Ein schmaler Grat

Von Rolf Clement, Deutschlandfunk · 06.11.2009
Die Soldaten der Bundeswehr atmeten sicher tief durch: Angemessen nannte der neue Minister den Luftschlag und bestätigte damit die Einschätzung, die Generalinspekteur Schneiderhan unmittelbar nach der Übergabe des NATO-Berichts abgab. Rückendeckung also von der politischen Führung.
Dies ist für die Soldaten im Einsatz wesentlich: In einer schweren Zeit stehen die politischen und militärischen Vorgesetzten also vor ihnen. Das macht den Kopf frei für nötige Entscheidungen.

Politisch hat zu Guttenberg damit Mut bewiesen. Denn er weiß, dass er mit dieser Einschätzung Widerspruch provozieren wird. Das führt zu dem Kern des Problems in dieser Sache: Der Befehl der deutschen Oberst stand wohl mit den Buchstaben der Vorschriften nicht völlig im Einklang, das hat zu Guttenberg auch zugestanden. Aber es ist Bestandteil der deutschen Führungsphilosophie, dass Offiziere die Vorschriften so anwenden, dass die militärischen Ziele erreicht werden, ohne dass Opfer zu beklagen sind.

Es gab deutliche und für den Einsatzführer in Kunduz beängstigend glaubwürdige Erkenntnisse über einen bevorstehenden Anschlag auf das Lager der Bundeswehr. Vielleicht müssen die Erfahrungen zu einer Überprüfung der Vorschriften führen, Handlungsbedarf für den Minister auf NATO-Ebene.

Nun liegt also die militärische Bewertung durch den Generalinspekteur vor, die politische durch den Minister. Ein Schwamm drüber darf es auch jetzt nicht geben. Man sollte intern schon prüfen, ob durch eine andere Ausstattung der Kunduz-Truppe der Luftschlag zu verhindern gewesen wäre. Die Opposition bewertet das naturgemäß anders, das gehört zum politischen Alltag. Wenn zu Guttenberg das Handeln politisch rechtfertigt, heißt das nicht, dass das auch juristisch in Ordnung ist. Es ist in einem Rechtsstaat klar, dass die Unabhängigkeit der Rechtspflege eigene Ermittlungen nötig macht.

Dass die Dresdner Staatsanwaltschaft nun sogar das Völkerstrafgesetzbuch ins Spiel bringt, ist für den betroffenen Soldaten erst einmal eine schwere Last: Das Verfahren wird nun doch noch eine ganze Menge Zeit in Anspruch nehmen. Aber bisher ist in keinem Fall, bei dem Bundeswehrsoldaten im Einsatz Menschen getötet haben, ein Verfahren eröffnet worden. Und die Bundesanwaltschaft, die aufgrund von Anzeigen schon länger den Vorfall bei Kunduz prüft, ist in einer freilich vorläufigen Stellungnahme zu der Erkenntnis gekommen, dass sie zumindest noch keine Anhaltpunkte erkennt, die die Anwendung der Völkerstrafrechts nötig macht.

Solche Fälle sind immer tragisch, keiner fühlt sich bei solchen Entscheidungen wohl. Der Grat, auf dem die verantwortlichen Offiziere gehen, ist schmal, deshalb ist die Rückendeckung so wichtig. Und eines wusste der Oberst damals noch nicht, sollte aber jetzt auch beachtet werden: Seit diesem harten Eingriff der Bundeswehr in Kunduz ist die Anschlagsintensität und die Zahl im Norden des Landes deutlich zurückgegangen. Auch das hat Leben erhalten, bei den Afghanen wie bei den Soldaten der NATO-Staaten.