Ein musikalischer Heiratsmarkt

Von Sarah Zerback · 09.03.2012
Nomen est omen? Nicht beim Studentenchor Aachen! Denn hier singen Erstsemester mit älteren Semestern, Ärzte mit Doktoranden und junge Mütter mit Babys im Arm. Das jüngste Chormitglied ist gerade vier Wochen alt, ein weiteres ist unterwegs. Kein Wunder, denn in diesem Chor finden sich viele Paare.
"Großes dickes, fettes Lob an meinen Sopran! Eure Koloraturen waren die besten."

Bis zu diesem Lob von Chorleiterin Heike Scholl-Braun, war es ein weiter Weg. Es steht am Ende eines achtstündigen Probentages, der schon morgens um halb zehn im Gemeindehaus beginnt. Erstmal singen nur die Frauen.

Die finden es natürlich etwas ungerecht, dass sie heute früher aufstehen mussten als die Männer. Denn die sind erst zwei Stunden später an der Reihe.

Bei etwa 95 aktiven Chormitgliedern macht es Sinn, erst mal getrennt zu singen. Besonders an einem Tag wie heute. Besonders bei einem Stück wie diesem. Für das große Jubiläumskonzert proben sie die H-Moll Messe von Bach. Zum Repertoire des Aachener Studentenchores gehören Kirchenmusik und Acapella-Versionen der großen Klassiker. Chorleiterin Heike Scholl-Braun wippt auf ihrem Klavierschemel mit. Beim Dirigieren reißt die 41-Jährige hin und wieder die Augen weit auf, zieht Grimassen und setzt ihren ganzen Körper ein.
Das Mittagessen haben sich alle mehr als verdient. Denn die Proben sind – für einen Laienchor – sehr diszipliniert. Seit die Chorleitung 2009 gewechselt hat, ist die Gesangsleistung deutlich gestiegen. Benjamin Bruno ist 32, singt im tiefen Bass und kann sich vorstellen, warum.

"Ich glaube, das hängt sehr viel an Heike. Weil einfach sie ne Art hat Probendisziplin herzustellen, die nicht verletzend ist und nicht ausgrenzend ist und wo wir alle uns mit identifizieren können. Und es ist einfach ein Team geworden und ich glaube, das ist es was dem Chor zu seinem Erfolg verhilft."

Woher die Motivation für soviel Ehrgeiz kommt, da sind sich alle einig.

"Dass ich hier in dem Chor immer noch singe, seit drei Jahren, hat auf jeden Fall mit der Gemeinschaft auch zu tun - Das ist auch ein wesentlicher Punkt an diesem Chor ist einfach, dass der Zusammenhalt gut ist - Weil wir menschlich uns auch so gut verstehen. Das ist das Tolle."

Erbsensuppe, Nudelsalat und Kuchen: Jeder hat etwas mitgebracht. Sowieso trifft sich der Chor nicht nur zum Proben, erzählt Sopranistin Kamila Kreusch.

"Wir waren zum Beispiel schon zusammen im Urlaub. Wir gehen ins Kino. Wir treffen uns oder einfach spontan organisiert jemand einen Spieleabend, irgendwie so was."

Der Studentenchor besteht nicht nur aus Studenten. Vom Erstsemester bis zum Doktoranden darf hier jeder mitsingen. Seit Heike Scholl-Braun den Chor leitet, hat sich die Mitgliederzahl mehr als verdoppelt. Etwa 40 davon sind Männer – ungewöhnlich viele für einen Laienchor. Benjamin Bruno hat dafür eine einfache Erklärung. Er hat seine Freundin im Chor kennengelernt, der sich als wahre Partnerbörse herausgestellt hat.

"Letztes Jahr waren wir glaube ich auf vier Hochzeiten insgesamt. Und es gibt ja auch schon diverse Chor-Babys. Die gibt es ja auch schon."

Eins davon ist die kleine Lena, vier Wochen alt. Schon im Alter von zehn Tagen war sie dabei. Jetzt liegt sie im Arm von Heike Scholl-Braun. Die war wenig überrascht als sie von der Schwangerschaft der jungen Mutter erfuhr. Denn sie glaubt, das bereits am Singen zu erkennen.

"Der Klang der Stimme verändert sich. Wird runder, dunkler, weicher. Man kann es nicht genau beschreiben, aber man kann es wirklich hören. In diesem Chor habe ich es schon drei Mal hören können und bei den anderen habe ich es dann vorher halt erfahren."

Maria Zimmermann ist Lenas Mutter. Die 29-Jährige ist schon seit 7 Jahren mit dabei. Ihr Mann singt – natürlich – auch im Chor. Während der Probe kümmern sich die Beiden abwechselnd um die Kleine. Die ist erstaunlich ruhig, schreit nie, und ist damit schon fast ein Profi.

"Sobald sie unter Leuten ist und Musik hört, ist alles gut. Sie erkennt sogar schon die Stücke, die wir singen. Also sobald es um H-Moll-Messe geht, merkt man, dass der Atem ruhiger wird und sie wird dann glaube ich auch eher so n klassischer Typ."

Nach der Stärkung macht sich die Gruppe auf den Weg in die nahegelegene St. Nikolaus Kirche. Dort wollen sie nun ausprobieren, wie ihre Lieder in dieser besonderen Akustik klingen - Auch das ein Test für das große Konzert im Sommer. Und immer dabei: Etwas rot Blinkendes am Rollkragenpullover der Chorleiterin.

"Das ist mein Smiley! Smiley ist mein persönliches Markenzeichen. Ich bin ein Mensch, der sehr sehr positiv gestimmt ist, von seiner Grundstimmung her und die Begeisterung für Musik und für Singen ist mein Metier."

Smiley ist mittlerweile das Maskottchen des Chors. Und natürlich auch beim großen Konzert im Juni im Aachener Dom mit dabei.

"Bach hat uns ein Stück Himmel auf Erden geschenkt und das dürfen wir jetzt umsetzen. Und das an so einem Ort. Das ist für mich einfach emotional schon was Besonderes. Und ich hoffe, dass bei allen, die da sind, sowohl bei den Teilnehmern als auch bei den Hörern, die Freude an der Musik überwiegen wird. Und ich glaub, das schaffen wir."


Service:

Anlässlich des 40-jährigen Bestehens, feiert der Chor am 1. Juni ein großes Festkonzert mit Bachs H-Moll-Messe im Aachener Dom.


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.