Ein Mann kreist um sich selbst

17.05.2011
Joseph reist von Wien nach Argentinien, um dort die Manipulation unserer Ernährung durch die Lebensmittelindustrie zu erforschen. Mit einem komplexen perspektivischen Verfaren beleuchtet der Autor einen Charakter, der sich selbst immer weiter isoliert.
Reinhard Kaiser-Mühlecker hat als Schauplatz für seinen dritten Roman Argentinien ausgewählt, ein Land, das bereits sein Förderer Arnold Stadler vor Jahren zum Reiseziel eines seiner Helden wählte. Kaiser-Mühleckers Protagonist Joseph Wagner hat sich nach seinem Studium der Landwirtschaft bei einem NGO-Unternehmen verdingt, das weltweit die Manipulation unserer Ernährung durch die Lebensmittelindustrie erforscht. Joseph reist von Wien über den römischen Flughafen Fiumicino nach Buenos Aires, um dort die Sortimente der Supermärkte zu prüfen, zu katalogisieren und in Excel-Tabellen einzutragen.

Dieser Joseph leidet unter Bindungsproblemen, die seinen Blick auf die neue Welt von Anfang an einengen. Er hat seine Ehefrau in Österreich zurückgelassen, seine Eltern sind beide verstorben. Eigentlich möchte er nur seine Ruhe haben, allein sein, arbeiten und in einem preiswerten Hotel Quartier beziehen. An der Einsamkeit wird er vom ersten Tag im neuen Land gehindert. Juan, ein ausgewanderter Österreicher, der eigentlich Hans Kramer heißt, hat ihn bei Freunden und nicht im Hotel einquartiert. Er ist die eigentlich interessante Person des Romans, verdient sein Geld als Museumswärter und schreibt ein Buch über einen in Argentinien exilierten Juden. Reinhard Kaiser-Mühlecker erlaubt aber Juan genauso wenig wie Augusto, dem Arzt und Sohn eines Großgrundbesitzers, mit dem er manchmal zusammentrifft, und Savina, die einmal Gitarre gespielt hat und jetzt als Übersetzerin ihr Geld verdient, ein deutlicheres Profil zu gewinnen, als er dem Verweigerer Joseph zugesteht.

Der 29-jährige Österreicher hat sich für seinen dritten Roman ein kompliziertes literarisches Verfahren ausgedacht. Der Autor bringt die vier Personen in distanzierte Beziehungen zueinander, schneidet die Perspektivwechsel zwischen Joseph und den anderen allerdings so dicht ineinander, dass man oft nicht weiß, wer von den vier Personen spricht. Bei Juans Freunden wird der Neuankömmling wohnen, dann zieht er zu Savina, bis das Zusammenleben mit ihr, einfach nur die psychische Nähe für beide unerträglich wird. Mit Augusto unterhält sich Joseph über die Landausbeutung des Vaters, seine eigene Tätigkeit, die ihn in viele Bezirke der Stadt Buenos Aires und in die Umgebung führt, verlangt sehr viel Arbeit. Über das, was er an Daten, an interessanten Erkenntnissen bei seiner Recherche gewinnt, erfährt der Leser nichts, nur, dass seine Auftraggeber zufrieden sind und die weltweite Studie als Erfolg gewertet wird.

Joseph Wagner versteckt sich, seine Gedanken, Empfindungen hinter seiner Arbeit. Der Computer ist seine Zuflucht und Tarnung. Es sind also weniger die ökologisch brisanten Themen, die den Autor interessieren, sondern es ist die Figur Josephs selbst, der Mann, der mehr und mehr um sich selbst kreist. Der nach Österreich zurückgekehrte Joseph entwickelt sich zum Hypochonder und deutet, als der Arzt partout keine Krankheit feststellen kann, auf seine ergrauenden Haare. Ob er einmal im kleinen Ort, in den er gezogen ist, Küster wird, wie ihm vorschwebt, bleibt offen.

Das komplexe perspektivische Verfahren, mit dem sich der als naturnah und landschaftsbezogen geltende junge Schriftsteller Kaiser-Mühlecker selbst die große Schreibaufgabe einer verfeinerten Charakterstudie gestellt hat, ist nicht aufgegangen. Denn am deutlichsten wirkt Josephs sich mehr und mehr isolierende Persönlichkeit nicht durch das Bild der anderen, sondern durch das Bild, das durch seine eigenen Äußerungen gewonnen wird.

Besprochen von Verena Auffermann

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Wiedersehen in Fiumicino
Hoffmann und Campe, Hamburg 2011
318 Seiten, 20 Euro