Ein politisch korrekter Kolonialherr

Rezensiert von Uwe Stolzmann · 06.12.2005
In Portugal ein Bestseller: Der Roman "Am Äquator" von Miguel Sousa Tavares erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Auftrag bekommt, als Gouverneur die afrikanischen Inseln São Tomé und Príncipe zu verwalten. Es ist eine Geschichte über Freiheit, Menschenrechte und über das Ende des kolonialen Portugals.
180.000 Mal verkaufte sich "Am Äquator" in Portugal - ein spektakuläres Debüt für ein Land, dessen Leserschaft historische Romane nicht sonderlich schätzt. Einheimische Bücher haben es sowieso schwer, es sei denn, sie stammen von Antonio Lobo Antunes, José Saramago oder Lídia Jorge. Doch auch Miguel Sousa Tavares, geboren 1952 in Porto, ist kein Unbekannter zwischen Minho und Algarve.

Seine Mutter war eine angesehene Lyrikerin, er selbst machte sich als Fernsehkommentator, Journalist und Sachbuchautor einen Namen. Mit "Am Äquator" gelang ihm dennoch ein Wunder. Er habe "das ganze Land zum Lesen gebracht", schwärmte eine Kritikerin. Wie das? Indem er "die urportugiesische Sehnsucht nach dem Leben in den Kolonien" beschrieb, das Heimweh nach der vermeintlich heilen Welt des Imperiums vor der "Nelkenrevolution" vom April 1974. Sousa Tavares beschwor den Geschmack, die Farben, Laute und Gerüche eines verlorenen Universums.

Portugal Ende 1905. Der Lissaboner Bürger Luís Bernardo Valença erhält von König Dom Carlos ein überraschendes Angebot. Er soll als Gouverneur die afrikanischen Inseln São Tomé und Príncipe verwalten. Luís – 37-jährig, studierter Jurist und Erbe einer kleinen Reederei - ist ein Lebemann, geistreich und unterhaltsam, mit einer Leidenschaft für Politik. Im Weltblatt "O Mundo" publizierte der Junggeselle kürzlich seine Ansichten zur "Kolonialfrage". Luís’ Forderung: eine effizientere Nutzung aller kolonialen Ressourcen zum Wohle Portugals. Sein Vorschlag: "Vertreter der Zivilisation des Fortschritts" sollten in den wilden Gegenden für eine aufgeklärte Geisteshaltung sorgen.

Nun reist Luís selbst nach Afrika, ein Gesandter der Krone in besonderer Mission. Auf den Plantagen von São Tomé und Príncipe wächst Kakao von hervorragender Güte. Doch die Geschäfte mit englischen und deutschen Schokoladeherstellern sind gefährdet. Die Briten drohen mit Boykott; sie wollen, so verkünden sie, Sklavenarbeit nicht länger dulden. Aber gibt es tatsächlich noch Sklaven in dieser Kolonie? Sind die Fremden, die auf den Feldern des tropischen Archipels schuften, nicht reguläre angolanische "Vertragsarbeiter"?

Luís soll den neuen britischen Konsul in São Tomé von der Unbedenklichkeit portugiesischen Kakaos überzeugen. Und er will, ein politisch korrekter Kolonialherr, die Lage der schwarzen Arbeiter verbessern. Was Wunder: Die Plantagenbesitzer bekämpfen den Eindringling bald mit allen Mitteln. Als Luís auch noch eine Affäre mit der Frau des Londoner Konsuls beginnt, naht die Katastrophe...

"Am Äquator", entstanden nach gründlicher Auswertung der zeitgenössischen Quellen, ist ein Geschichtswerk besonderer Art, ein elegantes, gut inszeniertes Lehrstück über den Untergang einer Epoche. Farbigkeit gewinnt das Buch vor allem durch die genaue Zeichnung der Charaktere und die emotionale Schilderung der tropischen Landschaft - die Inselwelt wird zur eigenständigen Figur; sie lädt den Leser zur Reise.

Miguel Sousa Tavares: Am Äquator
Roman
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis
C. Bertelsmann Verlag
480 Seiten, 21,90 Euro