Ein Roman der Illusionen und des Scheiterns

07.03.2007
Der Roman "Easter Parade" des US-Amerikaners Richard Yates ist ein Meisterwerk. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, werden nach und nach wahre Schätze dieses vor 15 Jahren verstorbenen Autors ausgegraben. Das Buch erzählt von den Lebenswegen zweier Schwestern. Die eine setzt auf die Familie, die andere auf die Karriere – am Ende scheitern beide.
Darauf durfte man gar nicht hoffen: dass es noch einmal gelingen würde, unter den sieben Romanen des lange Zeit – nicht nur bei uns – vergessenen US-Amerikaners Richard Yates (1926 – 1992) noch so ein Meisterwerk wie das 2002 neu übersetzte "Zeiten des Aufruhrs" aufzuspüren. "Easter Parade", im Original 1976 erschienen, kann es mit dem Vorläufer aufnehmen und zeigt erneut Yates' Meisterschaft, den Lesern schmerzvolle Biografien auf beklemmende Weise nahe zu bringen.

Diesmal sind es die beiden Schwestern Sarah und Emily Grimes, 1921 und 1925 geboren, deren Weg der Roman über gut vier Jahrzehnte verfolgt. Von Anfang an steht ihr Leben auf wackligem Fundament: Ihre Mutter, "Pookie" genannt, und ihr Vater, Überschriftentexter bei einem New Yorker Boulevardblatt, lassen sich 1930 scheiden, und die beiden Mädchen sind fortan gezwungen, ihrer rastlosen, sich permanent selbst überschätzenden Mutter von Vorortstädtchen zu Vorortstädtchen zu folgen.

Sarah und Emily, das sind Lebenslinien, die sich auf den ersten Blick nicht berühren. Zu unterschiedlich entwickeln sich die Frauen: Während Sarah früh heiratet und Kind um Kind zur Welt bringt, erhält Emily ein Collegestipendium und arbeitet als Jounalistin und Werbetexterin, ohne sich ihren Alltag von Männern zu sehr einengen zu lassen. Als die Ehe mit einem unter Potenzproblemen leidenden Philosophiedozenten in die Brüche geht, pflückt sich Emily mit Nonchalance die Männer vom New Yorker Straßenrand. Mal ist es ein aufstrebender Lyriker, mal ein bisexueller Matrose, mal ein versierter Anwalt – viele Bindungen und keine, die Dauer verheißt.

"Easter Parade" ist ein Roman der Illusionen und des Scheiterns. Pookie versucht sich – ehe sie dem Alkohol verfällt, in einem Pflegeheim landet und sich einbildet, John F. Kennedys Schwiegermutter zu sein – die grauschwarzen Realitäten schönzureden. Das ärmliche "Anwesen" von Sarahs Schwiegereltern tauft sie "Hohe Hecken", als hätten sich dort Scarlett O'Haras Nachkommen niedergelassen, und schlichte Trinkgelage werden von ihr zu großartigen Cocktailevents stilisiert. Auch ihre Tochter Sarah neigt zur Verblendung: Was für sie als anrührende Zweisamkeit begann, wird zur Hölle mit einem prügelnden Ehemann und dem steten Griff zur Martini- und Whiskey-Flasche. Ihr Gedanke, den Ort der Demütigungen zu verlassen und auf eigenen Füßen zu stehen, wird rasch ad acta gelegt – zu groß ist die Angst, allein dazustehen, zu schwach der Wille, die Konventionen aufzubrechen.

Die Unerbittlichkeit des Romans zeigt sich darin, dass auch Emilys Weg in ein Fiasko mündet: Sie verliert ihren Job, und alle ihren psychischen und sozialen Sicherheiten gehen verloren. Emily ist eine bewegende Frauengestalt, die nicht auf einen Nenner zu bringen ist. Was als Selbstbewusstsein und Ungebundenheit erscheint, schlägt jäh um in Einsamkeit und in die Erkenntnis, dass diese Welt nicht zu verstehen ist. Wie Hohn klingt es am Ende in ihren Ohren, als ihr Neffe, ein Pfarrer, sie mit leeren Worten zu trösten sucht: "Die meisten Menschen geben ihr Bestes. Wenn etwas Schreckliches passiert, gibt es für gewöhnlich keinen Schuldigen."

Es ist staunenswert, wie Yates Gesellschaftskritik und Schicksalsergebenheit miteinander verknüpft, wie präzise Dialoge genügen, ein intensives Panorama zu entwerfen. Mit knappen Leitmotiven, brillanten Einzelszenen und einem so überraschenden wie genialen Romanschluss strukturiert Yates sein makelloses, nicht immer makellos übersetztes Werk. Wann kommt Richard Yates' nächster Roman auf Deutsch?

Rezensiert von Rainer Moritz

Richard Yates: "Easter Parade",
aus dem Englischen von Anette Grube,
Deutsche Verlags-Anstalt: 2007, 304 Seiten, 19,95 Euro