Ein Riss ging durch Italien

16.12.2010
Das Italien gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ist in Duce-Anhänger, passive Regime-Gegner und aktive Widerstandskämpfer gespalten. Auch Familie Polidori teilt sich in mehrere Fraktionen auf. Mario Fortunato vergegenwärtigt in seinem Roman eine unterbelichtete Phase der italienischen Geschichte.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war Italien ein zerrissenes Land. Das lag nicht nur an dem erbitterten Kampf der Alliierten gegen die Faschisten und die Nationalsozialisten, der nach der Kapitulation im September 1943 die Halbinsel in mehrere Teile zerfallen ließ. Der Riss ging durch ganze Familien, die sich in begeisterte Duce-Anhänger, passive Gegner des Regimes und aktive Widerstandskämpfer aufspalteten.

Dies ist der Hintergrund, vor dem der Schriftsteller Mario Fortunato, Jahrgang 1958 und lange Zeit Direktor des Italienischen Kulturinstituts in London, seinen neuen Roman "Unschuldige Tage im Krieg" entwirft. Im Mittelpunkt steht eine jener Familien, die sich in mehrere Fraktionen aufteilen. Die Eltern Polidori haben sich aus der Politik immer heraus gehalten, aber zwei ihrer Söhne schwören Mussolini die Treue und gehen für ihn an die Front. Giovanni landet in Russland, der eitle Ernesto, überzeugt von den hehren Zielen seiner Mission, nimmt an den afrikanischen Feldzügen teil und gerät in englische Gefangenschaft. Die älteste Tochter Eleonora heiratet den Rechtsanwalt Stefano Portelli, einen Sozialisten. Nachdem Eleonora im Kindbett stirbt, wird die jüngste Schwester der Familie Stefanos zweite Ehefrau. Die siebzehnjährige Nina spielt bald eine wichtige Rolle im Widerstand.

Mit leichter Hand entfaltet Fortunato sein gesellschaftliches Panorama, kombiniert verschiedene Textsorten und verbindet private Geschichte mit historischen Umwälzungen. Neben dem italienischen Schauplatz in der Nähe von Rom bringt er England ins Spiel und erzählt parallel vom Schicksal eines Royal-Air-Force-Piloten namens Alastair Ormiston, Cambridge-Absolvent aus der Oberschicht, befreundet mit Edna, Studienkollegin und mittlerweile Krankenschwester.

Dynamisches Moment des geschickt verwobenen Beziehungsgeflechts sind erotische Anziehungskräfte. Meistens bietet ein Kuss den Auftakt oder Höhepunkt einer Bindung: Er kann Treue oder Begehren ausdrücken, aber auch Verrat, Rache oder Schuld. Der Autor spinnt gleich mehrere rote Fäden in seinen Roman ein. Das Coming-out von Alastair, der seine erste große Liebe bei einem Angriff über Rostock verliert, Ednas Weg zum Beruf der Schriftstellerin, dann die Liebeswirren von Nina, die den falschen Mann geheiratet hat und politisch handelt, weil sie ihrer emotionalen Haltlosigkeit eine feste Überzeugung entgegensetzten muss, und schließlich die Ernüchterung ihres Mannes und ihrer Brüder.

Fortunato beharrt auf dem Begehren als treibende Kraft allen Handelns, und selbst wenn er damit recht haben mag, wirkt die Betonung des Privaten manchmal allzu penetrant. Er neigt zu Psychologisierungen, und ab und zu unterlaufen ihm klischeehafte Wendungen, so in der ersten Liebesgeschichte von Alastair, der prompt auf einen sadistischen Kriegskameraden hereinfällt. Sprachlich ist der Roman nichts sonderlich ambitioniert, aber Fortunato hat ein Gespür für Handlungsaufbau und Erzählrhythmus. Vor allem gelingt es ihm, eine traditionell unterbelichtete Phase der italienischen Geschichte zu vergegenwärtigen. In einer Phase des historischen Revisionismus, wie sie unter Berlusconi Hochkonjunktur hatte, ist das schon eine ganze Menge.

Besprochen von Maike Albath

Mario Fortunato, Unschuldige Tage im Krieg
Roman aus dem Italienischen übersetzt von Marianne Schneider
Schöffling Verlag Frankfurt am Main 2010
244 Seiten, 19, 95 Euro