Ein Melancholiker als Polit-Filmer

Von Jörg Taszman · 25.09.2007
Es war sein filmischer Wutausbruch: "Gegen die Wand", der dem heute 34-jährigen Fatih Akin vor drei Jahren den internationalen Durchbruch bescherte. Der Film gewann auf der Berlinale 2004 den Goldenen Bären und später auch den Europäischen Filmpreis. Die Geschichte um eine junge Türkin, die durch eine Scheinehe versucht, ihrer strengen Familie zu entkommen, wirkte auch wie ein Befreiungsschlag des Regisseurs.
Stilistisch ganz anders ist sein neuer Film "Auf der anderen Seite". Im ruhig erzählten Episodenfilm um Türken in Deutschland und Deutsche in der Türkei; um Emigration und Migration sowie Väter-Söhne- und Mütter-Töchter-Beziehungen verwebt Fatih Akin gekonnt drei Geschichten miteinander. Ist der reflektierte und kunstvoll gebaute "Auf der anderen Seite" für ihn nun eine Mischung aus Bauch- und Kopf-Film?

"Ja, vielleicht könnte man das sagen. Sehr vieles bei 'Gegen die Wand' ist völlig intuitiv entstanden. Natürlich gab es ein Konzept und einen konzeptuellen Rahmen, aber 'Gegen die Wand' ist aus Frust entstanden, Frust auch über den Umgang mit 'Solino'. 'Gegen die Wand' hatte viel damit zu tun. Hier musste ich natürlich viele Sachen weiter zu Ende denken, schon auf meine Intuition hören, aber sie ... gedanklich ... rhetorisch belegen."

Fatih Akin erweist sich als souveräner Regisseur, der sechs Protagonisten in all ihrer Widersprüchlichkeit zeigt, sich aber nicht nur ins Private zurückzieht, sondern auch ganz aktuelle politische und soziale Bezüge aufgreift. So kann eine aus Istanbul geflohene, politische Aktivistin nicht als Flüchtling in Deutschland bleiben, wird abgeschoben und kommt in der Türkei als Extremistin ins Gefängnis. Dort jedoch bricht sie mit ihrer radikalen Vergangenheit. Dies werden ihm die Linken in der Türkei übel nehmen, meint der Filmemacher.

"Ich wurde bisher in der Türkei immer von den Linken geschätzt und verteidigt. Dieser Film rechnet ja in gewisser Weise auch mit linken Strukturen ab... Der Film erzählt ja, dass gewaltbereite, linke Strukturen sich nicht so unterscheiden von gewaltbereiten, rechten Strukturen in den Mechanismen zumindest. In Italien habe ich von den Linken auf die Mütze gekriegt. 'Manifesto' wirft mir vor, warum ich keine Folterszenen in dem Film habe und warum das türkische Gefängnis wie ein Fünf-Sterne Hotel abgebildet ist?"

Der Vorwurf ist übertrieben, denn Fatih Akin zeigt es subtil, wo Revolte anfängt und wie sie als Terror endet. Gedreht wurde übrigens in einem echten Gefängnis mit echten Wärtern und echten Insassen und es gab keinerlei Probleme, eine Drehgenehmigung zu erhalten.

Schon immer hat sich der in Hamburg lebende Filmemacher auch außerhalb seiner Filme in politische und gesellschaftliche Diskussionen eingemischt. Hat sich sein Türkeibild nach seinem vorangehenden Dokumentarfilm "Crossing the Bridge" verändert?

"2004, in dem Jahr, wo wir 'Crossing the Bridge' gedreht haben, war die Türkei die liberalste Türkei, die es je gegeben hat. Zu liberal für einige Kräfte und Strömungen, und das hat zu Widerständen geführt. Bestimmte Tabus wurden noch einmal aufgezwungen, die Liberalität, die gewonnen war, wurde als Gefahr begriffen. Somit gab es dann fast so was wie einen kalten Bürgerkrieg in den letzten zwei Jahren und der Film erzählt davon auch ... Er zeigt, dass die Leute applaudieren und loyal sind, wenn es gegen kurdische Aktivisten geht. Von 2004 bis jetzt gab es leider, leider eine sehr destruktive Kurdenpolitik. Man darf aber nicht aus dem Wiedererstarken der PKK einen kollektiven Rassismus gegen Kurden führen und der ist so entstanden wieder und davon handelt ein bisschen der Film."

Vergleicht man den Fatih Akin von heute mit dem jungen Wilden, der einst im weißen Rippenhemd Interviews gab und schon nach "Solino" als 29-Jähriger ein wenig zu selbstbewusst verkündete "Nun bin ich kein Nachwuchsfilmregisseur mehr", dann wirkt er heute nachdenklicher und auch verletzlicher. Fatih Akin ist nicht nur bekennender Melancholiker, der seine Schwermut aber lieber in seinen Filmen, als in der Realität auslebt, sondern auch Goethe-Fan.

"Goethe war, glaub ich, wahnsinnig melancholisch. So jede Zeile von Goethe beinhaltet Melancholie, mit der ich mich wunderbar identifizieren kann, und die halt auch sehr visuell funktioniert und die auch sehr filmisch wirkt. Ich bin der tiefsten Überzeugung, dass Goethe Freidenker war. Das bin ich auch und irgendwie verbindet das uns miteinander."

Neue konkrete Pläne für einen Film hat Fatih Akin derzeit nicht. Er sieht sich als klassischen Autorenfilmer und würde zwar gerne einmal in den USA einen Film drehen, nur nicht für ein großes Studio. Seine Freiheit könnte Fatih Akin niemals aufgeben, auch nicht für Hollywood.
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