger: Nein, das ist nicht so.

Karkowsky: Habe ich gelesen.

Bischofberger: Ja, aber das stimmt nicht. Ich habe das miterlebt. Er hat es versucht, wie alle anderen, aber abgehalten konnte er nicht, da gab es nicht viel abzuhalten. Er hat es versucht und wir haben es alle versucht und oft mit ihm gesprochen, und er hat auch mal eine Rehab angefangen und ist dann aber nach einem Tag wieder ausgestiegen, und es war ganz schwierig, einen Heroinsüchtigen … Es hat sich immer gesteigert bei ihm. Und der Warhol wollte ihn auch davon abhalten, und das war ganz, ganz schwierig, und ein Erfolg war da, würde ich sagen, nicht zu rechnen, es war aber doch auch sehr im Untergrund, also er hat es jetzt nicht öffentlich ... Er hat zwar immer Gras geraucht, Marihuana geraucht, irgendwann, an irgendwelchen Orten, wo auch Leute waren, hingegen Drogen hat nie jemand gesehen, dass er genommen hat. Ich habe das auch nicht gesehen.

Karkowsky: Also der frühe Drogentod Ihres Künstlers 1988 kam für Sie nicht ganz überraschend?

Bischofberger: Nein, überhaupt nicht. Ich habe es schon seit einiger Zeit gewusst, in den letzten zwei Jahren war es ganz klar, dass er Heroin nimmt in starker Art und sich wahrscheinlich das auch injiziert und das ist eine starke Phase, und sie irgendwo ... Ich habe von Leuten, die das auch gemacht haben und sich gut auskennen, irgendwo gibt es einen Point of no Return, wenn es in starkem Maße genommen wird, wo es ganz, ganz schwierig ist, dass da noch einer rauskommt, selbst mit Hilfe.

Karkowsky: Zum 50. Geburtstag von Jean Michel Basquiat heute, also Basquiat, des ersten Schwarzen, dessen Werke heute Millionenpreise erzielen auf dem Kunstmarkt sein langjähriger Galerist, der Schweizer Kunsthändler Bruno Bischofberger. Herr Bischofberger, Ihnen vielen Dank!

Bischofberger: Gerne geschehen!
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