Ein Revolutionär der Portraitmalerei

Von Carsten Probst · 13.10.2005
Francis Bacon gilt nicht als der bedeutendste britische Portraitmaler der Nachkriegszeit, obwohl er das Portrait wie kein anderer Maler seiner Zeit revolutionierte. Nun zeigt die Kunsthalle Hamburg in einer großen Ausstellung 50 Porträts aus seinem Werk. Die Bilder machen, angereichert durch viele Fotographien und Arbeitsmaterialien, Bacons Vorgehensweise deutlich.
Warum gilt noch immer der großartige, aber eher konventionelle Lucian Freud als der bedeutendste britische Portraitmaler der Nachkriegszeit – und nicht etwa sein lebenslanger Kumpan Francis Bacon, der das Portrait wie kein anderer Maler seiner Zeit revolutioniert hat? Vielleicht lässt sich der Grund aus einer Anekdote aus den vierziger Jahren destillieren, als sich Bacon und Freud gegenseitig des öfteren gemalt haben. Eines Tages befand sich Freud gerade auf dem Weg in Bacons Atelier, dem er Modell sitzen sollte, doch als er dort eintraf, war das Portrait bereits fertig. Bacon hatte sich einer alten Fotografie bedient, auf der Franz Kafka im Anzug zu sehen war, und später halb aus dem Gedächtnis Freuds Kopf darauf gesetzt. Diese Vorgehensweise war typisch Bacon, er schöpfte viel mehr aus der Imagination und setzte alles daran, seine Modelle beim Malen neu zu erfinden. Er kreuzte gewissermaßen verschiedene Bilder in einem, Fotografien, Gemälde anderer Maler oder Erinnerungsbilder, und erreichte damit einen nicht selten gewaltsam wirkenden Verfremdungseffekt, der jedoch – und das ist das Verblüffende – dem Portraitierten und seiner persönlichen Ausstrahlung am Ende aber doch immer sehr nahe kommt.

Christoph Heinrich: "Angesichts dieser Bilder kann man auch nachvollziehen, was Bacon meinte, wenn er sagte, es ging ihm darum, die Energie, die Ausstrahlung einer Person zu malen. Das Foto ist immer gefrorene Zeit, das bleibt immer auf der gleichen Stelle, so wie es aufgenommen wurde, im Bruchteil einer Sekunde. Das Bild, die Farbe, die Malerei hat viel mehr Möglichkeiten auch der Bewegung, der Beweglichkeit, aber auch so was Kinematografisches, was da durchaus reinkommt, dieses Phasenhafte, dass man das Gefühl hat, die Figur verwischt so wie bei einem Foto, was zu lange belichtet ist für die Bewegung. Diese Fotoeffekte spielen eine ganz wichtige Rolle, und die dritte Bewegung, die in seinen Bildern eigentlich von Anfang an irgendwo präsent ist und immer wichtiger wird, ist die Bewegung des Lebens hin auf den Tod."

Kurator Christoph Heinrich von der Hamburger Kunsthalle hat gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Rose von der National Gallery of Scotland in Edinburgh über fünfzig Bildnisse aus internationalen Sammlungen zusammengestellt, allesamt zählen sie zu Höhepunkten in Bacons Werk. Darunter zahlreiche Portraits, die Bacon von seinen Liebhabern und Freunden angefertigt hat, deren Namen inzwischen selbst Kunstgeschichte geworden sind: George Dyer, Isabella Rawthorne, Henrietta Moraes, der Schriftsteller Michel Leiris, Peter Lacy – oder nicht zuletzt auch die immer wiederkehrenden Selbstportraits, in denen Bacon zumeist mit besonderem Eifer nach immer neuen Verwischungs- und Entstellungseffekten sucht. Insgesamt ist beiden Kuratoren in der Galerie der Gegenwart eine inhaltlich und ästhetisch dichte Revue eines zentralen Themas in Bacons Werk gelungen, bei der man sich fragt, warum niemand schon früher einmal auf die Idee gekommen ist, Bacon als Portraitmaler zu zeigen.

Immer wieder, das zeigt vor allem die Frühphase in Bacons Werk, reizt ihn das Thema der Anonymität, der seriellen Wiederholung des immer selben Motivs: Die berühmten schreienden Päpste, dann jedoch vor allem Männer in Anzügen. Kuratorin Andrea Rose sieht gerade hier den Portraitisten Bacon von seiner stärksten Seite:

Andrea Rose: "Als er noch ein junger Mann war, nachdem er aus Berlin nach London zurückgekehrt war, hatte er kein Geld, und sein größter Unterstützer in dieser Zeit war ein Geschäftsmann, der immer äußerst konservativ gekleidet war. Er war Generaldirektor, saß im Magistrat, hatte zwei Kinder und war sehr wohlhabend. Vierzehn Jahre lang hatte er eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zu Bacon, möglicherweise hat er sogar seine Frau für Bacon verlassen, um mit ihm zusammenzuleben. Er war der Mann, der Bacons erstes großes Gemälde kaufte, die "Studien für drei Figuren am Fuß einer Kreuzigung", und es der Tate Gallery schenkte. Die Persönlichkeit und das Gesicht dieser Person namens Eric Hall ist auf diesem Portrait zu sehen, das sich im Besitz der Kunsthalle befindet. In diesem Portrait verwandelt Bacon exemplarisch die langweiligste Erscheinung unserer heutigen Geschäftswelt, den Anzugträger, in ein Lebewesen aus Fleisch und Blut und mit Leidenschaft hinter der glatten Fassade."

Großformatige Portraits setzen in den folgenden Jahrzehnten diese Linie in Bacons Schaffen fort, keineswegs wie ein Werk im Werk, wie manche meinen. Sondern als integraler Bestandteil von Bacons Auffassung menschlicher Körperlichkeit.

Andrea Rose: "Bacon hat nie ein Geheimnis aus seiner Homosexualität gemacht, auch zu den Zeiten, als es strafbar war. Er war mehr der devote Typ, der es mochte, geschlagen zu werden. Sein damaliger Partner in den sechziger Jahren, Peter Lacy, war ein extrem gewalttätiger Mensch. Hier auf diesem Portrait "Mann zurückgelehnt mit Skulptur" sieht man Peter Lacy als Figur auf einem Sofa sitzen, während Bacon seinen eigenen Kopf als eine kleine Skulptur vor dieses Sofa gemalt hat, eine Skulptur übrigens, die es tatsächlich gibt. Ich denke, dieses Bild hat einen gewissen inneren Witz. Bacon wird ja immer als der Maler des existentialistischen Grauens der Nachkriegszeit bezeichnet, aber das trifft seine Kunst meiner Meinung nach bestenfalls teilweise. Eine der wichtigsten Qualitäten seines Werks ist Intimität, Liebe, die gerade dort hinten im Portrait des nackten Peter Lacy erscheinen. Dieses Portrait ist dagegen ein heiteres Portrait ihrer Beziehung, wo Bacon seine Neigung zum devoten Charakter durch jene kleine Skulptur fast selbst karikiert."

Das Portrait vom Anfang der sechziger Jahre ist zugleich auch der geheime Stolz der Kuratoren und der Ausstellung, und zu Recht. Zwanzig Jahre lang lagerte es unbekannt im Depot des Museums für zeitgenössische Kunst in Teheran, damals noch vom Schah-Regime erworben. 2003 durch eine Mitarbeiterin des British Council zufällig wieder entdeckt, waren zäheste Verhandlungen nötig, um die heutige islamistische Regierung des Landes dazu zu bewegen, das Gemälde auszuleihen. In Deutschland ist es somit zum ersten Mal zu sehen.

Service: Die Ausstellung ist vom 14. Oktober 2005 bis zum 15. Januar 2006 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.