Ein neues Haus für die jüdische Gemeinde

Von Heinz-Peter Katlewski · 04.03.2011
Zwei mächtige Pyramideneichen in den Hamelner Bürenstraße zeugen noch von der ersten Synagoge aus dem Jahr 1879. Nur sie haben die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 überdauert. Nun wurde hier eine neue Synagoge eingeweiht. Es ist überdies der erste Neubau einer liberalen Synagoge in Deutschland seit 1945.
Ma Towu – "Wie schön sind deine Zelte Jakob". Mit diesem Gesang zogen am vergangenen Sonntag zwei Tora-Rollen ein in ein neues "Zelt". An der Stelle, an der bis 1938 bereits eine Synagoge stand, weihte die Jüdische Gemeinde Hameln ihren Neubau ein: ein flaches, mit rotem Backstein verklinkertes, oval geformtes zweistöckiges Gemeindezentrum. Zehn Jahre haben die 200 Mitglieder dafür gestritten und gesammelt. Nun ist es Wirklichkeit geworden. An der gläsernen Eingangstür steht in unterschiedlich großen hebräischen Lettern der Name, den ihm die Gemeindemitglieder gegeben haben: "Beitenu" – auf Deutsch: Unser Haus:

"Das ist unser neues Haus, auch an diesem historischen Platz, wo früher die Synagoge stand. Jetzt haben wir dieses Zuhause, wo wir selbst unser jüdisches Leben weiterleben und unsere jüdische Religion. Und auch weitere Generationen, auch unsere Kinder, Enkel, Urenkel."

Faina Pelts ist optimistisch. Sie war von Anfang dabei. Die meisten der Gemeindegründer waren Neuankömmlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, vor allem aus der Ukraine. Eines der Gründungsmitglieder aber lebte bereits in der Nähe von Hameln: die aus dem amerikanischen Pennsylvania stammende Rachel Dohme.

"Als ich in Deutschland meine Familie gründete, war es mir wichtig, ihr ein jüdisches Leben zu ermöglichen. In den neunziger Jahren kamen jüdische Menschen nach Hameln. Sie suchten und fanden einander, um sich gegenseitig zu helfen. Wir trafen uns zu Schabbat, um gemeinsam zu lernen und zu beten. Von diesen ersten Anfängen wurde eine feste Gruppe. Im Jahre 1997 gründeten wir mit achtzehn jüdischen Männern und Frauen diese Gemeinde, die erste jüdische Gemeinde der Stadt Hameln, wieder."

Das Tora-Lernen und Beten war für die meisten der Zuwanderer eine neue Erfahrung. Sie wussten zunächst wenig über ihr Judentum und seine Lehren und Bräuche. Die Gemeindevorsitzende und gelernte Pädagogin Rachel Dohme vermittelte jüdisches Wissen in kleinen Häppchen und lud in ihre ersten provisorischen Gemeinderäume in Büroetagen auch immer wieder Kantoren und Gastrabbiner ein, um Gottesdienste und Tora-Studien zu gestalten. Seit zehn Jahren wird die Gemeinde abwechselnd alle vierzehn Tage von Rabbinerstudenten des Abraham-Geiger-Kollegs betreut und der englischen Rabbinerin Irit Shillor:

"Ja, es ist sehr interessant, diese Entwicklung zu sehen, weil erstens haben wir viel mehr Leute, die zusammen studieren. Wir haben selbstverständlich viel mehr Leute, die Deutsch ziemlich gut verstehen und deshalb sind Studiumstunden sehr interessant geworden, weil Leute kommen mehr, und sie trauen sich, Sachen zu sagen und Fragen zu stellen. Und auch beim Gottesdienst sehe ich, dass Leute verstehen viel mehr. In diesem Sinn hat die Gemeinde sich sehr viel entwickelt."

Der breite Toraschrein aus hellem Ahornholz an der Kopfseite der Synagoge verleiht dem halbrunden Betsaal mit seinen in schlichtem Weiß gehaltenen Wänden eine besondere Würde. Ein blauer samtener Vorhang bestickt mit Zweigen und Blättern verdeckt den mit kunstvollen Glastüren versehenen Schrein. Davor steht die Bima, das Pult für die Tora-Lesung. Auf sie fällt Licht aus einem, mit einem Davidstern verzierten Deckenfenster.

Ein neues, ein eigenes Haus – und doch, die engen Gewerberäume, die die Gemeinde zuvor benutzt hat, hinterlassen auch Wehmut. Patrizia Berhovski hat dort gerade ihre Bat Mitzwa gefeiert.

"Also, ich finde das alles wunderbar und supertoll. Das war eigentlich immer der Traum der ganzen Gemeinde. Allerdings bin ich auch ein bisschen traurig, dass wir jetzt die alte Gemeinde verlassen müssen, weil sich ja dadurch die Gemeinde ja sozusagen aufgebaut hat. Es ist schon was Neues, Schönes, aber auch ein bisschen Verlustgefühl, sozusagen."