Ein literarisches Porträt

25.05.2009
Der Autor Fritz J. Raddatz nähert sich unter dem verheißungsvollen Titel "Überzähliges Dasein" dem Dichter Rainer Marie Rilke an. In seinen Ausführungen konzentriert sich Raddatz auf zwei Personen, die Rilkes Leben stark beeinflussten: Auguste Rodin und Lou Andreas-Salomé.
Das Erscheinen einer neuen Rilke-Biographie lässt aufhorchen und regt wohl das Interesse jedes literarisch Interessierten an. Dabei muss man kein Spezialist von Elegien und Sonetten sein, um die Bedeutung seines literarischen Werkes zu erfassen. Gedichte wie "Der Panther" oder "Die Flamingos" erlangten Weltruhm und um den Dichter scharrt sich längst eine große Fan-Gemeinde. Zudem lebte Rilke, der 1875 in Prag geboren wurde und nur 51-jährig an Leukämie starb, in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche.

Nun nähert sich der Autor, Verleger und Herausgeber von Kurt Tucholskys literarischem Werk, Fritz J. Raddatz, unter dem verheißungsvollen Titel "Überzähliges Dasein" dem Dichter. Raddatz zitiert damit Rilkes "Neunte Duineser Elegie"

"Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft werden weniger… Überzähliges Dasein entspringt mir im Herzen."
Die ein Jahrzehnt umspannende Entstehungsgeschichte der zehn Duineser Elegien bildet gleichsam ein Kernstück in dieser Biographie. Als "lyrische Summen", wie sie Rilke nannte, enthalten sie Motive und Themen, die das Gesamtwerk betreffen.
Doch Raddatz will vor allem zwei Dinge: dem Menschen Rilke nahe kommen ohne eine "klebrige Detektivspielerei" zu betreiben und ihn aus dem "Klischee des unverständlich sich verpuppenden Weihepriesters" herauslösen.

In neun Kapiteln, deren Überschriften - "Das Genie schlummert noch", "Gott – und meine Seele ist ein Weib vor Dir" oder "Wie hasse ich dieses Volk" – der politische Rilke" – keine spektakulären Aufmacher sind, wird bereits das intellektuelle Anliegen der nur 159 Seiten umfassenden Biographie postuliert.

In seinen Ausführungen konzentriert sich Raddatz auf zwei Personen, die Rilkes Leben stark beeinflussten: Auguste Rodin und Lou Andreas-Salomé. Die Begegnung mit der fünfzehn Jahre älteren Schriftstellerin und Psychoanalytikerin im Jahr 1897 führt eine Zäsur herbei. Aus dem Namen René wird Rainer und eine intensive Schreibphase setzt ein. Im "Stunden-Buch" (1905), das der Verliebte "Lou" widmet, heißt es

"Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,"

Während ihrer gemeinsamen Zeit begegnet Rilke Friedrich Nietzsche, hört in Berlin Vorlesungen bei dem Kulturphilosophen Georg Simmel und lernt den Dichterkollegen Stefan George kennen, den er bewundert. Während George meinte, Gedichte wie die Rilkes könne jeder machen, urteilt Raddatz, "dass Georges Diamantenfeile recht oft die Rilke-Skalpelle geschliffen" habe (in "Mir zur Feier" oder "Die weiße Fürstin").

Im Kapitel, in dem es um Rilkes Zeit mit dem Bildhauer August Rodin in Paris geht, fragt sich der Autor, ob Rilke tatsächlich Sekretär, also "rangniederer Angestellter des Bildhauerfürsten" war. Er selbst bestritt das noch Jahre danach.

Doch da er ein "festes Monatsgehalt von 200 Francs" bekam und einer geregelten Arbeitszeit nachging, besteht für Raddatz kein Zweifel. Überhaupt ist die finanzielle Situation des Dichters von irritierender Dominanz in der Biographie. Um dessen Lebensumstände richtig darstellen zu können, bedarf es laut Autor sogar einer "Anmerkung zu den im Buch genannten Summen und Honorarbeträgen", die sich im Anhang befindet.

Raddatz’ Biographie ist nichts für Einsteiger. Zuviel aus Rilkes Leben sowie die Kenntnis seines literarischen Werkes werden vorausgesetzt. Auch die zahlreichen Verweise auf Diskurse, die in der Forschungsliteratur und in den Feuilletons geführt wurden, lassen sich ohne Vorkenntnisse nur schwer entschlüsseln.

Für jeden Eingeweihten aber ist sie eine kluge und amüsante Lektüre, die einen ehrfurchtslosen, aber sensiblen Dialog anstrebt. Eigenwillig in Wortwahl und Urteilsfindung begegnen wir einem Dichter, dessen "Adelssehnsucht" sowie andere "Ticks" aus seelischer, geistiger und körperlicher Erniedrigung begründet werden.

Besprochen von Carola Wiemers

Fritz J. Raddatz: Rainer Maria Rilke. Überzähliges Dasein, Eine Biographie
Arche Verlag/ Zürich-Hamburg 2009, 224 Seiten, 22 Euro.