Ein Negativbeispiel fürs Geschichtsbuch

Von Günter Hellmich, Landesstudio Berlin · 26.02.2011
Im Fall Guttenberg geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Moral in der Politik. Wenn der Minister eine Nachsicht in Anspruch nimmt, die jedem studierenden Soldaten zu Recht verweigert wird, widerspricht das dem demokratischen Wertekodex.
"Gibt es denn nichts Wichtigeres als die Frage, ob ein Minister bei seiner Doktorarbeit geschummelt hat?" Das haben wir Journalisten oft gehört in den letzten beiden Wochen. Nun, wo der Doktorhut weg ist, wird mancher Fragesteller darauf warten, dass der Sturm im Wasserglas endlich abklingt. Hört man da nicht irgendwo im Hintergrund vielleicht schon das Schnauben der nächsten Sau, die durch Blätterwald und Fernsehlandschaft getrieben wird? "Nun sagen sie doch mal ehrlich: War die Promotionsaffäre wirklich wichtig angesichts von Afghanistan, Libyen und Hartz IV?"

Ja!, ja! - und noch mal ja! Sie wurde sogar mit jedem Tag wichtiger. Das lag zuallererst an Guttenberg selbst, der mit "Bild"-Zeitung, Internetverstärkung und einer willfährigen Bayreuther Universität die peinliche Plagiatspromotion in Rekordzeit rückabwickelte. Schwamm drüber – in aller gespielten Demut. Ein Kalkül, das nicht aufgehen darf, wenn wir uns nicht italienischen Verhältnissen annähern wollen.

Im Fall Guttenberg geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Moral in der Politik. Und die ist wichtig – wichtiger noch als der Hartz IV-Kompromiss – so unbefriedigend man ihn finden mag. Wenn der Verteidigungsminister eine Nachsicht für sich in Anspruch nimmt, die jedem studierenden Bundeswehrsoldaten zu Recht verweigert wird, widerspricht das dem demokratischen Wertekodex. Unterstützt von einer Bundeskanzlerin, die Konsequenzen verweigert, weil sie den Plagiator ja nicht als "wissenschaftlichen Assistenten" engagiert habe. Guttenberg selbst hat Merkels irrwitzige Aufspaltung seiner Persönlichkeit mit seiner Verteidigungsrede ad absurdum geführt, er habe die Ausarbeitungen des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes zunächst für seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter bestellt.

Wenn Wahrhaftigkeit – was für ein schönes altmodisches Wort – irgendwas mit Moralvorstellungen in der Politik zu tun haben sollte, dann war die Verteidigungslinie Guttenbergs ein Negativbeispiel fürs Geschichtsbuch. Egal, ob sie am Ende erfolgreich ist oder ihn doch noch das Amt kostet. Da kam das forsche "abstrus!" als erste Reaktion. Dann ein Fehlereingeständnis mit vorläufigem Titelverzicht in der zweiten Stufe der vorgeblichen Selbstbesinnung, gefolgt von der larmoyanten so genannten Rückgabe des Doktorgrads in der dritten - bis hin zum vorerst letzten Gefecht im Bundestag: Nichts, aber auch nichts war daran wahrhaftig. Aber alles Kalkül.

Jeder, der wollte, konnte sich davon überzeugen: In der "FAZ", in der "Süddeutschen", im "Spiegel" waren synoptisch Beispiele für Plagiat und Original gegenübergestellt, von der Gesamtschau bei Guttenplag im Internet gar nicht zu reden.

Jeder, der dies las, konnte von Anfang an sehen: Es ging nicht um Anführungsstriche, sondern um bewusste Täuschung – nur zu Guttenberg wollte dies nicht zugeben. Im Ergebnis war die Taktik erfolgreich - vorerst. Auch wenn die Kommentatoren aller Couleur seinen Rücktritt forderten, das Volk hielt dem Freiherrn die Treue. Ebenso die "Bild"-Zeitung, die KT mit anderen Medien zum Star und beliebtesten deutschen Politiker aller Zeiten aufgebaut hatte. Ein Phänomen mit begrenztem Überraschungswert. Beschrieben in jedem Nachschlagwerk der Massenkommunikation zum Stichwort "kognitive Dissonanz" seit Lionel Festinger anno 1957.

Wer fest an den strahlenden Polithelden Karl-Theodor zu Guttenberg glaubt und vielleicht selbst von ihm im Bekanntenkreis geschwärmt hat, wird erstmal alles tun, um sich das Idol nicht kaputt machen zu lassen. Ernsthafte Vorwürfe – Diebstahl und Betrug – wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne – werden erst nicht geglaubt, dann kleingeredet: jeder hat mal geschummelt. Guttenbergs Verteidigungsstrategie zielt konsequent auf diese Gemütslage. Man kann dies geschickt nennen oder Manipulation – schon dafür wäre ein Rücktritt angemessen. Aber die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.