Ein Rabbiner für Hameln

12.04.2013
Adrian Schell ist Jugendleiter der Union progressiver Juden und frisch ordinierter Rabbiner des Abraham-Geiger-Kollegs. Er bringt eine Leidenschaft für Bücher und Computer mit und stammt aus einem sozialdemokratisch-atheistischen Elternhaus. Ein Porträt.
Adrian Schell ist überzeugt: Jugendliche lassen sich für Synagogengottesdienste begeistern, für gemeinsame Jugendfreizeiten und für Seminare. Sie müssten dem Gemeindeleben nicht verloren gehen. Denn Jugendliche wollten sich beteiligen und aktiv sein.

"Gerade Jugendliche ab 14 haben schon eine Vorstellung, was sie machen wollen."

Oft scheuten sich Gemeinden, den Jugendlichen den Synagogenschlüssel in die Hand zu geben, ihnen wirklich Verantwortung zu übertragen und sie zum Beispiel vorbeten zu lassen. Denn dann bestehe das Risiko, dass etwas schief geht.

"Die Gottesdienste, die von Jugendlichen geleitet werden, sind keine perfekten Gottesdienste. Sie sind vielleicht ästhetisch nicht unbedingt schön, es gibt viele Fehler. Auch da ist meine Idee, so 'ne Toleranzschwelle etwas weiter zu machen. Auch zuzulassen, dass ein Gottesdienst mal etwas chaotisch ist, aber braucht es am Anfang, damit daraus etwas schönes wachsen kann. Dasselbe gilt auch für alle anderen Aktivitäten. Jugendliche kommen gerne zusammen, um was zu lernen, aber sie wollen auch das Thema selbst bestimmen können."

"Lernen" bedeutet in der jüdischen Welt: gemeinsam über Thora, Talmud oder andere religiöse Texte zu diskutieren. Ein Rabbiner als Jugendleiter - diese Entscheidung ist keineswegs selbstverständlich und zeigt, wie viel Gewicht die "Union progressiver Juden" auf religiöse Inhalte legt: Jugendarbeit soll mehr sein als Zelte packen. Wer Madrich, also Jugendgruppenleiter wird, den macht Adrian Schell während einer zwei jährigen Ausbildung gründlich mit jüdischer Religion vertraut.

Adrian Schell ist gelernter Buchhändler und hat sechs Jahre in einem großen deutschen Verlag in München gearbeitet. Dort war er auch in der liberalen jüdischen Gemeinde "Beth Schalom" aktiv und entschloss sich schließlich zum Rabbinatsstudium.

"Ich hab meine Berufsausbildung gemacht und kurz mal gedacht, jetzt müsstest du eigentlich studieren, und fand das aber viel interessanter, als Buchhändler weiter tätig zu sein. Das ist bis heute ein Beruf, der mir viel Spaß gemacht hat und den ich auch bis heute irgendwie begleite. Also ich verfolge schon sehr aufmerksam, was in der Buchbranche auch passiert. Aber es war dann so, dass ich in der Gemeindeaktivität auch das Gefühl hatte, du bist an deinen Grenzen. Du machst sehr viel, aber du verstehst noch zu wenig von dem was, was wir da machen, und wollte da schon ein bisschen mehr wissen, ein bisschen mehr lernen."

So hat Adrian Schell in seinem Rabbinatsstudium in Potsdam auch die jüdische Liturgie besonders interessiert. Im Nebenfach hat er Religionswissenschaft mit Schwerpunkt Islam studiert.

Adrian Schell schreibt ein Blog, ist bei Computerneuheiten auf dem Laufenden, hat das neue soziale Netzwerk Google Plus schon ausprobiert und schwärmt vom so genannten Cloud Computing. Das bedeutet: Der Nutzer kann aus der Ferne auf Dateien zugreifen. Im Moment arbeitet er mit einer Gruppe von Madrichim an einem Facebook-Führer für Jugendliche.

Die Leidenschaft für Bücher und Computer hat Adrian Schell von seinem Vater mitbekommen: Der war Buchhändler in Hessen. Da Computerprogramme für Buchhändler unerschwinglich teuer waren, wurde der Vater kurzerhand auch Softwarehersteller.

"Meine Aufgabe war es relativ früh schon, diese Software zu überprüfen auf Alltagstauglichkeit, und Schulungen zu übernehmen. Der Umgang mit Menschen wurde bei mir auch dadurch trainiert. Ich glaube, das hilft mir heutzutage noch, dass ich sehr viel Geduld mitbringen kann, und auch beim elften Mal gehe ich gerne noch zur Hand und sage: Klicken Sie da darauf. Oder heutzutage würde ich sagen: Lies den Satz noch mal. Zum Beispiel, wenn ich einem Bar- oder Bat-Mitzwah-Kind eine Thoralesung mitbringe, und da muss muss man manchmal länger dabeisitzen und die Geduld mitbringen."

Im Gegensatz zur Leidenschaft für Bücher und Computer hat Schell die Leidenschaft für Religion nicht aus seiner Familie. Denn er stammt aus einem "sozialdemokratisch-atheistischen Elternhaus", wie er sagt. Erst bei einem beruflichen Aufenthalt in Philadelphia in den USA entdeckte Schell, wie gut Judentum und soziales Engagement zueinander passen.

"Ich hab' dort gesehen, dass ich meine humanistischen Ideale, die ich von Kindheit her erlebt habe, dass ich die auch mit Religion verbinden konnte. Das kannte ich vorher so nicht. Insofern hat sich da was ergänzt."